Berlin. Ryanair, Lufthansa, Tuifly: Hiesige Fluggesellschaften nutzen Maschinen des US-Herstellers. Ein Experte sagt, ob sie noch sicher sind.

Teils chaotische Zustände in der eigenen Produktion, Baumängel, verlorene Teile: Die Pannen-Serie bei dem großen US-Flugzeugbauer Boeing beschäftigt auch Airlines und Passagiere in Deutschland. Kann man sich noch trauen, in ein Flugzeug des Herstellers zu steigern? Wichtige Fragen und Antworten.

Was ist bei Boeing los?

Boeing steckt in der wohl größten Krise seiner Geschichte. Einerseits erschüttern Mängel in der eigenen Produktion und bei Zulieferern den Konzern. Ausgerechnet Boeings Bestseller, die Kurzstreckenflieger vom Typ 737 Max, sind davon betroffen. Anschließend verschärfte staatliche Kontrollen der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA führten dazu, dass sich Produktionsschritte verlangsamten. Eigene Auslieferungsziele wurden dadurch weit verfehlt.

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Andererseits gab es zuletzt eine Reihe von Pannen mit Boeing-Flugzeugen. Daraufhin kündigte Vorstandschef David Calhoun an, zum Jahresende seinen Hut zu nehmen. Whistleblower-Aussagen, wonach Boeing Sicherheits- und Qualitätsprobleme bei der Fertigung des 787-Dreamliners ignoriert habe, wies der Konzern zurück.

Welche Vorfälle gab es mit Boeing-Flugzeugen?

Diverse. Erst Anfang April musste eine Maschine vom Typ 737-800 der Southwest Airlines in der Luft umkehren, nachdem die Besatzung berichtet hatte, dass sich die Verkleidung eines Triebwerks während des Starts gelöst und eine Flügelklappe getroffen habe. Zuvor hatte eine Boeing 737-800 NG – ebenfalls von Southwest – wegen Triebwerksproblemen den Start abbrechen müssen.

Auch Tuifly ist mit Boeing-Modellen unterwegs.
Auch Tuifly ist mit Boeing-Modellen unterwegs. © picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack

Im März hatte eine Boeing 777 der Fluggesellschaft United Airlines beim Start ein Rad verloren. Anfang Januar war bei einem Alaska-Airlines-Flug einer 737 Max in der Luft ein türgroßes Stück aus der Kabinenwand herausgebrochen. Im Oktober 2018 und März 2019 waren zwei Boeing 737 Max abgestürzt, dabei starben 346 Menschen.

Welche Boeing-Flugzeuge sind in Deutschland unterwegs?

Mit Konkurrent Airbus wetteifert Boeing seit Jahrzehnten um die Marktführerschaft für zivile Flugzeuge. Wegen der hausgemachten Probleme ist Boeing nur noch die Nummer zwei der Welt. Dennoch starten und landen täglich Hunderte Flieger des US-Herstellers in Deutschland – größtenteils ohne Probleme.

Wichtigster deutscher Kunde von Boeing ist der Lufthansa-Konzern. Erst Ende des vergangenen Jahres wurde bekannt, dass Lufthansa 40 Boeing 737 Max 8 bestellt hat. Zusätzlich gibt es eine Option auf 60 weitere Jets. Der Großteil der mehr als 720 Flugzeuge umfassenden Flotte des Konzerns besteht derzeit aber aus Maschinen aus dem Hause Airbus. Auf Boeings des Typs 737-800 und 737-Max setzen in Deutschland der Billigflieger Ryanair und die deutsch-türkische Fluggesellschaft SunExpress, ein Joint-Venture von Lufthansa und Turkish Airlines. Und auch Tuifly ist mit beiden Modellen unterwegs.

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Zu Boeing-Betreibern im deutschen Luftraum zählt zudem der Frachtflieger DHL Express. „Wir verfolgen die Herausforderungen, vor denen Boeing aktuell steht – diese haben aber keine Auswirkungen auf die von DHL betriebenen Flugzeuge oder unsere Luftfrachtkapazitäten“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit.

Kann man als Passagier noch bedenkenlos in ein Boeing-Flugzeug steigen?

Ja, sagt Luftfahrtexperte Cord Schellenberg im Gespräch mit unserer Redaktion. „In der Luftfahrt geschieht es immer wieder, dass das Pendel der öffentlichen Meinung extrem ausschlägt. Dieses menschliche Verhalten ist nachvollziehbar, weil die Sicherheit von Passagieren und Besatzung immer an erster Stelle stehen muss“, so Schellenberg. „Wird das subjektive Sicherheitsgefühl getrübt, kommt es schnell zur gefühlten Unsicherheit.“

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Notwendige Verbesserungen bei internen Boeing-Produktionsprozessen gleichzusetzen mit einem generellen Zweifel an vielen Tausend Boeing-Flugzeugen, die derzeit weltweit täglich unterwegs sind, halte er für falsch. „Hysterie hilft nie“, sagt der Experte. „Fluggesellschaften sind für die Sicherheit ihres Flugzeugeinsatzes verantwortlich und sind gut beraten, eine langjährige Branchenregel einzuhalten: Mit dem Thema Sicherheit wirbt man nicht.“

Der Lufthansa-Dreamliner vom Typ Boeing 787-9 mit dem Namen „Berlin“ steht bei der Taufe auf dem Vorfeld der Lufthansa-Technikhalle.
Der Lufthansa-Dreamliner vom Typ Boeing 787-9 mit dem Namen „Berlin“ steht bei der Taufe auf dem Vorfeld der Lufthansa-Technikhalle. © picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Branchenintern wird auch über möglicherweise größere Probleme bei der US-Linie United spekuliert, die überproportional von Vorfällen mit Boeing-Maschinen betroffen gewesen ist. Zuletzt stellte die US-Luftfahrtbehörde sogar Personal ab, das die Wartungsprozesse bei United streng unter die Lupe nehmen soll.

Schauen auch deutsche Aufsichtsbehörden genauer hin?

Das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) weiß um die Brisanz in Bezug auf Boeing. „Wir beobachten die Situation weiter sehr genau und sind mit allen Akteuren im Austausch“, so das LBA auf Anfrage. Primär für den Flugzeugbauer zuständig sei aber die amerikanische Luftfahrtbehörde. „Die FAA hat bislang immer sehr schnell und umfassend auf die Sicherheitsprobleme bei Boeing reagiert“, heißt es weiter von der deutschen Behörde.

Das Bundesverkehrsministerium teilt auf Nachfrage mit: „Wir haben volles Vertrauen in die amerikanischen Behörden, dass angesichts der festgestellten Mängel alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden – sowohl, was den Typen 737-Max 9 betrifft, als auch die Baureihe und den Hersteller Boeing insgesamt.“ Die Sicherheit der Passagiere in Deutschland sei zu jedem Zeitpunkt gewährleistet. Sofern neue Erkenntnisse vorliegen, würde das LBA unmittelbar reagieren.

Was sagen die Airlines?

Die in Deutschland tätigen Unternehmen nehmen die Vorfälle bei Boeing ernst, betonen aber eigene Anstrengungen mit Blick auf die Sicherheit der in den Flotten befindlichen Boeing-Flugzeuge. „Unsere 787-Flotte (aktuell fünf Flugzeuge) wird, wie alle anderen Teilflotten im Konzern, aufgrund der hohen Sicherheitsphilosophie der Lufthansa Group über die gesetzlichen Anforderungen hinaus kontrolliert, gewartet und inspiziert“, so eine Lufthansa-Sprecherin. „Und wir überwachen die Produktion von unseren Flugzeugen permanent mit eigenem Personal vor Ort bei den Herstellern.“

Startender Boeing-787-Dreamliner der Lufthansa am Frankfurter Flughafen. Seit 2022 gehören zwei Maschinen dieses Typs zur Lufthansa-Flotte.
Startender Boeing-787-Dreamliner der Lufthansa am Frankfurter Flughafen. Seit 2022 gehören zwei Maschinen dieses Typs zur Lufthansa-Flotte. © picture alliance / Daniel Kubirski | Daniel Kubirski

Von Tuifly heißt es: „Die Flotte der Tuifly Deutschland besteht zu drei Viertel aus der Boeing 737-800, die bereits seit vielen Jahren als zuverlässiges ‚Arbeitspferd‘ problemlos im Einsatz sind. Die Boeing 737 Max 8 sind seit ihrem Erstflug im Juli 2021 in Deutschland ohne Auffälligkeiten unterwegs und werden von Gästen wegen der leiseren Motorengeräusche und moderneren Innenausstattung gelobt.“ Ryanair und SunExpress ließen Anfragen unserer Redaktion unbeantwortet.

Wie sieht es die Politik?

Der Obmann der CDU im Verkehrsausschuss, Christoph Ploß, sieht in der Sicherheit für Passagiere die oberste Priorität. „Wenn es bei einem Hersteller wiederholt zu schweren Vorfällen kommt und es Hinweise auf Managementfehler gibt, erwarte ich von unseren Flugsicherheitsbehörden, dass sie genau hinschauen“, erklärte Ploß. Gegebenenfalls müsse man präventiv tätig werden, um Gefahren für die Sicherheit zu vermeiden.