Berlin. Etwa ein Drittel aller Glücksspielautomaten sind illegal. Milliarden Euro entgehen dem Staat – und fließen in die Taschen Krimineller.

Es blinkt überall. Die Scheiben sind abgedunkelt, man kann nicht erkennen, ob es Tag oder Nacht ist. Und obwohl an der Bar auch Bier, Wein und Longdrinks ausgeschenkt werden, fehlt die gemütliche Stimmung einer Kneipe. Kein Lachen, kein Gespräch, nur konzentriertes Zocken und Daddeln. Hunderttausendfach gibt es Glücksspielautomaten in Deutschland, millionenfach wird an ihnen gespielt, millardenhoch ist der Betrug, der hier teilweise am deutschen Staat begangen wird.

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Kneipen oder Spielhallen, Shisha-Bars oder Cafés: Überall in Deutschland stehen Automaten, an denen man mit viel Glück etwas Geld gewinnen kann. Die großen Gewinne bleiben jedoch meist aus. Nach Angaben des Verbands der Deutschen Automatenwirtschaft (DAW) gibt es derzeit in Deutschland rund 180.000 offizielle Geldspielgeräte – Tendenz sinkend. Denn die dauerblinkenden legalen Geräte werden mehr und mehr von illegalen verdrängt.

Hauptursachen, warum illegales Glücksspiel boomt

„Wir schätzen, dass den bundesweit circa 180.000 legalen Geräten mindestens 50.000 illegale Geräte entgegenstehen, Tendenz stark steigend“, sagt Georg Stecker, DAW-Vorstandssprecher. Zum Vergleich: 2014 gab es laut dem Dachverband hierzulande noch 269.000 Geräte. Der Verband macht für den starken Rückgang zwei Hauptursachen aus.

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Zum einen seien die auf Bundes- und Landesebene vorgenommenen Gesetzesänderungen schuld am Rückgang legaler Glücksspielautomaten. Mit der geänderten Spielverordnung verschärfte der Gesetzgeber 2018 die Auflagen für Spielhallen empfindlich. Sie sollten endlich besser schützen. Das Ergebnis: Spieler müssen sich seitdem vom Personal freischalten lassen, paralleles Zocken an mehreren Geräten ist verboten. In jeder Spielhalle sind nur noch höchstens zwölf Automaten erlaubt. Zudem müssen die Zockerzentren 500 Meter auseinander liegen. Die Spieldauer wurde streng begrenzt, genauso wie die Einsätze, Verluste, Gewinne. Pro Gerät und Stunde darf höchstens 60 Euro verloren und maximal 400 Euro gewonnen werden.

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Ein anderes Ergebnis dieser strengen Regulierung: Das illegale Glücksspiel blüht. Zehntausende illegale Glücksspielgeräte soll es in Deutschland geben. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln. Fest steht jedoch: Der Verlust, der dem deutschen Staat durch entgangene Steuereinnahmen entsteht, ist enorm.

Dem Fiskus entgehen Steuereinnahmen in Milliardenhöhe

„Mit einem illegalen Gerät kann man in der Regel im Monat durchschnittlich 10.000 Euro erwirtschaften. Das ist unsere Erfahrung“, sagt Kringe, Kriminalhauptkommissar der Kölner Polizei. Kringe gehört gemeinsam mit seiner Kollegin Eichler zu den führenden Ermittlern im Kampf gegen illegales Glücksspiel in Deutschland; ihre Vornamen wollen sie aus Sicherheitsgründen lieber nicht in der Zeitung sehen. Pro Jahr können laut den beiden Ermittlern mit illegalen Glücksspielautomaten bis zu sechs Milliarden Euro Umsatz gemacht werden – steuerfrei. Ein immenser Verlust für den Fiskus.

Das illegale Glücksspiel in Deutschland ist auf dem Vormarsch.
Das illegale Glücksspiel in Deutschland ist auf dem Vormarsch. © iStock | welcomia

Zum Vergleich: Der Nettoumsatz der legalen Glücksspiel-Branche betrug laut DAW 2021 insgesamt 4,8 Milliarden Euro. 4,2 Milliarden entfielen davon auf die Umsätze aus allen Unterhaltungsspielgeräten und 577 Millionen Euro auf die Umsätze der Automatenindustrie. Gezahlt wurden 1,2 Milliarden Euro Steuern und sonstige Abgaben, 433 Millionen Euro entfielen davon auf kommunale Vergnügungsteuern. Verbandssprecher Strecker schätzt: „Durch den Schwarzmarkt entgehen dem Staat Steuereinnahmen von mindestens einer halben Milliarde Euro.“ Er kritisiert: „Der Schwarzmarkt fällt nicht vom Himmel; er wird produziert, indem das legale Angebot stark reduziert wird und durch gesetzliche Vorgaben nicht mehr nachfrage-gerecht angeboten werden kann.“

Daddelautomaten gibt es legal zu kaufen

Zu kaufen gibt es Glücksspielgeräte übrigens ganz legal im Internet. Auf Online-Marktplätzen werden defekte oder außer Betrieb genommene Geräte ab 20 Euro angeboten. Verboten ist hingegen die Nutzung im gewerblichen Umfang. „Die Spieler, die an illegalen Geräten spielen, wissen das zu 99,9 Prozent alle“, ist sich Hauptkommissarin Eichler sicher. Warum? Bei illegalen Geräten kann man so viel Geld verzocken, wie man will. „Es gibt Geräte, da kann man bis zu 10.000 Euro pro Stunde verspielen. Da gibt es nach oben und unten keine Limits.“

Vergleich der Zahl legaler Geldspielgeräte und illegaler Glücksspielautomaten in Deutschland sowie Entwicklung der Schwarzmarktquote von 1997 bis 2026.
Vergleich der Zahl legaler Geldspielgeräte und illegaler Glücksspielautomaten in Deutschland sowie Entwicklung der Schwarzmarktquote von 1997 bis 2026. © ZRB | Anna Stais

Wer an einem solchen Gerät erwischt wird, muss mit keiner strengen Strafe rechnen. „Verfahren gegen Spieler werden in der Regel eingestellt. Maximal werden sie mit einer Geldstrafe bestraft“, sagt Eichler. Zudem wird das Geld, das verspielt wurde, einbehalten. Und die Täter? Die sind laut Kringe vor allem in der Organisierten Kriminalität zu finden. „Das kommt natürlich auf die Region an, aber das reicht bis in die Clan- und Rocker-Bereiche rein.“

„Täter sprechen am Telefon offen über alles“

Und ihnen habhaft zu werden, ist schwer. Auch, weil der Gesetzgeber Lücken lässt, durch die die Kriminellen schlüpfen können. So handelt es sich beim illegalen Glücksspiel nicht um einen Verbrechenstatbestand, sondern um einen Vergehenstatbestand. Das macht den Ermittlern das Leben schwer. Wichtige Mittel zur Aufklärung, zum Beispiel Telefonüberwachung, stehen ihnen somit nämlich nicht zur Verfügung. Kringe sagt, dass die Täter das wüssten. „Und sie sprechen am Telefon offen über alles. Weil sie genau wissen, dass wir das nicht verwenden dürfen.“

Auf der anderen Seite leiden vor allem traditionelle Geräteproduzenten und Betreiber von Spielhallen. Stecker erklärt, dass die Unterhaltungsautomatenwirtschaft mittelständisch geprägt sei. Gut 5000 Unternehmen würde die Branche umfassen, etwa 64.000 Mitarbeiter gäbe es. Hunderte Jobs, so rechnet der Verband vor, seien bereits verloren gegangen. Zusätzlich kämpften die Traditionsbetriebe gegen das boomende Online-Glücksspiel.

Und die Aussichten sind trübe. Laut einer vom DAW in Auftrag gegebenen Studie verdrängt der illegale Markt die legalen Daddelzentren mehr und mehr. Lag der Schwarzmarktanteil des gewerblichen Automatenspiels im Jahr 2022 zwischen 30 und 46 Prozent, könnten bis 2026 62 Prozent aller Automatenglücksspielgeräte illegal sein. Kringe bilanziert: „Die organisierten Banden machen sich die Taschen voll.“