Wolfsburg. Der Gewerkschafts-Boss fordert VW auf, sein Engagement in der chinesischen Uiguren-Region zu prüfen.

Die Aktivitäten von Volkswagen in der chinesischen Uiguren-Region sind umstritten. Im Interview mit unserer Zeitung erklärte der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann: „Inzwischen gibt es kaum einen Zweifel daran, dass in Xinjiang Menschenrechtsverletzungen stattfinden.“ Hofmann ist auch Mitglied im Aufsichtsrat des Autobauers. Zwar gebe es aktuell keinen Hinweis darauf, dass es bei VW selbst zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sei. „Dennoch ist insgesamt die Frage zu stellen, was es für das Renommee des Unternehmens bedeutet, dort weiter investiert zu sein“, sagte Hofmann.

Im autonomen Gebiet Xinjiang im Nordwesten Chinas lebt die muslimische Minderheit der Uiguren, die vom chinesischen Staat verfolgt werden. Zuletzt dokumentierten in verschiedenen Medien veröffentlichte Bilder und Dokumente („Xinjiang Police Files“), offenbare Folter sowie die Entrechtung von Uiguren in Internierungslagern. Volkswagen steht wegen seinem Engagement dort schon länger in der Kritik, verweist jedoch stets darauf, keine Zwangsarbeiter zu beschäftigen. Außerdem erklärte Volkswagen: „Uns sind keine Fälle bekannt, dass Mitarbeiter des Unternehmens Saic Volkswagen in Internierungslagern waren oder sind.“ Saic ist das chinesische Joint-Venture-Unternehmen des Autobauers.

Allerdings versagte das Bundeswirtschaftsministerium VW vor kurzem erstmalig eine Verlängerung von Investitionsgarantien – „aus menschenrechtlichen Gründen“. „Die Anträge hatten einen Bezug zu einer Betriebsstätte in der Provinz Xinjiang“, sagte eine BMWK-Sprecherin. VW lässt sich davon aber nach Informationen unserer Zeitung nicht hindern, geplante Investitionen dennoch umzusetzen, wenn auch nicht direkt in dem besagten Werk. Mehr dazu: VW-Chef verteidigt umstrittenes Werk in Uiguren-Region Xinjiang

Sollte VW sein Werk in Xinjiang schließen? Hierzu diskutieren Wirtschaftsredakteurin Hannah Schmitz und Wirtschaftsredakteur Christian Franz.

Pro: VW sollte Zeichen gegen Verfolgung setzen

Wann werden Beweise erdrückend? Und wann wird eine mitbestimmte Unternehmenspolitik, die vor Ort Menschen- und Arbeitsrechte in Vorbildfunktion durchführen will, ausgehöhlt?

Wirtschaftsredakteurin Hannah Schmitz.
Wirtschaftsredakteurin Hannah Schmitz. © regios24 | Darius Simka

Volkswagen betreibt mit seinem chinesischen Joint-Venture-Partner – wohlgemerkt als „Juniorpartner“ mit null Einfluss bei Personalentscheidungen – in der Uiguren-Region Xinjiang seit 2013 ein Produktionswerk. Dieses Werk, erklärte VW-Chef Herbert Diess in einem Podcast mit dem „Handelsblatt“, sei „wirtschaftlich völlig unbedeutend“. Warum VW dort trotzdem Autos herstellen lässt, begründete mal Niedersachsens Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsrat Bernd Althusmann (CDU) in einer Antwort auf eine Dringliche Anfrage der Grünen im Landtag: Es war der Wunsch der autokratischen chinesischen Regierung, den Westen des Landes wirtschaftlich weiter zu entwickeln.

Diese VW-Standortpolitik ist nicht verwerflich, sie spielt in fast jeder Ansiedlung einer großen Fabrik eine Rolle. Doch wenn jetzt die Beweislast für systematische Verfolgung und Folter uigurischer Menschen immer erdrückender wird – siehe „Xinjiang Police Files“ – dann muss sich VW fragen: Ändert unsere Präsenz dort etwas zum Guten? Offensichtlich ist das nicht der Fall. Vor dem moralischen Problem die Augen zu verschließen, geht aber auch nicht mehr.

Trotz der übergroßen Abhängigkeit von China muss VW jetzt auch seiner eigenen NS-Geschichte gerecht werden – und ein Zeichen setzen, indem es sich aus Xinjiang zurückzieht, zumindest zeitweilig. Denn als marktführende Hersteller hat Volkswagen auch eines: Einfluss.

Contra: Mit VW-Rückzug ist für die Uiguren nichts gewonnen

VW-Xinjiang schließen? Na klar, sofort raus. Diese Haltung sorgt moralisch für einen schlanken Fuß. Nur: So einfach ist es leider nicht. Denn auch ohne Volkswagen gibt es Xinjiang weiter. Vielmehr ist unbestritten, dass im Verantwortungsbereich des Konzerns in China keine Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Niemand muss blauäugig sein: VW vertritt seine wirtschaftlichen Interessen knallhart. Dennoch muss man dem Unternehmen einen fairen Umgang mit seinen 662.000 Beschäftigten zubilligen, weltweit. Die nachträgliche Aufarbeitung der brasilianischen Sklavenarbeit bestätigt das aktuell nur – VW stellt sich der Verantwortung.

Wirtschaftsredakteur Christian Franz.
Wirtschaftsredakteur Christian Franz. © regios24 | Darius Simka

Für die Uiguren wäre mit VWs Rückzug also nichts gewonnen. Die Jobs wären weg, die schützende Öffentlichkeitswirkung des Konzerns vor Ort gleich mit. Chinaweit wäre Volkswagens Chance geschwächt, durch sein Vorbild als verantwortungsvoller Arbeitgeber zu wirken.

Es ist übrigens keineswegs zynisch, darauf hinzuweisen, dass VWs Geschäftserfolg und das Wohlergehen der 660.000 Beschäftigten in hohem Maß vom chinesischen Markt abhängen. Das hat wenig mit Erpressbarkeit zu tun, aber viel mit Interessenausgleich. Fakten für Kritiker, die sich dennoch an VW abarbeiten: Es gibt noch 5000 weitere deutsche Firmen in China. Der deutsch-chinesische Außenhandel erreichte 2021 mehr als 245 Milliarden Euro. Wir alle kaufen hemmungslos chinesische Waren, ohne deren Fertigungsbedingungen zu kennen: Kleidung, Smartphones, Nippes – wir und die gesamte freie Welt. Es ist daher ungerecht, an VW ein Exempel zu statuieren. Selbst ein Weltkonzern kann nicht allein eine Aufgabe schultern, die originär der Politik zukommt.

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