Wolfsburg. Was sich für das VW-Werk Braunschweig in der Komponenten-Fertigung ändert, erläutern Vorstand Thomas Schmall und Geschäftsfeld-Leiter Otto Joos.

Das Volkswagen-Werk Braunschweig ist die älteste Fabrik im VW-Konzern, die Komponenten herstellt. Komponenten, das sind zum Beispiel Motoren, Getriebe und Bremsen. Aus Braunschweig kommen unter anderem Batteriesysteme für VW-Elektro-Modelle sowie Lenkungen. Der massive Wandel in der Autobranche berührt natürlich auch VW und damit die Komponenten-Fertigung. Was sich dadurch für die Komponente und das Werk Braunschweig verändert, erläutern Thomas Schmall, im Vorstand der Marke VW für die Komponente verantwortlich, und Otto Joos, bisher Leiter des Werks Braunschweig und künftig verantwortlich für das Komponenten-Geschäftsfeld Fahrwerk, im Interview mit Armin Maus und Andreas Schweiger.

Herr Schmall, VW wird tiefgreifend umgebaut, auf Elektro-Mobilität, Digitalisierung und das autonome Fahren ausgerichtet. Geht die Komponente da nicht unter?

Nein, ganz im Gegenteil. Die Eigenfertigung bietet Volkswagen auch in Zukunft die Möglichkeit, sich mit Alleinstellungsmerkmalen vom Wettbewerb abzuheben. Deshalb werden wir die Komponente zum nächsten Jahr neu ausrichten.

Was bedeutet das?

Dass wir noch mehr unternehmerische Verantwortung als bisher haben – für unsere Produkte, unsere Prozesse, unsere Gewinne. Die Veränderungsgeschwindigkeit nimmt ständig zu. Da wollen wir nicht hinterher, sondern ganz vorne mitfahren. Wir richten uns neu aus! Das gilt für alle Komponentenwerke weltweit, in denen rund 80.000 Menschen arbeiten.

Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?

Wir untergliedern die Komponente in fünf neue Geschäftsfelder: Motor und Gießerei, Getriebe und E-Antriebe, E-Mobilität, Fahrwerk sowie Sitze. Sie sind künftig verantwortlich für den gesamten Prozess – von der Entwicklung über die Beschaffung bis zur Produktion. Der jeweilige Geschäftsfeldleiter übernimmt die unternehmerische Steuerung, und er arbeitet eng mit den einzelnen Werkleitern zusammen. Übergeordnet steuern Zentralstellen die Geschäftsfelder und gewährleisten, dass die Ressourcen der Geschäftsfelder am „Big Picture“ orientiert sind – also an den Bedürfnissen des Konzerns ausgerichtet werden.

Wird der Erfolg beziehungsweise Misserfolg der Geschäftsfelder in Zahlen sichtbar werden?

Ja, es wird für alle Geschäftsfelder intern ein operatives Ergebnis ausgewiesen. Das heißt, wir werden harte unternehmerische Ziele bekommen, können aber auch unternehmerisch arbeiten. Durch den positiven Wertbeitrag der Komponente werden wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen.

Und wir müssen künftig die Investitionen für unsere Entwicklungen selbst verdienen.

Reicht die Ansage, dass nun auch die Komponentenfertigung umgebaut wird? Erreichen Sie so Ihre Leute?

Nein, dazu gehört schon mehr, denn durch den Umbau verändert sich sehr viel. Dazu gehört auch, dass zahlreiche Mitarbeiter einen neuen Arbeitsplatz mit neuen Aufgaben bekommen. Für die Transformation sind daher drei Faktoren entscheidend: die Kommunikation, um alle Mitarbeiter anzusprechen und mitzunehmen. Zweitens müssen die Mitarbeiter für ihre neuen Aufgaben qualifiziert werden. Und drittens müssen die Führungskräfte zur Transformation stehen und sie vorleben.

Der vor zwei Jahren vereinbarte „Zukunftspakt“ bereitet den nun anstehenden, tiefgreifenden Umbau vor. Die Fabriken sollen produktiver werden, Arbeitsplätze werden abgebaut. Wo steht das Werk Braunschweig?

Der Zukunftspakt skizziert die Kostensenkungen bis 2020. Braunschweig ist voll im Plan. Die Produktivität ist gestiegen, es gibt deutlich mehr Disziplin bei Komponenten-Investitionen.

Damit ist die Entwicklung aber nicht am Ende?

Nein, das gilt für die gesamte Komponentenfertigung. In fünf Jahren wird sie keine 80.000 Mitarbeiter mehr beschäftigen. Es wird ein Abschmelzen der Belegschaften geben, für das wir die demografische Kurve nutzen.

Wo steht das Werk Braunschweig in fünf Jahren?

Dann ist es gut aufgestellt und wird sich zu einem Zebrawerk entwickelt haben.

Was bedeutet das?

Wir werden dann in Braunschweig sowohl neue Produkte wie Batteriesysteme, aber eben auch klassische wie Lenkungen produzieren. Dieser Mix ist wichtig, weil die bewährten Technologien die neuen in den ersten Jahren mitfinanzieren müssen.

Woraus leitet sich das Produktportfolio ab?

Aus den Stärken, die jedes Werk entwickelt hat, aus den Bedürfnissen des Konzerns, und aus dem Gespür für künftige Entwicklungen. Eine Braunschweiger Spezialität ist das Fahrwerk, deshalb wird das Werk Kern des Geschäftsfelds Fahrwerk sein. Perfektioniert wurde in Braunschweig auch die Schweißtechnik. Weil in Braunschweig vor Jahren schon eine eigene Entwicklung aufgebaut wurde, konnten neue Geschäftsfelder wie die Fertigung von Batteriesystemen erschlossen werden. Darauf wird es auch in Zukunft ankommen: Das Werk muss sich infrage stellen und neue Produkte, die die Beschäftigung sichern, aufspüren. Ganz eng verbunden mit den Batteriesystemen ist zum Beispiel der Leichtbau, weil es in E-Autos mehr denn je darauf ankommt, Gewicht zu reduzieren.

Ein neues Geschäftsfeld könnte auch die Zweitverwertung von Batteriesystemen sein. Sie könnten zum Beispiel in mobilen Ladesäulen eingesetzt werden. Wir müssen dann schauen, ob wir die Ladesäulen selber fertigen. Wichtig ist es aber, dass wir uns immer wieder neu erfinden. Die Kunst dabei ist, bei neuer Technik nicht zu früh auf- und bei alter Technik nicht zu spät abzuspringen.

Außerdem muss uns immer bewusst sein, dass wir nicht alles selbst produzieren können. Wir müssen uns also auch von Geschäftsfeldern trennen. In Braunschweig ist das die Kunststofffertigung, weil sie sehr schwer wettbewerbsfähig zu halten ist – zum Beispiel im Vergleich zur Produktion von Batteriesystemen. Wir dürfen nicht zu breit werden, um nicht an Agilität zu verlieren. Es geht vor allem darum, Fokus zu behalten und Geschwindigkeit aufzunehmen.

Wird die Komponente künftig ihre Produkte auch an externe Kunden verkaufen?

Ja, das ist durchaus denkbar, im Rahmen von strategischen Partnerschaften und Direktanfragen. Für Braunschweig arbeiten wir zum Beispiel für das Segment Lenkungen an entsprechenden Konzepten.

Würde VW dann nicht ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal aufgeben?

Nein, weil der Schlüssel für das Alleinstellungsmerkmal unserer Lenkungen die Software ist. Die würden wir deshalb nicht abgeben, sondern nur die Hardware der Lenkungen.

Die Herausforderung im modernen Fahrzeugbau ist stets, Soft- und Hardware zu einem System zusammenzuführen, in dem sich der Kunde wohlfühlt. Deshalb erleben wir, dass es für Softwareentwickler nicht einfach ist, Autos in hoher Stückzahl zu industrialisieren. Wir im Konzern und in der Konzern-Komponente dagegen können das.