New York. Amerikanische Wissenschaftler haben eine Resolution unterzeichnet, die die Einschätzung tierischer Intelligenz komplett erneuert.

  • In den vergangenen Jahre konnte die Menschheit viele neue Erkenntnisse über die kognitiven Fähigkeiten von Tieren sammeln
  • Forscher haben eine Erklärung veröffentlicht, in der sie ein Umdenken fordern
  • Darin heißt es: Es gebe „starke wissenschaftliche Belege“ dafür, dass Vögel und Säugetiere bewusste Erfahrungen machen können, und eine „realistische Möglichkeit“ für ein Bewusstsein bei allen Wirbeltieren besteht

Das Verständnis über die kognitiven Fähigkeiten von Tieren hat in den vergangenen fünf Jahren enorme Sprünge gemacht. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Krähen ihren Nachwuchs in die Schule schicken, Bienen spielen, indem sie Holzkugeln rollen, Raben reiten ebenso aus Spaß auf Wildschweinen, Elefanten trauern um verstorbene Familienmitglieder. Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Reihe von Lebewesen Anzeichen für ein Bewusstsein sein hat, von denen man dies bisher nicht angenommen hatte – darunter auch Insekten, Fische und Krebstiere.

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Spitzenforscher veröffentlichen Erklärung über das Bewusstsein von Tieren

Eine Gruppe von Spitzenforschern auf diesem Forschungsgebiet hat deshalb eine neue Erklärung verfasst, um die Öffentlichkeit zu einem Umdenken in diesem Bereich aufzufordern. Fast 40 Wissenschaftler haben die „New Yorker Erklärung über das Bewusstsein von Tieren“ unterzeichnet, die am Freitag auf einer Konferenz an der New York University erstmals vorgestellt wurde.
In der Erklärung heißt es, es gebe „starke wissenschaftliche Belege“ dafür, dass Vögel und Säugetiere bewusste Erfahrungen machen können, und eine „realistische Möglichkeit“ für ein Bewusstsein bei allen Wirbeltieren besteht – einschließlich Reptilien, Amphibien und Fischen. Diese Möglichkeit gilt auch für viele wirbellose Lebewesen, wie Insekten, Krabben, Hummer und Kopffüßer wie Oktopusse und Tintenfische.

Die letzten zehn Jahre waren bahnbrechend für den Forschungsbereich

„Wenn die realistische Möglichkeit besteht, dass ein Tier bewusste Erfahrungen macht, ist es unverantwortlich, diese Möglichkeit bei Entscheidungen, die dieses Tier betreffen, zu ignorieren“, so der Appell der Forscher. „Wir sollten die Risiken für das Wohlergehen der Tiere in Betracht ziehen und die Beweise nutzen, um unsere Antworten auf diese Risiken zu finden.“

Jonathan Birch, Professor für Philosophie an der London School of Economics und leitender Forscher des Projekts Foundations of Animal Sentience, ist einer der Unterzeichner der Erklärung. Er betont, dass die jüngeren Forschungsergebnisse bisherige Annahmen widerlegen, wonach die Frage nach dem Bewusstsein von Tieren nicht zu beantworten sei: „Die letzten zehn Jahre waren für die Erforschung des tierischen Bewusstseins sehr aufregend“, sagte Birch. „Die Menschen wagen sich in einer Art und Weise vor, wie sie es vorher nicht getan haben, und ziehen die Möglichkeit in Betracht, dass Tiere wie Bienen und Tintenfische eine Form von bewusstem Erleben haben könnten.“

Abkehr von alten Forschungsdogmen

Das umfasst die Fähigkeit, die Außenwelt bewusst wahrzunehmen und damit zu interagieren, daraus zu lernen sowie Gefühle wie Freude oder Schmerz empfinden zu können. In einigen Fällen entwickeln Tiere ein gewisses Maß an Selbsterkenntnis. Die New Yorker Erklärung bricht mit althergebrachten Dogmen. Im 17. Jahrhundert vertrat der französische Philosoph René Descartes eine bis heute verbreitete Ansicht, dass Tiere lediglich „materielle Automaten“ seien: rein instinktgesteuert und emotionslos.

Viele Wissenschaftler lehnen es bis heute ab, bei Tieren Empathie oder Trauer zu unterstellen, weil man damit menschliche Kategorien auf die Tierwelt übertrage. Demnach widmete sich die Forschung dem Verhalten von Tieren unter rein mechanistischen Gesichtspunkten. Ein Umdenken begann erst in den 60er Jahren mit der tieferen Erforschung der Primaten und deren erstaunlichen Fähigkeiten.

Vielleicht müssen auch die rechtlichen Grundlagen überdacht werden

Birch betont: Die Erklärung versuche neue Türen für die Forschung an kognitiven Fähigkeiten von Tieren zu öffnen. Das ist in der jüngeren Vergangenheit bereits geschehen, mit ganzen Batterien von neuen Tests, mit denen Tiere auf ihre Problemlösungsstrategien getestet wurden. Es gibt den berühmten Spiegelmarkentest, der erkennen lässt, ob eine Art Selbsterkenntnis vorliegt: Ein Tier bekommt einen roten Punkt angeheftet, dann wird beobachtet, ob es den Fleck am eigenen Körper entfernen möchte oder am Spiegelbild.

Diesen Test hat jüngst erstaunlicherweise ein Putzerfisch bestanden. Es gibt neue Methoden der Kommunikationsforschung, mit denen entschlüsselt wurde, welche komplexe Informationen einzelne Tierarten austauschen. Affen und Delphine sind zu erstaunlichen Leistungen fähig, bis hin zur Lösung mathematischer Aufgaben. Auch Tintenfische oder Krähenvögel sind zu Problemlösungen und zu spielerischem Verhalten fähig. Inzwischen seien die Forscher auch fähig, eine „viel breitere Palette von Tieren zu untersuchen“, so Birch. Zum Beispiel auch Insekten – speziell bei den Staaten-bildenden Arten oder bei Spinnen gebe es in den vergangenen Jahren erstaunliche Erkenntnisse.

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Mit der New Yorker Erklärung wollen die Forscher erreichen, dass das veränderte Verständnis von der Empfindungsfähigkeit von Tieren auch ein neues Nachdenken über rechtliche Grundlagen der Tierhaltung generell infrage zu stellen. In Großbritannien ist das bereits geschehen: Dort gelten Tintenfische mittlerweile als empfindungsfähige Wesen – ebenso wie Krabben und Hummer.