Braunschweig. Speicher, Leitungen und vernetzte Technik sind künftig nötig, damit die Energiewende gelingen kann.

Windräder drehen sich an und in der Nordsee, Solarzellenfelder und Biogasanlagen finden sich auf Feldern und Höfen im ganzen Land. Der durch diese erneuerbaren Quellen erzeugte Strom macht heute fast 40 Prozent der Elektrizitätsproduktion in Deutschland aus. Das geht aus Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft hervor.

„In 50 Jahren könnte sich diese Zahl bereits verdoppelt haben“, sagt Ralph Montag, Pressesprecher des Netzbetreibers Avacon, der seine Zentrale in Helmstedt und eine Niederlassung in Salzgitter hat. Zusammen erzeugten Grünstromanlagen schon heute mehr als doppelt so viel Energie , wie eigentlich benötigt würde – und das zu Spitzenverbrauchszeiten, wie etwa an kalten Wintertagen.

Montag kann sich vorstellen, dass gerade die Elektromobilität zum weiteren Ausbau erneuerbarer Energien beitragen kann. Wie das? „Bereits in ein paar Jahren wird es einen großen Markt für gebrauchte Batterien geben“, erläutert er. Der Grund: Die Energiequellen der Elektroautos hätten schon heute eine höhere Lebenserwartung als die Karosserie. Doch könnten sie nicht einfach so in Lagerhallen herumliegen, sondern müssten regelmäßig genutzt und wieder aufgeladen werden – damit sie nicht kaputtgehen. Diese technische Notwendigkeit sei eine Chance: „Die Batterien können miteinander verbunden werden, um auf diese Weise Batteriekraftwerke zu schaffen, die ihrerseits wieder Energie ins Stromnetz abgeben“, sagt Montag. Doch hinter einer tatsächlichen Umsetzung stünden heute noch viele Fragezeichen.

Fehlende Stromleitungen

Bis auf Weiteres bleibe es Utopie, komplett auf konventionelle Energiequellen zu verzichten. Denn: Um zu Spitzenerzeugungszeiten beispielsweise die Windenergie aus dem rauen Norden in den ruhigeren Süden zu transportieren, braucht es die nötigen Stromleitungen. Nicht selten sorgen jedoch die Einsprüche von Bürgern gegen die Trassenplanung oder Einwände aufgrund von Naturschutzaspekten für Verzögerungen bei Planung und Bau dieser großen Leitungen.

Die für den länderübergreifenden Trassenausbau verantwortliche Bundesnetzagentur gibt den Naturschützern Recht: „Der Arten- und Naturschutz wird durch umfangreiche Vorgaben des nationalen und europäischen Rechts geschützt – und die Bundesnetzagentur berücksichtigt diese bei ihren Entscheidungen“, schreibt eine Sprecherin auf Anfrage unserer Zeitung. Gleichzeitig sei man sich aber bewusst, dass nicht alle Interessen in gleichem Maße zufriedengestellt werden könnten. Zeitliche Prognosen für den Abschluss einzelner Arbeitsschritte seien schwierig. An vielen Stellen wurden die ursprünglich als Überlandleitung geplanten 380.000 Volt-Trassen unter die Erde verlegt. Dafür mussten oft alternative Routen gefunden werden – das kostete zusätzliche Zeit. Trotzdem ist die Bundesnetzagentur zuversichtlich, dass die wichtigsten Leitungen noch vor dem geplanten Ende der Kohlestromerzeugung fertig werden: „Alle Inbetriebnahmedaten liegen aktuell vor dem Klimaziel 2030“, heißt es in dem Antwortschreiben.

Beim Netzbetreiber Avacon, der nur Stromleitungen bis zu 110.000 Volt betreibt, ist die Ökostromeinspeisung ins Netz etwa vier Mal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Im Jahressaldo wird bereits seit Jahren mehr Ökostrom eingespeist, als überhaupt verbraucht wird. Die Konsequenz: Aus dem Avacon-Netz werden regelmäßig große Strommengen in Nachbarnetze und auf 380.000 Volt-Leitungen abtransportiert. Sind diese jedoch überlastet, funktioniert das nicht mehr, so Experte Montag.

Speicherlösungen gesucht

Erschwerend hinzu kommt: Nicht immer scheint die Sonne, nicht immer ist es windig – Grünstromanlagen sind unzuverlässig, die Menge an erzeugter Energie stark schwankend. Mit dem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien würden diese Schwankungen weiter zunehmen, sagt Ralph Montag.

In der Energiebranche tüftelt man deshalb sowohl an mechanischen als auch chemischen Möglichkeiten der Speicherung. In einem Druckluftspeicher beispielsweise – einer unterirdischen Kaverne – wird die überschüssige Energie aus Grünstromanlagen als Druckluft gespeichert. In Zeiten ohne Wind und Sonne kann diese dann wieder freigesetzt werden, um einen Generator anzutreiben. Auf diese Weise wird aus der komprimierten Luft wieder elektrische Energie. Beim „Power-to-Gas“-Verfahren wird der überschüssige Strom dagegen zur Elektrolyse genutzt und Wasserstoff erzeugt, der anschließend dem Erdgas hinzugefügt und zur Wärmeerzeugung eingesetzt werden kann. Doch beide Verfahren sind technisch sehr aufwendig und verursachen entsprechende Kosten.

Eine weitere Option wären Pumpspeicherkraftwerke. Diese könnten in Spitzenzeiten der Stromerzeugung Wasser aus einem See in ein höher gelegenes Staubecken pumpen. Im Bedarfsfall kann das Wasser abgelassen werden, um eine Turbine mit einem angeschlossenen Generator zur Stromgewinnung anzutreiben.

Einige solcher Kraftwerke gibt es in Deutschland bereits. Doch geeignete Standorte sind begrenzt, vor allem aufgrund von Naturschutzaspekten. Der Harz käme zum Beispiel topographisch in Frage, sei aber bereits durch seine Trinkwassertalsperren belegt, in die eine solche Technik nicht ohne Weiteres integriert werden könne, sagt Montag. Außerdem gingen bei jeder Umwandlung bis zu 20 Prozent der elektrischen Energie verloren.

Smarte Geräte als Lösung?

Derzeit wird in der Wissenschaft ein weiterer Lösungsansatz diskutiert: Künftig werde es von der Intelligenz und Vernetzung technischer Geräte abhängig sein, wie effektiv der erzeugte Grünstrom genutzt werden kann. Ralph Montag nennt als Beispiel Kühlhäuser, deren Temperatur stärker als nötig gesenkt wird, wenn besonders viel und damit günstiger Ökostrom zur Verfügung steht – als Puffer für eine Zeit, in der die Windräder mal stillstehen. Denkbar ist, dass sich ein solches System eines Tages auch auf Kühltruhen oder andere energieintensive Geräte in Haushalten übertragen lässt.

„Wie viele Verbraucher hier mitmachen und Ihr Verbrauchsverhalten solchen Rahmenbedingen unterwerfen würden, wird allerdings derzeit erst erforscht“, sagt Montag. Solange es noch keine ausreichenden Stromspeichermöglichkeiten gibt, sehen Experten jedoch noch kein Ende für konventionelle Kraftwerke gekommen.

„Ich tue mich schwer damit, zu sagen, dass wir in Zukunft vollkommen nachhaltigen Strom produzieren. Aber wir werden sehr nah dran sein“, sagt Montag. Denn: „Die Energiewelt von morgen wird kleinteiliger, vernetzter, flexibler und damit vor allem dezentraler und interaktiver organisiert sein.“