Berlin. Ein BGH-Urteil gilt in Expertenkreisen als „wertvoller Weckruf“. Was Betroffene wissen sollten.

Seit 2009 sind Ärzte verpflichtet, Patientenverfügungen umzusetzen. Der Wille muss aber konkret formuliert sein.
Seit 2009 sind Ärzte verpflichtet, Patientenverfügungen umzusetzen. Der Wille muss aber konkret formuliert sein. © Christian Ender/dpa

Etwa jeder dritte Erwachsene in Deutschland hat laut einer Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach eine Patientenverfügung. Besonders hoch ist der Anteil bei den über 60-Jährigen. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat jetzt einmal mehr verdeutlicht: Schwammige Formulierungen können die Verfügung im Ernstfall wertlos machen.

Was hat der BGH entschieden?

Konkret verhandelt worden ist der Fall einer Seniorin, die Ende 2011 einen Schlaganfall erlitten hatte. In der Klinik stimmte sie zu, dass ihr eine Magensonde gelegt wird – zur Medikamentengabe und für die Ernährung. Nach dem Klinikaufenthalt kam die Frau ins Pflegeheim. 2013 erlitt sie dort epileptische Anfälle. Seitdem befindet sie sich in einem komaähnlichen Zustand. Sprechen kann sie nicht mehr.

Die Frau besaß zwei gleichlautende Patientenverfügungen aus den Jahren 2003 und 2011, in denen es hieß: Im Falle einer dauerhaften Hirnschädigung nach Unfall oder Krankheit sollen „lebensverlängernde Maßnahmen unter- bleiben“.

Die Verfügung war mit einer Betreuungsvollmacht verbunden, die auf eine ihrer Töchter ausgestellt war. Die Bevollmächtigte und die Hausärztin der Seniorin entschieden: Ein Abbruch der künstlichen Ernährung widerspreche gegenwärtig dem Willen der Betroffenen.

Zwei weitere Töchter der Patientin sahen das anders und zogen vor Gericht. In dritter Instanz musste sich der BGH mit der Frage befassen und entschied: Die Formulierung „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ enthalte keine konkrete Behandlungsentscheidung (Az., XII ZB 61/16). Die Ablehnung der künstlichen Ernährung sei daraus nicht eindeutig herauszulesen.

Was bedeutet das Urteil?

Der Verbraucherzentrale Bundesverband geht davon aus, dass sehr viele Patientenverfügungen unwirksam sein könnten, weil sie zu unpräzise sind. Die Leiterin der gemeinnützigen Bundeszentralstelle Patientenverfügung, Gita Neumann, nennt das Urteil „einen wertvollen Weckruf“. Für Rechtsanwalt und Notar Andreas Lohmeyer, Experte für Patientenverfügungen, ist der verhandelte Fall exemplarisch für unzählige Fälle, die nicht öffentlich werden. „Hier wird einmal mehr deutlich, dass nicht egal ist, was ich schreibe. Eine Patientenverfügung muss dem Stresstest standhalten, dem Fall also, dass Uneinigkeit herrscht zwischen Familienangehörigen und Ärzten und ich selbst nicht mehr bestimmen kann.“

Was ist beim Verfassen der

Verfügung zu beachten?

Experten zufolge ist es unmöglich, mit einer Patientenverfügung alle Eventualitäten abzudecken. „Die Verfügung kann aber vermeidbare Missverständnisse so weit wie möglich ausschließen“, so Lohmeyer. Wichtig sei eine präzise juristisch-medizinische Formulierung. „Es geht darum, den Adressaten – Ärzten und Pflegepersonal – eine Handlungsanweisung zu geben, sei es für den Sterbeprozess oder zum Beispiel für die Gabe von Schmerzmitteln in einer Dosierung, die eigentlich nicht gesund ist und als Nebenwirkung sogar das Leben verkürzen kann.“ Der Rechtsanwalt und Notar rät dazu, keine Auslegungsfragen oder Widerspruche zuzulassen.

Auch nach Einschätzung der Verbraucherzentrale NRW sollte die Verfügung konkrete Handlungsanweisungen enthalten. Etwa für eine Behandlung einer Krebserkrankung im Endstadium oder eine künstliche Ernährung, die lediglich den Prozess des Sterbens verzögert. „Beim Abfassen einer Patientenverfügung sollten ein Arzt und ein Jurist hinzugezogen werden“, rät Juristin Christiane Rock, Expertin für den Gesundheitsmarkt bei der Verbraucherzentrale NRW. Für Gita Neumann sollten drei Situationen abgedeckt sein: der Sterbeprozess bei einer unheilbaren Krankheit, plötzliche Gehirnschäden durch einen Unfall sowie langsam voranschreitende, etwa durch Demenz.

Wo bekomme ich Orientierung

und Hilfe bei der Erstellung?

Das Bundesjustizministerium hat gemeinsam mit Partnern – etwa der Beratungsstelle Patientenverfügung und der Ärzteschaft – eine Informationsbroschüre zum Thema zusammengestellt. Sie kann auf der Internetseite des Ministeriums (www.bmjv.de) unter der Rubrik Service/Publikationen heruntergeladen werden. Die Broschüre enthält auch Textbausteine. Diese sollten aber nur als Anregung und Formulierungshilfe dienen. Bei der Umsetzung der Verfügung helfen Hospizvereine, kirchliche Einrichtungen, Verbraucherzentralen, die Bundeszentralstelle Patientenverfügung (www.patientenverfuegung.de) oder Rechtsanwälte und Notare mit entsprechendem Arbeitsschwerpunkt. Beratung und Hilfe beim Verfassen sind meist kostenpflichtig. „Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, kann bei ihr anfragen, ob sie die Kosten oder einen Teil davon übernimmt“, rät Christiane Rock.

Muss ich meine Verfügung

laufend aktualisieren?

TIPP

Das Bundesministerium für Justiz empfiehlt, die Patientenverfügung mit einer Betreuungsvollmacht zu koppeln. Der Bevollmächtigte sollte den Inhalt der Verfügung kennen.

Im Notfall müssen Ärzte, Bevollmächtigte oder Betreuer schnell auf die Patientenverfügung zugreifen können. Laut Verbraucherzentrale NRW ist es hilfreich, immer einen Hinweis bei sich zu tragen, wo die Verfügung aufbewahrt wird.

„Der Hinweis sollte zudem meinen Namen und den Namen zweier Ansprechpartner enthalten“, rät Christiane Rock.