Braunschweig. Seit etwa zehn Jahren verdienen Medien in sozialen Netzwerken Geld mit Clickbaiting. Das ruft Kritik hervor.

Die Strategie ist einfach und funktioniert. Mit emotionalen und reißerischen Überschriften versuchen immer mehr Medien, in sozialen Netzwerken Menschen zu ködern und zum Klick auf den Artikel und damit auf die eigene Webseite zu bewegen. Je höher die Klickzahlen, desto bessere Chancen haben die Unternehmen später bei Werbeeinnahmen. Das Prinzip nennt sich Clickbaiting und existiert seit knapp zehn Jahren.

„Sollte Clickbaiting in sozialen Netzwerken nicht überwacht werden, könnte es sich zu Spam entwickeln.“
„Sollte Clickbaiting in sozialen Netzwerken nicht überwacht werden, könnte es sich zu Spam entwickeln.“ © Martin Potthast, wissenschaftlicher Mitarbeiter aus Weimar

Im deutschen Markt gehört „Heftig“ zu den Seiten, die diese Vorgehensweise am erfolgreichsten betreiben. Das IT-Unternehmen Similar Web gibt an, dass „Heftig“ fast 90 Prozent der Klicks über soziale Netzwerke und hier wiederum 99,5 Prozent über Facebook generiert.

So landen die Nutzer auf den Webseiten der Medien

Mehr als 20 000 Reaktionen bei Facebook und Twitter gab es auf den „Heftig“-Artikel von Dienstag mit der Überschrift „Der Obdachlose weigert sich, den Laden zu verlassen. Doch was der Polizist dann sieht, bricht ihm das Herz“. Beim Klick auf den Text erfahren die Leser, dass der Obdachlose keine Schuhe hat und der gutherzige Polizist ihm neue Stiefel, Socken und Handschuhe kauft. Fraglich ist, ob die Nachricht auch in einem anderen Medium mit einem solchen Erfolg veröffentlicht worden ist. Diskutiert wird abgesehen davon auch immer, ob sämtliche Meldungen überhaupt glaubwürdig sind.

„Clickbaiting ist sehr problematisch beim Focus. Er schickt sich damit an, unseriös zu werden.“
„Clickbaiting ist sehr problematisch beim Focus. Er schickt sich damit an, unseriös zu werden.“ © Anton Klees, Geschäftsführer von „Active Value“aus Düsseldorf

Der Weimarer Wissenschaftler Martin Potthast kam vor einem Jahr erstmals bei Twitter mit Clickbaiting in Kontakt. Er kritisiert das Konzept trotz des Erfolgs aus einem weiteren Grund: „Im Idealfall würden mir sofort alle Informationen in gekürzter Form zur Verfügung gestellt und nicht in der Überschrift oder dem Teaser verschleiert. Es ist fragwürdig, wenn die Absender Nachrichten formulieren, die gefühlt nur darauf aus sind, meinen Klick zu erzeugen, anstatt mich mit tollen Inhalten zu locken.“

Um den Klick zu bekommen, nutzen die Medien verschiedene Kniffe. „Es gibt beispielsweise Vorwärtsreferenzen, etwa ’Das ist gut‘, oder Nachrichten, die dem Leser unterstellen, dass er etwas falsch macht oder nicht weiß.“

Auch auf psychologischer Ebene kann der Erfolg von Clickbaiting erklärt werden. Hier fällt der Begriff der „Curiosity Gap“, den der amerikanische Ökonom George Loewenstein geprägt hat. Dieser sagt aus, dass bei Menschen, die eine Wissenslücke auf Basis der Überschrift verspüren, Neugier entsteht. Und die muss befriedigt werden, wie bei einem Trieb. Umso besser, wenn der entsprechende Link direkt mitgeliefert wird.

Der „Heftig“-Artikel „Das passiert mit deinem Körper, wenn du 3 Datteln am Tag isst. Ich hatte ja keine Ahnung“ beschreibt, dass etwa Leber, Herz und Augen von den Früchten profitieren – allerdings erst nach dem Klick auf den Artikel. Potthast: „Die Frage ist: Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der wir als Nutzer von sozialen Medien so reingelegt werden?“

Focus Online ist vor gut einem Jahr mit Erfolg auf diesen Zug aufgesprungen. Im September 2015 wurden die Münchener das Online-Nachrichtenmedium Nummer Eins in Deutschland vor Bild. Das Ergebnis basierte auf der Zahl der Unique User. Das bedeutet: egal wie oft ein oder mehrere Nutzer von einem PC oder einem Smartphone die Seite aufrufen – die Besuche werden jeweils nur einmalig berücksichtigt. Im Dezember übernahm Bild wieder knapp die Führung.

Anton Klees, Geschäftsführer der Düsseldorfer Firma Active Value, ermittelt mit dem Portal „10 000 Flies“, wie viele Reaktionen, also Likes, Shares oder Kommentare, die geposteten Artikel in den sozialen Netzwerken bekommen. „Gerade beim Focus sehe ich Clickbaiting als sehr problematisch an. Wenn man dreimal enttäuscht wurde, ist die Frage, ob das Vertrauen beim vierten Posting immer noch da ist. Focus schickt sich damit immer mehr an, eine unseriöse Quelle zu werden. Für dieses Medium ist das keine nachhaltige Strategie“, meint er.

Anders sieht er das Clickbaiting bei „Heftig“, die das Genre für sich adaptiert hätten. „Das ist nicht blöd. Von ihnen erwartet man nichts anderes, denn sie haben nur diese Vorgehensweise und versprechen daher nicht mehr.“

Der Weimarer Wissenschaftler Potthast möchte dem Clickbaiting entgegenwirken und versucht derzeit eine Software zu entwickeln, die entsprechende Nachrichten aus der Facebook-Timeline oder bei Twitter herausfiltern kann.

In einer bereits abgeschlossenen Pilotstudie haben drei Probanden 3000 Tweets der 20 erfolgreichsten englischsprachigen Seiten in vier Kategorien eingeordnet – von keinem bis starkem Clickbait. Zwischen Kategorie zwei und drei zogen die Wissenschaftler eine Grenze. Tweets, die mehrheitlich darüber lagen, wurden als Clickbaits eingestuft, die übrigen nicht. Parallel dazu testeten die Forscher eine Software, die Schreibstile oder positive und negative Worte erkennen kann.

Im Ergebnis zeigte sich einerseits, dass sich Menschen nicht immer einig sind, was Clickbaiting ist. Die Software klassifizierte 80 Prozent der Testdaten richtig, erkannte also vier von fünf Tweets, die Clickbaits sind und umgekehrt. Im nächsten Schritt will Potthast mit seinen Kollegen einen noch größeren Datensatz auswerten lassen. Das Projekt wird von Google mit 50 000 Euro gefördert. „Uns schwebt vor, 30 000 Tweets von zehn Menschen und der Software bewerten zu lassen“, sagt Potthast. Wann und wie die Software genutzt werden soll, ist aber noch unklar.

MESSGRÖSSEN IM INTERNET

Der Erfolg einer Webseite zeigt sich häufig in Messgrößen. Das sind vier wichtige:

Der Unique Visitor ist ein Besucher, der innerhalb eines Zeitraums eine Webseite mehrmals besucht, aber aufgrund von Cookies nur einmalig gezählt wird. Sollte der Besucher allerdings mit Smartphone, Laptop und PC die Seite aufsuchen, so wird sein Besuch dreimal gezählt.

Unter einem Visit ist der Besuch einer Seite zu verstehen, bei dem einzelne Unterseiten aufgerufen werden. Wenn ein Besucher 30 Minuten keine neue Seite aufruft, so gilt das als Ende des Visits. Öffnet er nach dieser Pause die Seite erneut, ist das sein zweiter Visit.

Die Page Impressions geben an, wie viele Unterseiten die Nutzer beim Besuch der Webseite durchschnittlich aufgerufen haben.

Time on Site zeigt an, wie viel Zeit die Nutzer auf den jeweiligen Webseiten verbracht haben. Den Seitenbetreibern wird damit klar, wie intensiv die Inhalte angeschaut werden.