Braunschweig. Eine stichprobenartige Erhebung kommt zu dem Ergebnis, dass Kassenpatienten durchschnittlich 24 Tage länger auf einen Termin beim Facharzt warten müssen als Privatpatienten.

Kassenpatienten warten im Durchschnitt 24 Tage länger auf einen Termin bei einem Facharzt als Privatpatienten. Das ist das Ergebnis einer im Juli durchgeführten stichprobenartigen Erhebung, die die Grünen-Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon aus Göttingen in Auftrag gegeben hatte. Insgesamt haben die Datenerheber in 340 Facharztpraxen in acht Regionen in Niedersachsen je zweimal in kurzen Abständen hintereinander angerufen und um einen Termin gebeten – einmal als Kassenpatient und einmal als privat Versicherter. Dabei wurden acht Fachrichtungen untersucht: Haut, Auge, Hals-Nasen-Ohren, Neurologie, Kardiologie, Radiologie, Innere Medizin und Orthopädie.

Spitzenreiter ist Lüneburg, wo Kassenpatienten 41 Tage länger auf einen Facharzttermin warten als Privatpatienten. Die Region Braunschweig, Wolfsburg, Goslar landete mit einer längeren Wartezeit von 30 Tagen auf Platz zwei. In elf der 340 zufällig ausgewählten Praxen haben die Datenerheber als Kassenpatienten keinen Termin bekommen, weil das Praxispersonal zum Beispiel am Telefon sagte, dass keine neuen Patienten angenommen werden. Als Privatpatient hat man in derselben Praxis allerdings meist relativ zeitnah einen Termin bekommen.

„Dieses Phänomen ist sehr selten“, sagt Dr. Uwe Köster, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Generell sei zu beobachten, dass immer mehr Praxen stark ausgelastet sind und am Rande ihrer Kapazitäten arbeiten. Dazu führe eine alternde Gesellschaft mit mehr chronisch kranken Patienten, aber auch eine „Gewöhnungsmentalität“: Im Vergleich zu anderen Ländern sei der Zugang zum Arzt bei uns kaum beschränkt und werde auch bei geringfügigen Beschwerden rasch in Anspruch genommen. Daher könne es zu Kapazitätsengpässen kommen.

Die Gründe für unterschiedlich lange Wartezeiten sind vielfältig: Die demografische Situation vor Ort hat Auswirkungen auf den Andrang in den Arztpraxen. Außerdem spielt die Arztdichte eine Rolle. In Osterode oder Göttingen gibt es mehr Ärzte pro Kopf als etwa in Braunschweig oder Wolfsburg. Hier warten die Kassenpatienten grundsätzlich länger, was sich dann im Vergleich zu den Privatpatienten besonders bemerkbar macht.

Schneller an der Reihe sind nach wie vor meist Privatversicherte – das ist auch das Ergebnis einer Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die sie Anfang Juli veröffentlicht hatte. Demnach mussten elf Prozent der Kassenpatienten mehr als drei Wochen Wartezeit hinnehmen, dagegen nur vier Prozent der Privatversicherten. Es gebe „Serviceunterschiede bei den Wartezeiten“, räumt Köster ein. Bei der Behandlung selbst gebe es aber keinen Unterschied zwischen Kassen- und Privatpatienten.

„Für die Behandlung von Privatpatienten lässt sich mehr Honorar abrechnen. Da Arztpraxen betriebswirtschaftlich kalkulierte Unternehmen sind, können sie es sich nicht leisten, auf diese Einnahmequelle zu verzichten“, sagt Köster. Hier liege eine Erklärungsmöglichkeit für eine bisweilen schnellere Terminvergabe an Privatpatienten. „Das ist nicht fair. Wenn Ärzte für einen Privatpatienten mehr als das Doppelte an Honorar bekommen, gibt es aber einen systematischen Anreiz, diese auch zu bevorzugen“, sagt die Grünen-Politikerin Viola von Cramon. Deshalb fordern SPD und Grüne die Abschaffung des dualen Krankenversicherungssystems und die Einführung einer Bürgerversicherung für alle – mit einer einheitlichen Honorarordnung für die Ärzte.

Das stößt bei vielen Fach- und Hausärzten auf Widerstand. „Ohne die private Krankenversicherung wären viele Arztpraxen nicht mehr auf dem bestehenden Niveau finanzierbar“, sagt Dr. Wolfgang Bärtl, Vorsitzender des Bundesverbandes niedergelassener Fachärzte. Das begründet er damit, dass die elf Prozent Privatpatienten für 25 Prozent der Praxisumsätze der niedergelassenen Ärzte verantwortlich seien. „Mit Einführung einer Bürgerversicherung könnten die niedergelassenen Ärzte Hochrechnungen zufolge jährlich durchschnittlich 45 000 Euro ärztliches Honorar verlieren. Die Folgen für die Patientenversorgung wären dramatisch“, sagt Bärtl.