Wolfsburg. Der VfL Wolfsburg ist mit der Stadt, die ihren 80. Geburtstag feiert, gemeinsam gewachsen. Der Start der Grün-Weißen war aber alles andere als einfach.

. Am 12. Juli wird der VfL Wolfsburg die Trikots für die neue Bundesliga-Saison in der Autostadt präsentieren – mit viel Drumherum und vor zahlreichen TV-Kameras. Die Bilder dazu werden um die Welt gehen, auch in China und den USA kennt man die Grün-Weißen mittlerweile. Vor knapp 73 Jahren hatten die Sportler des VfL noch ganz andere Sorgen. Kurz nach der Gründung des Vereins im September 1945 mussten sie erst einmal schauen, woher sie überhaupt Trikots für den Spielbetrieb bekommen können. Der VfL ist ein Kind der ersten Nachkriegsmonate – und er hat seitdem viel erlebt, das es wert ist zu erzählen.

In einer Baracke an der Reislinger Straße wird der Verein für Leibesübungen gegründet. Die Sparten sind Handball, Schach, Tennis, Radsport, Boxen, Gymnastik und Turnen. Erst einen Monat später stößt der Fußball dazu. Aber die Pioniere haben es schwer, den Menschen in Nachkriegsdeutschland fehlt es an allem. Schuhe und Bälle werden im Tausch erworben, Nahrungsmittel, Zigaretten und Alkohol sind begehrte Handelswaren. Heutzutage haben die Fußballer des VfL einen Ausrüster, der ihnen ihr Schuhwerk in zehnfacher Ausführung zur Verfügung stellt und für dieses Privileg sogar noch Geld an den Klub zahlt. Manch einer hat sogar einen persönlichen Schuhsponsor.

In der Anfangszeit sind die Wolfsburger froh, dass sie überhaupt Sport treiben können. Denn einfach sind die ersten Schritte nicht. Bereits im Dezember 1945 spaltet sich der Großteil der ersten Mannschaft ab, um den 1. FC Wolfsburg zu gründen. Und dann ist da noch die Sache mit den Trikots. Stoff ist Mangelware, und so entstehen die Vereinsfarben Grün und Weiß auch eher durch einen Zufall. Kreisjugendpfleger Bernward Elberskirch findet auf der Suche nach Trikots zehn gleichfarbig grüne. Wären ihm damals rote Hemden in die Hände gefallen, würde der VfL wahrscheinlich immer noch in Rot spielen. So aber werden die Vereinsfarben Grün-Weiß. Die passenden Hosen zu den Trikots werden von den Spielerfrauen aus gespendeten Bettlaken zusammengenäht.

Schon 1954 erstmals erstklassig

Schon früh profitiert der VfL von der Verbindung zu Volkswagen. Den Verantwortlichen um Rudolf Zenker gelingt es, Talente aus anderen Regionen mit attraktiven Arbeitsplätzen beim Autobauer in die Stadt und in den Verein zu locken. Nach einem Testspiel im Werksstadion gegen den mehrfachen deutschen Meister Schalke 04 werden so sieben junge Spieler von den Königsblauen abgeworben, sie ziehen 1947 mit ihren Familien nach Wolfsburg. Im Oktober des selben Jahres bekommt der VfL auch eine eigene Heimat: Er zieht an den Elsterweg um. Eröffnet wird die Anlage mit einem Spiel gegen den SSV Vorsfelde, das die Wolfsburger mit 5:2 gewinnen. Ende der 40er Jahre wird das Lokal „Zum Brandenburger Adler“ am Rothenfelder Markt zur ersten echten Vereinsgaststätte. Die Kneipe ist Treffpunkt für die Fans, zugleich jedoch auch Umkleidekabine für die Spieler.

Auch fußballerisch geht es voran. Nach dem Start in der 1. Kreisklasse hat sich der VfL binnen kürzester Zeit bis in die höchste niedersächsische Spielklasse, die Amateuroberliga, hochgespielt. Nach drei Meisterschaften und dem dreimaligen Scheitern in der Aufstiegsrunde ist es im Juni 1954 soweit: Die Grün-Weißen steigen nach einem 2:1 im entscheidenden Spiel gegen den Heider SV in die Oberliga auf, die damals höchste deutsche Spielklasse. Die Spieler dürfen sich ins goldene Buch der Stadt eintragen, eine Prämie gibt es auch: Jeder erhält einen Strauß roter Nelken, verziert mit grün-weißen Schleifen. Fünf Jahre lange dürfen sich die Wolfsburger mit Teams wie dem Hamburger SV, Werder Bremen oder Eintracht Braunschweig messen. Unvergessen der sensationelle 1:0-Heimsieg vor 15 260 Zuschauern am Elsterweg gegen den übermächtigen HSV mit Superstar Uwe Seeler im Angriff. Zum Helden wird Manfred Müller mit seinem Tor. Fortan wird der Außenläufer nur noch HSV-Müller gerufen.

1959 steigt der VfL wieder ab, und es sollte lange dauern, bis er wieder erstklassig wird. Dennoch gibt es auch in dieser Phase Highlights, die in Erinnerung blieben. 1961 war der FC Santos mit Jahrhundert-Fußballer Pelé zu Gast in Wolfsburg. Vor über 10 000 Zuschauern am Elsterweg schlagen sich die Grün-Weißen wacker, verlieren nur mit 3:6. 1963, im Gründungsjahr der Bundesliga, steigen sie in die zweitklassige Regionalliga Nord auf und erreichen das Endspiel um die deutsche Amateurmeisterschaft. Dort allerdings gibt es ein 0:1 gegen die Amateure des VfB Stuttgart. In der ersten Hauptrunde des DFB-Pokal schreibt der VfL 1970 Geschichte: Erstmals wird ein Spiel im Elfmeterschießen entschieden. Nach einem 2:2 im Hinspiel und einem 1:1 im Wiederholungsspiel gegen Schalke 04 müssen die Wolfsburger zum Punkt schreiten. Heute undenkbar: Die Zuschauer haben sich ringsum den Strafraum aufgestellt, um alles ganz genau zu beobachten. Sie sehen, dass der VfL nur einmal trifft und mit 2:4 den Kürzeren zieht.

1992 beginnt die VfL-Neuzeit

Die große Fußballbühne betreten die Wolfsburger erst 1992 wieder: Aufstieg in die inzwischen eingleisige 2. Liga. Es ist der Machtwechsel in der Region, denn zeitgleich verschwindet Eintracht Braunschweig auf Jahre in der Drittklassigkeit. Doch beim VfL bewegt sich was, auch Volkswagen bringt sich mehr und mehr ein. Es geht Schlag auf Schlag: 1995 erreichen die Grün-Weißen erstmals das Finale des DFB-Pokals, verlieren allerdings mit 0:3 gegen Borussia Mönchengladbach. „Da hatte man zum ersten Mal das Gefühl, dass hier richtig was entstehen kann“, sagte Abwehrspieler Holger Ballwanz, der dem Klub bis heute als Fanbeauftragter treu geblieben ist. Und er sollte Recht behalten: Zwei Jahre später kehrt der VfL überraschend und nach 38 Jahren wieder in die 1. Liga zurück, die nun eine ganz andere ist als im Jahr 1959.

Es ist der Beginn der Neuzeit beim VfL, die die größten Erfolge der Vereinsgeschichte parat hält. Der erste ist für viele, dass die Wolfsburger nicht gleich wieder absteigen. Aber dann werden die richtigen Weichen gestellt. Volkswagen entdeckt den Fußball endgültig für sich, 2001 wird die Lizenzspielerabteilung des VfL aus dem Gesamtverein ausgegliedert. Der Autobauer übernimmt erst 90 Prozent der Anteile, später dann die vollen 100 Prozent. Im Dezember 2002 wird die VW-Arena für 30 000 Zuschauer eröffnet, 53 Millionen Euro kostet der Bau, der Schauplatz des größten Erfolgs der Klubgeschichte wird. Am 23. Mai 2009 stemmt der Brasilianer Josué die Meisterschale in den Wolfsburger Himmel. Nach einer Aufholjagd in der Rückrunde ist der VfL erstmals deutscher Meister. In der Saison danach dürfen die Grün-Weißen in der Champions League ran. Der Verein, der knapp 64 Jahre zuvor in einer Baracke an der Reislinger Straße gegründet wurde, ist auf der europäischen Bühne angekommen.

Doch der Erfolg weckt Erwartungen, die der Klub in den Jahren danach nicht immer erfüllen kann. 2015 kommen mit dem Gewinn des DFB-Pokals und des Supercups zwei weitere Titel hinzu, doch in den vergangenen beiden Jahren hätte der VfL die 1. Liga beinahe verspielt, rettete sich erst in der Relegation. Im Jahr des 80. Stadt-Geburtstages müssen sich die Grün-Weißen wieder neu erfinden. Doch diesmal müssen die Spielerfrauen nicht mehr die Hosen der Spieler aus alten Bettlaken selber nähen.