Pyeongchang. Beim deutschen Eishockey-Team weicht die Enttäuschung über das 3:4 im Olympia-Finale schnell. Marco Sturm hofft auf einen Boom in Deutschland.

Im Moment der Niederlage die Freude zu finden, dass gelingt Sportlern selten. Ausdruckslos stierten viele Spieler vor sich hin, nachdem der Puck im Netz eingeschlagen hatte und alle wussten, dass es vorbei ist. Einige wie Patrick Hager und Jonas Müller wurden in diesem Augenblick von der Wucht ihrer Enttäuschung noch ein zweites Mal besiegt, hemmungslos weinten sie. Marco Sturm, der Bundestrainer, wollte das nicht sehen, versammelte seine Spieler an der Bank und erklärte noch einmal mit Nachdruck, dass niemand einen Grund hat, traurig zu sein, wenn die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen die Silbermedaille gewinnt. Obwohl es eben fast Gold geworden wäre.

Sekunden fehlten nur, dann hätte die ohnehin unfassbare Geschichte, die die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) in Südkorea geschrieben hat, einen der magischsten Momente der Sporthistorie produziert. Ein Außenseiter, auf den vor zwei Wochen niemand etwas gegeben hatte, führte 3:2 gegen Rekord-Weltmeister Russland. Bis 55,5 Sekunden vor dem Ende der Ausgleich fiel. In Unterzahl musste Sturms Team schließlich in der zehnten Minute der Verlängerung das 3:4 (0:1, 1:0, 2:2, 0:1) hinnehmen und sich geschlagen geben. „Wer hätte gedacht, dass wir Russland in die Knie zwingen im Finale, wir waren kurz davor“, sagte Stürmer Patrick Reimer.

Natürlich tat es ein bisschen weh, wann sich so eine Chance wieder ergibt, steht in den Sternen. Reimer saß wegen hohen Stocks auf der Strafbank, als das entscheidende Tor fiel, wischte die Gedanken an die unglückliche Entscheidung aber schnell weg, als er die Medaille blinken sah und sie umgehangen bekam. „Yannic Seidenberg stand neben mir und sagte: Hey, das ist ein Bild, auf das schauen wir unser Leben lang zurück. Da wollte ich nicht mit irgendeiner Grimasse dastehen, da wollte ich ein Lachen im Gesicht haben. Wir haben uns das verdient, dass wir lachen können“, erzählte Reimer. In jeder Sekunde des Turniers haben sie das, in jeder Sekunde des Finales, in dem das Team den ohnehin schon größten Erfolg des deutschen Eishockeys in eine fast unbeschreibliche Dimension gehoben hätte. „Normalerweise sitzen wir zu Hause auf der Coach und schauen dieses Finale“, sagt Bundestrainer Sturm, „so ein Spiel gibt es nur einmal im Leben.“

So unwirklich wie das Turnier verlief, in dem Deutschland im Viertelfinale den Weltmeister Schweden rauswarf, den Titelverteidiger und Rekord-Olympiasieger Kanada im Halbfinale blamierte, so wenig in Worte zu fassen war das Endspiel. Geprägt von Dramatik, vom Kampfgeist, vom Willen der deutschen Profis, die zusammen Unvorstellbares vollbracht haben. „Für alle ist es das geilste Turnier gewesen, das wir jemals zusammen gespielt haben. Die Jungs sind unglaublich, wir werden uns nie vergessen“, sagte Stürmer Dominik Kahun, der sechs Minuten vor dem Ende das 2:2 erzielt hatte. In dieser Phase entwickelte die Partie ihre größte Intensität. Zuvor hatten die Russen trotz größerer individueller Klasse zwecklos um Dominanz gerungen, mussten nach Führungstreffern, erst durch Felix Schütz (30.) und dann Kahun den Ausgleich hinnehmen. Jonas Müller gelang sogar drei Minuten vor dem Ende das 3:2, das trotz Überzahl aber nicht über die Zeit gebracht werden konnte.

Unter ihrem Trikot ein Herz aus Gold

Das schmälert nicht die Leistung der deutschen Mannschaft, die durch Kirill Kaprizows Tor schließlich in der Verlängerung bezwungen wurde. Sie traf auf einen Kontrahenten, der gegen die Schmach anspielte, dass bisher letzte olympische Gold 26 Jahre zuvor gewonnen zu haben. Der bei den vorherigen Spielen gedemütigt worden war, der die Abwesenheit der NHL-Profis unbedingt nutzen wollte, um den Titel endlich wieder zu gewinnen. Gegen diesen Gegner war das deutsche Team ebenbürtig. „Das wird es nicht so schnell wieder geben. Man kann nur davon träumen, so einen offenen Schlagabtausch mit den Russen zu führen. Das geht mir sehr nahe“, sagte DEB-Präsident Franz Reindl, der die Medaillenübergabe begleitete. Silber strahlte auf der Brust der neuen deutschen Helden – das Finale zeigte einmal mehr, dass sie unter ihrem Trikot ein Herz aus Gold haben.

Dem deutschen Eishockey erwies diese Mannschaft einen überaus wertvollen Dienst. „Wir haben uns Respekt verschafft“, sagte Kahun. Durch die Rückmeldungen aus der Heimat wissen die Spieler, was sie dort entfacht haben. „Niemand spricht mehr über Fußball, alle reden über Eishockey“, sagte Marcel Noebels. Vielleicht hat dieses Team die Chance eröffnet, die Entwicklung der Sportart voranzutreiben. „Ich hoffe, dass es einen großen Push nach vorn gibt. Heute haben ganz viele zugeschaut, da sind wir stolz drauf, dass wir ein Land so mitziehen konnten“, sagte Verteidiger Christian Ehrhoff, der am Abend bei der Abschlussfeier die deutsche Fahne ins Stadion von Pyeongchang trug.

Die Geschichte der Olympischen Spiele dieser Mannschaft wird lange in Erinnerung bleiben. Genau wie die Geschichte der Mannschaft von 1976, die damals in Innsbruck Bronze gewann und Generationen von deutschen Eishockeyspielern als Inspiration diente. Torhüter Danny aus den Birken sagte: „Wir lassen uns jetzt auch 40 Jahre feiern. Vielleicht hat ja Hollywood Lust, einen Film über uns zu machen. Ich möchte nur, dass Brad Pitt mich spielt.“ Er hatte nicht nur die Freude wiedergefunden, sondern seinen Humor gleich dazu.