Marienfeld. Hochzeit, EM-Zweiter und jetzt wieder Vorbereitung mit dem VfL: Die Wolfsburger Nationalspielerin spricht über ihren besonders intensiven Sommer.

Der Ort wäre eigentlich perfekt, um einmal die Seele baumeln zu lassen. Das Hotel Klosterpforte in Marienfeld, irgendwo im Nirgendwo bei Gütersloh war bis zum Samstag für gut eine Woche das Zuhause der Fußballerinnen des VfL Wolfsburg, die dort ihr Trainingslager aufgeschlagen hatten. Doch so richtig viel Zeit für Erholung blieb nicht. Auch nicht für Svenja Huth, die nach dem Double in der Vorsaison, der Hochzeit mit ihrer Freundin und der Europameisterschaft diesen Sommer noch immer nicht ganz verdaut hat. Die 31 Jahre alte Vize-Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft sprach im Gespräch im Trainingslager über Chancen und Verpflichten der EM, Equal Play und die kommende Saison mit dem VfL. Svenja Huth über...

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… den Prozess der EM-Verarbeitung: Ich habe sie noch nicht so wirklich verarbeitet, das braucht einfach Zeit, aber die fehlt zwischendrin. Natürlich denkt man immer mal wieder an die eine oder andere Situation, aber trotzdem bin ich wieder direkt beim VfL, im Hier und Jetzt und fokussiere mich auf die neuen Aufgaben, zumal wir uns beim VfL auch sehr wohlfühlen und mit Freude und Spaß auf dem Platz stehen. Wir haben mit Wolfsburg nur eine kurze intensive Zeit, die wir effektiv nutzen müssen. Von daher ist die EM, auch wenn sie noch nicht verarbeitet ist,schon wieder in den Hintergrund gerückt. Wir haben beim VfL das große Glück, dass wir im Kern zusammengeblieben sind, was es einfacher macht. Wir haben den einen oder anderen Neuzugang, schon erfahrene Spielerinnen, aber mit Jule Brand auch eine junge Spielerin, die schon viele von der Nationalmannschaft kennen, was ihr den Einstand einfacher macht. Von daher sind wir eine richtig gute Truppe und jetzt froh, wieder beieinander zu sein.

Svenja Huth (rechts) und Alexandra Popp während des EM-Halbfinals gegen Frankreich
Svenja Huth (rechts) und Alexandra Popp während des EM-Halbfinals gegen Frankreich © dpa | Sebastian Gollnow

Huth: Auch ohne den Titel konnten wir einiges anschieben

… den Zwiespalt, nicht Europameister geworden zu sein, aber dennoch eine Euphoriewelle in Deutschland ausgelöst zu haben: Wir sind froh und stolz, dass wir so viele Menschen euphorisieren konnten und auch jetzt noch immer wieder Rückmeldungen bekommen von Menschen, die gar nichts oder wenig mit Frauenfußball zu tun hatten. Das freut uns natürlich, dass wir diese Aufmerksamkeit generieren konnten. Auf der anderen Seite: Wenn du im Finale bist und so knapp davor stehst, wäre es das i-Tüpfelchen gewesen, mit dem Pokal nach Deutschland zu kommen. Aber ich glaube auch, dass wir ohne diesen Titel schon einiges in Deutschland anschieben konnten. Jetzt ist es natürlich die Aufgabe, diese Euphorie mit in den Bundesliga-Alltag und mit in die Länderspiele zu nehmen. Im Oktober haben wir gegen Frankreich wieder die Möglichkeit, in der ARD um 20.30 Uhr zu spielen.

… den Integrationsprozess der drei deutschen Wolfsburger Neuzugänge Jule Brand, Merle Frohms und Marina Hegering während der EM: (grinst) Ab dem 1. Juli waren sie offiziell Wolfsburgerinnen, und hin und wieder haben wir auch schon über Wolfsburg gesprochen, wie das eine oder das andere geregelt wird. So richtig hat die Integration dann beim VfL begonnen, gerade hier im Trainingslager, auf und neben dem Platz.

„Diese Aufmerksamkeit ist genau das, was wir wollten“

… die möglichen Nachwirkungen der EM für den deutschen Frauenfußball: Ich glaube, es ist wirklich eine Chance. Für uns individuell als Spielerinnen, aber auch für den Frauenfußball. Diese Aufmerksamkeit ist genau das, was wir wollten. Nach dem Prinzip Angebot und Nachfrage wurde immer gesagt, dass der Frauenfußball nicht so viel einspielt. Wir haben in der Vergangenheit aber auch selten eine Chance bekommen. Der Markt ist aber vorhanden, das hat man in der letzten Saison in der Champions League gesehen, als wir auch große Stadien gefüllt haben. Das muss bespielt werden, gerade vom DFB. Das Positive ist, dass nächstes Jahr gleich die Weltmeisterschaft ansteht. Dieses Mal ist die Spanne zwischen den Turnieren nicht so lang, das kann ein Vorteil sein. Wir Spielerinnen haben zurzeit mehr Medientermine, und hoffen natürlich, dass das lange anhält. Wir sind glücklich, dass wir in drei Wettbewerben vertreten sind und wollen soweit wie möglich kommen, am besten natürlich drei Titel holen.

… die Equal-Play-Debatte, dass die Bundesliga-Fußballerinnen in ihren Klubs ähnliche Rahmenbedingungen vorfinden: Das ist sehr, sehr wichtig. Dafür stehen wir Spielerinnen schon die ganze Zeit ein. Die Spielerinnen in der Bundesliga sollen dahin kommen, dass sie nicht mehr 30, 40 Stunden nebenbei arbeiten müssen, dass eine gute medizinische Betreuung vorhanden ist, dass gute Trainingsplätze zu guten Trainingszeiten vorhanden sind. Das muss die Basis sein, um Strukturen für den gesamten Frauenfußball zu schaffen. Das hätte dann wieder einen positiven Effekt: Die Spielerinnen können mehr trainieren, verbessern sich individuell und als Mannschaft, die Liga wird ausgewogener und noch interessanter für Sponsoren.

Auch in dieser Saison wollen Svenja Huth und die VfL-Fußballerinnen wieder jubeln.
Auch in dieser Saison wollen Svenja Huth und die VfL-Fußballerinnen wieder jubeln. © regios24 | Darius Simka

Huth: Wünschenswert, wenn alle Bundesligisten unsere Bedingungen hätten

… die sportlichen Rahmenbedingungen beim VfL: Ich glaube, dass der VfL und Bayern München die beiden Vorreiter im deutschen Frauenfußball sind. Ich habe den Vergleich zu Turbine Potsdam, da sind die Unterschiede groß. Wir haben in Wolfsburg eine tolle Infrastruktur, verschiedene Möglichkeiten, auf den Trainingsplätzen zu spielen, eine tolle medizinische Betreuung und mit Kulle (Jörg Schmidt, Anm. d. Red.) einen Zeugwart, der uns ganz viel abnimmt. Es wäre wünschenswert, wenn das in der gesamten Bundesliga der Fall wäre.

… die Rolle des Trainingslagers in Marienfeld, auch mit Blick auf die vergangene Double-Saison: Das Trainingslager im vergangenen Jahr war für uns sehr wichtig, gerade weil wir alle mit einem neuen Trainerteam und vielen neuen Spielerinnen zusammengekommen sind, wir sind hier das erste Mal zusammengewachsen. Für uns ist es toll, dass nach der EM die Wege kurz sind. Die Gegebenheiten sind toll: Ich liebe es, wenn der Trainingsplatz direkt am Hotel ist. Das hier ist ein Ort, an dem wir uns sehr, sehr wohl fühlen. Man kann hier gut zusammenwachsen und einiges vorbereiten für die Saison.

Huth: Uns wird nichts geschenkt

… die anstehende Saison mit dem VfL nach starker Rückrunde 2021/22 und einer EM mit vielen VfLerinnen im Endspiel mit Deutschland: Das gibt uns ein gutes Gefühl, aber zeitgleich wissen wir auch, dass uns nichts geschenkt wird und es kein Selbstläufer wird. Wir werden genauso hart arbeiten müssen wie in der letzten Saison. Wenn man die Spiele sieht, denken die Leute vielleicht, wir sind irgendwann im Flow und es läuft einfach so, aber es steckt harte Arbeit dahinter. Die müssen wir in der neuen Saison genauso wieder abrufen. Dieses Mal sind wir auch in der Bundesliga nicht mehr die Jäger, sondern wieder die Gejagten. Das ist vielleicht noch mal wieder eine andere Situation. Von daher ist es wichtig, dass wir erst die Leidenschaft auf den Platz bringen müssen, um mit dem Ball Spaß zu haben. Wenn uns das gelingt, bin ich mir sicher, dass mit diesem Kader und dieser Qualität auch einiges möglich sein wird.

… die Gefahren für den VfL zum Start der kommenden Saison: Für uns wird es wichtig sein – das hat man ja letztes Jahr bei Bayern und bei uns gemerkt –, dass wir gerade zu Saisonbeginn trotz der hohen Belastung durch die neue Gruppenphase der Champions League nicht so viele Punkte verlieren. Es wird darauf ankommen, dass wir das Maximum an Ausbeute einfahren, um uns am Ende der Saison auch wieder zu belohnen.

Svenja Huth (Mitte) hatte nach der EM richtig viele Eindrücke zu verarbeiten, aber nur wenig Zeit dafür.
Svenja Huth (Mitte) hatte nach der EM richtig viele Eindrücke zu verarbeiten, aber nur wenig Zeit dafür. © dpa | Arne Dedert

„Alles kam Schlag auf Schlag“

… ihren Eindruck, wie schwer es war, wieder ins Training beim VfL einzusteigen: In diesem Jahr war es das erste Mal, dass es mental sehr belastend war. Alles kam Schlag auf Schlag, wir hatten eine lange letzte Saison mit dem VfL, dann meine Hochzeit, der Vorbereitungslehrgang, die EM jetzt wieder hier die Vorbereitung. Es jagt ein Highlight das nächste, von daher denkt man schon: Wo steht mit der Kopf. Aber als wir im Trainingslager angekommen waren, hatte man sofort das Gefühl: Geil, man will hier sein, hat auch die Mannschaft und die Trainer vermisst und freut sich, wieder gemeinsam auf dem Platz stehen, um eine gute Grundlage für eine hoffentlich tolle Saison zu legen.

… ihre persönliche Karriereplanung: Bis 2024 habe ich noch in Wolfsburg Vertrag, ich fühle mich gut und habe Spaß. In einem gewissen Alter muss man gucken, wann das letzte Turnier ist, aber aktuell mache ich mir da keine Gedanken. weil ich mich gut fühle, Spaß habe und mit den Mädels noch einiges erreichen möchte.

… ihr Eheleben; Svenja Huth ihre langjährige Freundin geheiratet, war dann zur EM-Vorbereitung, in England und ist jetzt zurück beim VfL: (lacht) Seit der Hochzeit war ich kaum zu Hause – läuft gut, würde ich sagen.