Braunschweig. Der Läufer der LG Braunschweig sucht nach Trainingslager-Abbruch und Olympia-Verschiebung eine neue Herausforderung für den Rest-Sommer.

Das Unwort des Jahres im Sport? „Geisterspiele“ dürfte in der Rangliste weit vorne liegen. Oder nun auch Geister-Meisterschaften. Wenn die deutschen Titelkämpfe im Braunschweiger Eintracht-Stadion tatsächlich am 8./9. August stattfinden sollten, dann könnten sie nach den Beschlüssen von Bund und Ländern nur ohne Publikum über die Bühne gehen.

Sebastian Hendel hofft trotzdem darauf. Nachdem sein Olympia-Traum für dieses Jahr geplatzt ist, sehnt der Spitzen-Langstreckler der LG/MTV Braunschweig einen anderen wertigen Wettkampf herbei. „Einerseits war ich froh, dass die Spiele verschoben wurden“, berichtet er. „Aber die Motivation war natürlich erstmal im Keller.“

Bis Mitte März hatte sich der 24 Jahre alte Athlet aus dem thüringischen Reichenbach mit dem Tross des Deutschen Leichtathletikverbandes im Höhentrainingslager in Südafrika auf Tokio 2020 vorbereitet. Doch als das Nachbarland Namibia von heute auf morgen die Grenzen dicht machte, entschieden die deutschen Trainer, die vorzeitige Abreise aus dem 2100 Meter hoch gelegenen Touristenörtchen Dullstroom einzuleiten.

Südafrikaner plötzlich unfreundlich

„Die Stimmung uns gegenüber hatte sich auch gewandelt“, erzählt Hendel. So wie man als Europäer vielleicht im Januar/Februar chinesische Reisende etwas schief angeguckt habe, sei es nun den deutschen Athleten in Südafrika passiert. „Viele Leute haben eher panisch reagiert, wir waren für die ein möglicher Überträger des Virus“, berichtet der LG-Athlet. „Beim Einkaufen wurden wir angesprochen, wann wir endlich abreisen – nicht gerade im freundlichsten Ton.“

So war der zweifache deutsche Meister von 2018 froh, dass der DLV in der Dynamik der Geschehnisse rechtzeitig reagierte. Am Vortag der Flughafenschließung in Kapstadt kam der DLV-Tross noch aus dem Land. Und Hendel freute sich, zehn Tage früher als geplant daheim im Vogtland seine Frau Kristina und Söhnchen Jonathan in die Arme schließen zu können.

Inzwischen habe ihm das schöne Sonnenwetter auch wieder aus dem Motivationsloch geholfen, erzählt er. „Ich trainiere und habe Spaß.“ Weil alle Wettkämpfe in den nächsten Monaten ausfallen, hat er sein Programm umgestellt. Statt der kürzeren, härteren Tempoläufe der „spezifischen Wettkampfvorbereitung“, die auf dem Plan gestanden hätten, spult er nun wieder längere Einheiten für die Grundlagenausdauer ab. Rund 180 Kilometer pro Woche, manchmal noch durch eine Runde auf dem Rad ergänzt.

Olympianorm gilt erst ab Dezember

Dazu hat er als Ablenkung sein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens intensiviert und sich „gleich noch ein paar Kurse mehr reingeknallt“, die er als Online-Vorlesungen vom Sonnen-Balkon aus mitverfolgen kann, wie er lachend erzählt. Und er kümmert sich um den dreijährigen Sohn, der nun corona-bedingt zu Hause ist, wenn sich seine Frau auf ihre Trainingsstrecken macht. Kristina Hendel ist eine kroatische Top-Hindernisläuferin, die ebenfalls Olympia in Tokio anpeilt. „Leider können wir momentan nur abwechselnd trainieren“, bedauert ihr Mann.

Wie gut er aktuell in Form ist, sei ohne Wettkämpfe nur schwer zu beurteilen, räumt Hendel ein. Dazu brauche er erst wieder einen konkreten Termin, auf den er hintrainieren könne. Die Olympianorm von 27:28 Minuten über 10.000 Meter ist derzeit kein Thema, denn der internationale Leichtathletikverband hatte nach der Verschiebung der Spiele auf 2021 beschlossen, dass Normzeiten erst wieder nach dem 1. Dezember gelaufen werden können. „Aber man macht den Sport ja nicht nur, um bei den Großereignissen dabei zu sein“, betont Hendel, „sondern weil man sich verbessern und beweisen will.“

Angesichts der Corona-Entwicklungen will er sich nicht unter Druck setzen, nicht verrückt machen. Zurzeit gingen andere Dinge eben einfach vor. Erstmal fasst der Braunschweiger ins Auge, seine 5.000-Meter-Bestzeit nachzubessern. „Denn mit der bin ich sehr unzufrieden“, sagt er über die 13:49,40 Minuten. Seine 28:27,11 Minuten über 10.000 Meter sind da schon mehr wert.

Mehrere Säulen brechen weg

Finanziell stehe er noch solide da, verrät Hendel, der seine Trainingslager selbst bezahlen muss, weil er kein DLV-Kaderathlet ist. Dank des Braunschweiger Laufteams und einiger Werbepartner könne er ein gewisses Grundeinkommen absichern und habe auch „mit einer kleinen Notkante vorgesorgt“.

Prämien und Startgelder, die normalerweise ebenfalls zum Lebensunterhalt beitragen, lassen sich derzeit nicht verdienen. „Es ist ein bisschen problematisch, weil gerade mehrere Säulen gleichzeitig wegbrechen“, sagt er, sorgt sich aber vor allem für die Zukunft: „Ich fürchte, Corona wird nächstes Jahr ein Nachspiel haben, Sponsoren werden ja auch gebeutelt“, weiß der Läufer. „Erste Gespräche, die ich angeleiert hatte, wurden gleich auf Eis gelegt.“

Umso wichtiger wäre es für ihn und die anderen Athleten, sich dieses Jahr nochmal zeigen zu können. Der nächste internationale Höhepunkt wären die Europameisterschaften, die für Ende August in Paris angesetzt sind. „Wenn die stattfinden, nehme ich die gerne, aber das kann ich mir nur schwer vorstellen“, sagt Hendel. „Zurzeit hoffe ich eher auf die DM in Braunschweig.“

Das wären dann seine ersten Geister-Titelkämpfe. „Für die Veranstalter und alle anderen wäre es natürlich blöd“, weiß Hendel. „Aber für uns Athleten wäre es trotzdem cool, weil wir noch einen tollen Wettkampf hätten.“