Braunschweig. Der Aufstieg in die Bundesliga war der Höhepunkt der zehnjährigen Amtszeit.

Torsten Lieberknecht und Eintracht – das gehörte so lange zusammen, das schien ewig zu halten. Erst vor einem Jahr klopften die Löwen ans Tor zur Bundesliga, verloren aber beide Relegationsspiele mit 0:1 gegen den VfL Wolfsburg. Jetzt der jähe, dramatische Absturz, dessen Folgen noch gar nicht ganz abzusehen sind. Noch nie ist ein Team, das in der Relegation zur Bundesliga scheiterte, in der darauffolgenden Saison direkt abgestiegen. Nach 10 Jahren und 2 Tagen endete die Ära Lieberknecht, genau 24 Stunden nach dem Unfassbaren.

Dabei war Lieberknecht, diese völlig verkorkste Saison in der 2. Fußball-Bundesliga einmal abgesehen, neun Jahre lang äußerst erfolgreich. 370 Spiele saß der 44-Jährige als verantwortlicher Trainer auf der Bank, 151 Spiele gewann er mit seinen Löwen. 99 Spiele endeten unentschieden, 120 verlor er. Das alles entscheidende am Sonntag in Kiel mit 2:6. Insgesamt 110 Spieler setzte er während seiner Amtszeit ein.

Nach dem Rücktritt von Trainer Benno Möhlmann am 12. Mai 2008 übernahm der U 19-Coach das Training der ersten Mannschaft für die letzten drei Spiele der Saison 2007/08. Und die Löwen schafften die Sensation, machten die schon verloren geglaubte Qualifikation zur neugegründeten 3. Liga noch wahr.

Mit der neuen Vereinsführung um Präsident Sebastian Ebel und Sportchef Marc Arnold wurde die neue Vereinspolitik ausgestaltet: Personelle Kontinuität, ein Konsolidierungs- und Sparkurs für die ausgegliederte Profi-Abteilung, Entschuldung, Arbeit mit zumeist talentierten jungen Spielern aus unteren Ligen und dem Ausland, vor allem Skandinavien.

Ein Erfolgsmodell. Im dritten Jahr der eingleisigen 3. Liga gelang der erste Coup. In der Saison 2010/11 stand die Eintracht schon sechs Spieltage vor dem Saisonende als Aufsteiger in die 2. Bundesliga fest. Stadt und Region feierten mit Autokorso und Feier vor dem Schloss. Der nächste, noch größere Coup: In der Saison 2012/13 beendete Lieberknecht mit seinem Team die Saison als Tabellen-Zweiter hinter Hertha BSC und stieg nach 28 Jahren Braunschweiger Abstinenz in die Bundesliga auf – Lieberknecht erreichte Heldenstatus. Dass am Ende der Saison 2013/14 der direkte Wiederabstieg stand, änderte nichts daran.

Der letzte Coup: Die Relegation gegen den VfL Wolfsburg am 25. Mai und 29. Mai 2017, auch wenn es zweimal 0:1 hieß – zwei der vielen unvergesslichen Spiele in Lieberknechts Amtszeit.

Als Titelfavorit Nummer 1 ging der Fußballlehrer mit der Eintracht in die Zweitliga-Saison, als Absteiger beendete er sie. Nach 3654 Tagen Amtszeit war der Zauber endgültig verflogen, nichts klappte mehr. Trainer und Team, Trainer und Klubführung – das Verhältnis verschlechterte sich zusehends. Es wurde immer einsamer um Lieberknecht, die Trennung war unausweichlich.

Ein gewiefter Taktiker auf und neben dem Platz, einer, der keine klaren Worte scheute, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte, einer, der sich nach außen immer vor seine Mannschaft stellte – so war Lieberknecht in seiner Braunschweiger Zeit, deshalb liebten ihn so viele Fans. Er schimpfte mal auf die Schiedsrichter, mal auf die Medien, auf Kollegen und pfeifende Zuschauer. Und kritisierten ihn Leserbriefschreiber, dann rief er den Betreffenden schon mal an.

Wie in einer langen Ehe schliff sich aber einiges ein, was sich im Profi-Fußball nicht einschleifen darf, gerade zuletzt. Gestern nun wurde die Ehe geschieden.