Singapur. Beim Rennen in Singapur spitzt sich der Kampf um die Formel-1-Krone mit Lewis Hamilton zu.

Es werden die anstrengendsten zwei Stunden dieser Formel-1-Saison, zumindest für die Herren Rennfahrer. Der Große Preis von Singapur ist ein Härtetest für Mensch und Material – die meisten Kurven, die kürzesten Geraden, die welligste Piste, die höchste Luftfeuchtigkeit, die abwechslungsreichsten Rennen. Die winklige Straßenpiste kann die Leistungsverhältnisse an der Spitze radikal verändern, das Flutlicht auf dem Marina Bay Circuit verzerrt die Atmosphäre. In Summe: der ideale Ort für eine weitere Zuspitzung des Titelrennens zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel.

Ausgerechnet das Team des neuen Tabellenführers (erstmalig in dieser Saison) tut so, als ob alles andere als eine Niederlage eine Sensation wäre. Da schwingt immer noch die Erinnerung an 2015 mit, dem einzigen Debakel in der Regentschaft der Silberpfeile während der Hybrid-Ära. Und die Erkenntnis, dass die engen, langsamen Pisten dem langen Auto eben nicht so liegen, der Aerodynamik des Ferrari hingegen sehr. „Es wird eine sehr große Aufgabe, die Herausforderung Singapur zu meistern“, ahnt Teamchef Toto Wolff, „wir haben den Finger in unsere Wunden gelegt und eine Menge auf den Pisten gelernt, auf denen wir ins Straucheln geraten sind.“ Eine Hoffnung ist die Schnelligkeit des Mercedes auf eine Runde, im Duell um die Pole-Position steht es in diesem Jahr 10:3 für Mercedes gegen Ferrari, 8:2 für Hamilton gegen Vettel. Zumal: Drei der letzten vier Rennen gingen an Lewis Hamilton und damit eben auch die WM-Spitze, nachdem er Vettel und Ferrari in Monza eine Klatsche verpasst hatte. Drei Pünktchen, das ist noch nichts. Dennoch kommt dem Auftakt der entscheidenden Übersee-Tournee Symbolwirkung zu: Von jetzt an muss jeder der beiden konkurrierenden Rennställe unbedingt die Rennen gewinnen, auf denen es technisch zumindest von der Theorie her im Vorteil sind.

Das sind klar die Italiener, auch wenn Mercedes im Vorjahr gewonnen hat und drei der vier Vettel-Siege aus dominanten Red-Bull-Zeiten zu Anfang dieses Jahrzehnts stammen. Sein Ex-Team rechnet sich auch in diesem Jahr die besten Chancen beim Nacht-spektakel aus, was auch Folgen für den Titelentscheid haben kann. Schafft es Daniel Ricciardo beispielsweise zum vierten Mal hintereinander aufs Podium, könnte er zum Zünglein an der Waage werden, wer am Sonntagabend den Stadtstaat als Tabellenführer verlässt. Eine enge Kiste könne es werden, glaubt Vettel. „Entscheidender für mich ist, wer sonntags in Abu Dhabi Erster ist“, sagt er mit einem Grinsen, „was auch immer bis dahin passiert, passiert eben. Es ist gerade hier viel weiser, sich mit dem Rennen zu beschäftigen und sich nicht ablenken zu lassen.“ Mal kurz um die Welt zu jetten, wie es Hamilton mit dem Besuch der New Yorker Fashion Week getan hat, das ist nicht sein Ding. Wenn er „Models“ sagt, dann meint er Auto-Modelle und nicht Heidi Klum, sein freies Wochenende hat er bei den 70-Jahre-Feierlichkeiten von Ferrari in Maranello verbracht.

Insbesondere nicht durch Kalkulationen. Davon hält er nichts, auch nichts von den Einschätzungen, dass von den verbleibenden sieben Pisten die von Singapur jene ist, in der Ferrari am eindeutigsten die Oberhand besitzt. Die Frage nach einem „Pflichtsieg“ negiert der Heppenheimer so vehement, wie er in diesem Jahr schon häufig die Tatsachen sehr eigen und beschönigend interpretiert hat. Ob das der Crash von Baku war, ein angeblicher Bottas-Fehlstart in Österreich oder das Ferrari-Debakel jüngst in Italien. Alles Kalkül. Der oberste Boss Sergio Marchionne macht schließlich schon genug Druck, da muss der Mannschaftskapitän mit dem frischen Drei-Jahres-Vertrag den Guten-Laune-Onkel geben.

„Wir müssen gar nix“, antwortet er auf die Zwang-Frage, „aber wir können, wenn die Chance da ist.“ Bislang sei der Ferrari gut auf jeder Strecke gewesen, „und wie wichtig dieses Rennen tatsächlich für die Weltmeisterschaft ist, wissen wir erst im Nachhinein.“ Und trotzdem bleibt in Singapur für ihn und Ferrari ein Jetzt-oder-Nie-Rennen.