Uwe Seeler spricht 50 Jahre nach dem WM-Finale im Wembley-Stadion über das entscheidende Tor.

Hamburg. Uwe Seeler ist als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft von 1966 das Gesicht von Wembley. Das Bild, wie er mit gesenktem Kopf nach dem Spiel vom Platz trottet, ging um die Welt. 50 Jahre nach dem WM-Finale im Mutterland des Fußballs ist er als Ehrenspielführer der Nationalmannschaft ein gefragter Gesprächspartner. Das Telefon klingelt eine Weile. Er hat noch Besuch. Dann hebt er ab.

Hallo Herr Seeler, 50 Jahre ist das große Finale von Wembley jetzt her. Woran denken Sie bei diesem Jubiläum?

Na, also mein erster Gedanke ist, dass wir immer noch über dieses dritte Tor der Engländer reden. Wäre das damals nicht so spektakulär gewesen, wäre es anders. Aber so werden wir auch in 10 oder 20 Jahren noch darüber sprechen.

Wie haben Sie die Szene damals wahrgenommen?

Für uns war das Tor nicht so erfreulich. Weil es ja keins war (lacht). Auch die Engländer wissen, dass der Ball nicht drin war. Heute können wir unsere Witzchen darüber machen und alles ist gut. Aber im ersten Moment war es schmerzhaft. Der Schiedsrichter hatte ja schon zur Ecke gepfiffen. Und dann entscheidet er auf Tor. Keiner weiß, was er da gepfiffen hat. Aber wir haben das schnell hingenommen – und das ist ja auch bei den Engländern gut angekommen.

Der umstrittene Treffer leitete die deutsche Niederlage ein. Ihre Enttäuschung fängt das Sportfoto des Jahrhunderts ein. Sie gehen mit gesenktem Haupt vom Platz.

Da habe ich schon an die nächste WM gedacht (lacht). Das war ein kleiner Scherz, den ich damals gemacht habe. Man muss das immer ein bisschen lustig nehmen, so bin ich einfach. Und es musste ja weitergehen. Da will man das einfach schnell wegschütteln.

Lange war es unklar, ob das Bild nach dem Spiel oder in der Halbzeitpause entstanden ist. Das Team des Fußball-Museum hat dieses Rätsel nun gelöst. Was sagen Sie dazu?

Ja, am Anfang war ich mir auch nicht sicher, aber nun ist es ja geklärt. Und im Hintergrund sieht man ja auch Willi Schulz, der sieht ziemlich traurig aus.

Auf den Kontaktstreifen ist zu erkennen, dass Sie sich, kurz nachdem das Jahrhundertfoto entstanden ist, an die Stutzen fassen.

Mir war wohl der Stutzen verrutscht. In so einem Moment macht man einfach irgendwas. Eine Verlegenheitsreaktion. Man muss sich ja abreagieren.

Auf dem letzten Foto ist erstmals Ihr Gesicht in dieser Szene zu erkennen. Sie wirken erschöpft, enttäuscht. Was denken Sie darüber?

Das ist ein Moment, in dem man erst einmal geschafft ist. Nach so einem Turnier und so einem Endspiel ist man abgekämpft. Man muss erst mal durchpusten. Und dann waren die Umstände auch noch so unglücklich. Aber beim ersten Bier am Abend war dann auch alles vergessen.

Die Fotos stammen alle von Axel Springer jun., der unter dem Pseudonym Sven Simon als Fotograf gearbeitet hat. Welche Beziehung hatten Sie zu ihm?

Wir waren sehr gut befreundet. Ich mochte ihn, und er mochte mich gerne. Schade, dass er so früh von uns gegangen ist. Ich glaube, die Fotografie war seine Welt. Er hatte als Verlegersohn natürlich einen großen Namen zu tragen, es war aber nichts für ihn, in einem Büro zu sitzen.

Hatten Sie Mitleid mit den Engländern, dass sie in ihrem Jubiläumsjahr nicht den EM-Titel gewinnen konnten?

Im Fußball ist Mitleid nicht angebracht. Es bringt nichts, wenn eine Mannschaft eigentlich besser spielt. Das haben wir ja auch bei unserer Nationalelf erlebt bei der Europameisterschaft. Am Ende zählen Tore.