Lausanne. Das IOC spielt auf Zeit und vertagt die Entscheidung über eine Dopingsperre für Olympia.

Kein direkter Olympia-Ausschluss Russlands, die Hängepartie ist eröffnet: Das Internationale Olympische Komitee wird frühestens morgen ein Urteil über die mögliche Verbannung Russlands von den Olympischen Spielen in Rio fällen. Das teilte das IOC nach einer mehrstündigen Telefonkonferenz des Exekutiv-Komitees unter Leitung von Präsident Thomas Bach gestern mit.

Spätestens morgen urteilt der Internationale Sportgerichtshof Cas über 68 russische Leichtathleten, die nach der Sperre durch den Weltverband IAAF ihre Teilnahme in Rio vor der letzten Instanz der Sportgerichtsbarkeit erzwingen wollen. Dieser Entscheidung will das IOC nicht vorgreifen. Es werde „die Cas-Entscheidung ebenso in Betracht ziehen wie den Welt-Anti-Doping-Code und die Olympische Charta“.

Zudem setzte das IOC eine fünfköpfige Disziplinar-Kommission unter Leitung des Franzosen Guy Canivet, stellvertretender Vorsitzender der IOC-Ethikkommission, ein, die sich mit den russischen Verfehlungen befasst.

Zusätzlich verabschiedete das IOC Sofortmaßnahmen. Unter anderem werden vorerst keine IOC-Sportveranstaltungen in Russland mehr organisiert. Auch die Planungen bezüglich möglicher Europaspiele 2019 in Russland wurden auf Eis gelegt.

Zudem wird kein Mitglied des russischen Sportministeriums eine Akkreditierung für die Olympischen Spiele in Rio erhalten. Überdies wird es Nachtests aller russischer Dopingproben der Winterspiele in Sotschi geben.

In der Frage des Komplett-Ausschlusses von Russland will sich das IOC aber Zeit nehmen. Der am Montag von dem kanadischen Ermittler Richard McLaren veröffentlichte Bericht hatte festgestellt, dass es in Russland „mindestens von Ende 2011 bis August 2015“ ein staatlich gelenktes Doping-System gegeben habe.

„In Hinblick auf die Beteiligung der russischen Athleten bei den Spielen 2016 in Rio wird das IOC sorgfältig den Wada-Bericht bewerten. Es wird die rechtlichen Möglichkeiten mit Blick auf ein kollektives Verbot aller russischen Athleten für die Olympischen Spiele gegenüber dem Recht auf individuelle Gerechtigkeit abwägen“, hieß es.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann lobte das behutsame Vorgehen des IOC. „Es geht nicht um eine schnelle Entscheidung, sondern eine bestmögliche. Es geht nicht nur um Rio, sondern um einen Meilenstein im Anti-Doping-Kampf.“ Der öffentliche Druck ist groß. Neben der Wada hatten sich etliche nationale Anti-Doping-Agenturen sowie Sportler, Politiker und Ethiker für die Verbannung Russland ausgesprochen.

Derzeit erlebt der organisierte Sport in dem Riesenreich die wohl schwärzeste Zeit seit Bestehen, doch es könnte sogar noch schlimmer kommen. Nun scheint selbst die Austragung der Fußball-WM in zwei Jahren nicht mehr zweifelsfrei sicher. Die Fifa kündigte Ermittlungen an, zumal ihr Council-Mitglied, Russlands Sportminister Witali Mutko, auch Organisationschef der Fußball-WM ist. Unter Mutko kam das russische Doping-Programm mit 643 vertuschten Proben im Zeitraum von 2012 bis 2015 zur Anwendung.

Russlands umstrittener Sportminister darf aber vorerst im Amt bleiben. „Mutko wurde im Wada-Report nicht als Hintermann hinter den Verfehlungen erwähnt, er wird dessen nicht wie andere Personen verdächtigt“, sagte Kreml-Sprecher Dimitri Peskow und nährte den Verdacht, dass das große Aufräumen in Russland wohl ausbleibt. Mutkos Stellvertreter Juri Nagornich wurde indes bereits am Montagabend entlassen. Und gestern hat Mutko vier weitere Mitarbeiter vorläufig suspendiert, darunter seine Beraterin Natalia Schelanowa.

Zudem widersprach er erneut Vorwürfen von staatlich gelenktem Doping in Russland. Der Ressortchef schob die Schuld auf den in die USA geflüchteten früheren Antidoping-Laborchef Grigori Rodschenkow. „Er mischte und vertauschte irgendwelche Cocktails und schob später alles dem Staat in die Schuhe.“

In die Diskussion schaltete sich auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow ein. Der Chefdiplomat habe sich bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry über amerikanischen Druck auf die Wada beschwert, teilte das Moskauer Außenministerium mit.sid/dpa