Braunschweig. Im Interview berichtet der Staatstheater-Musiker von seinem Werdegang in Serbien und Deutschland, die Liebe zu seinem Instrument und das Angeln.

Als er sich nur mit Hemd und Jackett seinen Weg durch den eisigen Schneeregen zum verabredeten Innenstadt-Café bahnt, raunt im Inneren des Cafés ein Gast seiner Begleiterin zu: „Du, das ist doch dieser tolle Geiger, der Ziga, vom Staatsorchester.“

Fortan wird unser Gespräch öfter vom fröhlichen Winken Zigas unterbrochen, wenn Bekannte vorbeikommen und er rasch rüberruft: „Hallo, grüß dich, wie geht’s?“

Und jetzt, als der Artikel in Arbeit ist und sein Bild schon auf dem Laptop zu sehen, kommen Leute am Schreibtisch vorbei – Kollegen und abendliche Gäste im Medienhaus –, bleiben stehen, gucken: „Schau an, der Josef, hast du mit ihm gesprochen?“ oder: „Super-Typ, oder?“

Spätestens da reift die Erkenntnis: Dieser Mann, der jedem Gesprächspartner schnell das Gefühl gibt, von ihm ins Herz geschlossen worden zu sein, dieser so bescheidene wie selbstbewusste Künstler, der weiß, was er kann, der unverstellt stolz ist auf das, was er im Leben erreicht hat, ohne Neid, ohne Häme, dafür aber mit viel Leidenschaft und Tatendrang, dieser Tausendsassa auf etlichen musikalischen Hochzeiten... kurz, Josef Ziga ist inzwischen eine Berühmtheit in dieser Stadt. Und in seiner serbischen Heimat ist er übrigens auch sehr bekannt – war es jedenfalls, als er noch dort lebte.

Wie ging sie los, die große Liebe zwischen dir und der Geige?

Ich komme aus einem sehr musikalischen Elternhaus. Meine beiden Eltern waren Pianisten, Papa war professioneller Musiker, Mama hat ihre Karriere der Liebe wegen zurückgestellt.

Und warum dann nicht Klavier?

Mein Vater wollte, dass ich Geige lernen sollte. Er war für mich eine Respektsperson. Und ich muss sagen: Er hat es gut getroffen. Die Geige ist das schwerste Instrument der Welt. Da müssen die Finger auf vier Saiten schon unheimlich viel leisten. Zum einen technisch. Hinzu kommt der Ausdruck: Ich registriere einen Ton, leite ihn zum Herzen, von dort geht er in die Finger. Dort bekommt er eine Farbe. Hinzu kommt das Vibrato. Ich sage immer: Kosmetik für den Ton. All dies ist individuell. Bei jedem Geiger etwas anders. Jeder muss für sich herausfinden, wie es für sein Empfinden richtig ist. Jeder hat seine eigene Klangqualität.

Du bist stellvertretender Konzertmeister im Staatsorchester. Wenn man dir die Augen verbinden würde und die Mitglieder deiner Gruppe würden einzeln vorspielen – würdest du sie am Ton erkennen?

Sicher nicht jeden. Aber zwei, drei schon. Oder sagen wir so: Ich würde Namen nennen und dann sehen, ob ich richtig liege.

Wie sieht es mit den berühmten Kollegen aus?

Die haben schon musikalische und technische Fähigkeiten, die ich nur bewundern kann. Mein lebenslanges Vorbild ist Itzhak Perlman. Der perfekteste Geiger aller Zeiten. Ich habe ihn als kleiner Junge zum ersten Mal im Radio gehört – und war sofort fasziniert. Wie er zum Beispiel den zweiten Satz eines Werkes mit einer ganz anderen Klangfarbe zu spielen vermag, ist wunderbar. Wenn ich ihn spielen höre, oder Heifetz oder David Oistrach, dann bin ich immer noch hin und weg wie ein kleines Kind.

Und manchmal auch ein bisschen frustriert?

Nein, warum? Ich bin ein virtuoser Geiger. Man wird akzeptiert, wenn man gut ist. Ich bin Teil eines großartigen Klangkörpers. Und ich bin ja auch solistisch tätig, habe alle großen Konzerte gespielt: Mendelssohn, Brahms, Sibelius, Tschaikowsky, Paganini, Bruch. Und habe dabei niemals enttäuscht. Korngolds Violinkonzert, ein großartiges Werk, habe ich mit Generalmusikdirektor Srba Dinic gespielt. Wir bereiten außerdem die Einspielung der Jahreszeiten-Version von Max Richter vor. Ein Herzenswunsch von mir. Nach Italien bin ich eingeladen, um Beethoven zu spielen. Das größte Violinkonzert aller Zeiten. Mit großen Künstlern zusammenzuarbeiten, Pianisten, Geigern, Bläsern, ist für mich ein großes Glück. Da gibt es 0,000 Prozent Neid. Im Gegenteil: Ich fiebere mit. Ich habe Daniel Hope persönlich kennengelernt und auch David Garrett. Das sind große Geiger, aber ganz normale, zugängliche, freundliche Menschen. Weltklasse, aber easy. Und warum auch nicht?

Wie verlief deine Karriere?

Ich ging zur musikalischen Früherziehung, dann in die Musikschule, später zur Musikhochschule in Belgrad. Ich stehe seit dem siebten Lebensjahr auf der Bühne. Als Jugendlicher habe ich im ganzen Land Konzerte und große Sonaten mit Klavier gespielt. Und Preise gewonnen. Ich war sehr bekannt zu Hause. Bin viel gereist. Habe parallel zwei Abiturprüfungen gemacht. Eine auf der Schule, eine auf der Musikschule. Ich gehörte zur letzten Generation, die da durch musste. Mit 18 ging ich zur Musikhochschule. Konzertierte parallel weiter. Insgesamt war es eine sehr schöne Zeit. Ich denke noch heute gern daran zurück. Wer würde sich als so junger Mensch nicht freuen, im eigenen Land angefragt zu werden, um solistisch aufzutreten?

Du bist seit 1994 in Braunschweig Wie kamst du hierher?

Es waren schwierige Zeiten in meiner Heimat in den 90er-Jahren, auch ökonomisch.

Es herrschte Krieg…

Über den Krieg will ich nicht viel sprechen. Ich bin Musiker, ich hasse Gewalt wie die Pest, ich hasse Politik, bei allem Respekt. Für mich ist das höchste Ideal die Demokratie. Geistig und körperlich frei zu sein. Meine Meinung sagen zu können. Ich war 23 Jahre alt. In Braunschweig war damals mein Onkel Orchestermitglied. Er spielt übrigens heute bei Josef & Friends – als einer von zwei Rentnern. Von ihm erfuhr ich, dass im Orchester eine Stelle frei war. Ich war zuerst gar nicht interessiert. Aber dann fuhr ich doch hin – es war nicht leicht einzureisen, weil mein Land mit Sanktionen belegt war – , spielte vor und bekam die Stelle. Und schließlich auch eine Arbeitserlaubnis für zunächst ein Jahr. Sechs Jahre lang hatte ich Jahresverträge.

Und bist geblieben...

In den ersten Jahren war ich unruhig. Mir wurde eine Professur in Belgrad angeboten, die ich jederzeit hätte antreten können. Als 1996 mein Sohn geboren wurde, entschied ich mich endgültig für Braunschweig. Der Junge sollte hier aufwachsen. Inzwischen bin ich Deutscher. Braunschweig ist meine Heimat, ich bin integriert bis zum Geht-nicht-mehr in dieser Stadt.

Du bist musikalisch umtriebig – von der Klassik bis zu Pop, Jazz, Tango, von Spielstätten wie Lindenhof bis Wintertheater, vom Applausgarten bis in die VW-Halle bei „Pop meets Classic“...

Ja ich genieße die Vielfalt. Musik zu machen ist ein riesiges Privileg. Musik ist kein Job. Es geht darum, die Menschen glücklicher zu machen. Sie ist eine Gabe, die ich von meinen Eltern habe und vom lieben Gott. Ich bin sehr dankbar dafür. Aber bei all den Aktivitäten ist eins immer klar: Die absolute Priorität hat das Orchester.

Wie wichtig ist der Dirigent?

Sehr. Ein toller Dirigent kann das Orchester toll machen. Ein mäßiger kann zu mäßigen Ergebnissen führen. Wir haben viel Glück mit unseren Dirigenten. Mit Alexander Joel etwa und jetzt mit Srba Dinic. Ich erinnere mich an eine Begegnung mit ihm, als er noch gar nicht hier im Amt war. Es war nach einer Burgplatz-Premiere. Er war dort als Gast einer Sängerin. Ich hörte eine Stimme hinter mir. Sehr gutes Deutsch. Aber ich war 99,9 Prozent sicher: das musste ein Landsmann sein. Ich ging ihn begrüßen. Er sagte: „Mensch, Josef, was ist los mit dir? Du erkennst mich nicht und siezt mich sogar? ich bin doch der Sraba!“ Wir waren gemeinsam an der Musikhochschule in Budapest.

Ihr seid auch persönlich befreundet?

Schon, ja.

Welche Musik hörst du privat?

Ich höre kaum Klassik, weil ich davon schon so viel gehört habe. Außer, wenn ich mir ein Stück erarbeite. Ansonsten Annie Lennox, The Cure, sehr gern Depeche Mode, bin ein großer Fan von Vangelis und des Filmkomponisten Hans Zimmer. Außerdem Musik aus der Heimat. Aber nicht Volksmusik, sondern Pop.

Wie lange übst du täglich?

Neben den Proben und Auftritten drei bis vier Stunden pro Tag zu Hause. Außer im Urlaub mit meiner Frau und zwei Kindern. Da spiele ich drei Wochen gar nicht. Der Junge ist Hotelmanager, die kleine Tochter tanzt und singt gern und ist sehr musikalisch. An erster Stelle kommt bei mir die Familie. Ganz klar. An zweiter Stelle die Musik. Ich versuche, das im Verhältnis 50:50 zu halten.

Wie stehst du zu dem geplanten Konzerthaus mit Musikschule?

Das Orchester und die Stadt haben es verdient. Es ist wichtig für diese Stadt. Es motiviert uns zusätzlich, das Gefühl zu haben, junge Menschen zu fördern. Die Professionalität verbindet uns. Den Standort in Viewegs Garten finde ich auch gut. Es ist eine einmalige Geschichte. Ich hoffe, die Politiker unterstützen uns.

Jetzt müssen wir noch kurz über Fußball reden. Du warst auf dem Sprung zum Profi...

Als Junge haben mich zwei Scouts von unserem Top-Club Roter Stern Belgrad beobachtet. Sie wollten mich in ein Fußball-Internat holen. Aber mein Vater sagte nein. Und wie gesagt: Er war eine Respektsperson.

Ist das nicht ungerecht, zwei so große Talente in einer Person?

Tja, es ist, wie es ist. Meine Lehrer an der Musikschule haben sich auch gewundert: Wie kommt das? Musik hat doch rein gar nichts mit Fußball zu tun!

Aber du hast weiter Fußball gespielt.

Ja, auf Bezirksliga-Niveau. Fußball war und ist wichtig in meinem Leben. Ab und zu gehe ich zu Eintracht ins Stadion. Von Kind an bin ich ein Fan von Real Madrid. und von Christiano Ronaldo. Dem bin ich sogar mal begegnet. Er hat ein paar Worte zu mir gesagt. Das war ein Ziel in meinem Leben, darauf habe ich richtig hingearbeitet.

50 Prozent Familie, 50 Prozent Musik. Bleibt da noch Zeit für irgendetwas anderes?

Ja! Ich bin ein leidenschaftlicher Angler! Ich kenne ein sehr freundliches Ehepaar. Dem gehört ein Stück der Schunter. Dort darf ich angeln. Das ist ein wunderbarer Ausgleich.