Braunschweig. Die Bestseller-Autorin stellt ihr neues Buch „True Crime – Der Abgrund in dir“ beim Braunschweiger Krimifestival vor. Frönt sie der „Angstlust“?

Romy Hausmann gelang mit ihrem Thrillerdebüt „Liebes Kind“ auf Anhieb der große Wurf. In ihrem neuen Buch „True Crime – Der Abgrund in Dir. Was den Menschen zum Mörder macht“ wendet sie sich realen Verbrechen zu. Sie schlägt elf Fallakten auf, führt Interviews mit Angehörigen, Forensikern, Ermittlern und vielen anderen Fachleuten. Die dokumentierten Fälle und sachlich referierten Recherchen im Umfeld verwebt sie mit ihren eigenen, sehr emotionalen Tagebucheintragungen. Im Fokus all dessen immer Hausmanns Anliegen: Begreifen, was ein Verbrechen wirklich bedeutet. Ob es ihr gelungen ist, wollten wir vor ihrer Lesung beim Braunschweiger Krimifestival am 26. Oktober, 19.30 Uhr, in der Altstadt-Komödie von der Journalistin und Autorin wissen.

Sie sind „Spiegel“-Bestsellerautorin. Warum haben Sie mit „True Crime“ das Genre gewechselt? Das, ich zitiere Sie, „vermeintliche weiche Bett der Fiktion verlassen“?

Ach, das ist gar nicht so eine Riesengrätsche. Für meine Thriller recherchiere ich ja im Vorfeld auch unglaublich viel über wahre Verbrechen, um abzugleichen, ob meine Geschichte realitätsgetreu ist. Ich finde, man muss schon wissen, worüber man schreibt, auch wenn es Fiktion, also eine ausgedachte Geschichte ist. Besonders als Krimiautor! Da hat man auch eine Verantwortung. Sowohl bei Fiktion als auch bei True Crime geht es doch immer darum, den Opfern mit Respekt zu begegnen. Deshalb finde ich True Crime Podcasts, die auf reine Unterhaltung setzen, denen es nur ums Mitfiebern der Zuhörer geht, auch problematisch. Denn es sollte nie in den Hintergrund treten, dass hier das Schicksal eines echten Menschen geschildert wird. Der gelebt hat, der vielleicht Familie hatte. Begibt man sich gedanklich nur mal für einen Augenblick in die Opferperspektive, kann man sich doch nur bekreuzigen und in Demut dankbar sein, dass einem selbst noch nichts Grausames widerfahren ist. Und diesen Respekt sollte man auch in der Fiktion den Opfern erweisen. Denn stellen Sie sich vor, ich schreibe zum Beispiel einen Krimi über eine Vergewaltigung. Jemand kauft das Buch, der dieses Verbrechen so ähnlich erlebt und überlebt hat. Das muss ich doch als Autorin mitdenken!

Hausmann: Keine Handlung geschieht grundlos

In Ihrem Buch sagen Sie an einer Stelle selbst: Was bist Du für eine Autorin, Realität? Darin kann man den ganzen Abscheu, aber ebenso ihre Empathie mit den Opfern und Angehörigen, ihre Fassungslosigkeit herauslesen. Und doch schreiben Sie das auf, haben sich in den Abgrund dessen begeben, was den Menschen zum Mörder macht. Warum?

Der menschliche Abgrund ist ja nur ein Aspekt. Wissen Sie, je mehr Fälle ich bei meinen Recherchen kennengelernt habe, umso stärker reifte in mir der Wunsch, verstehen zu wollen. Hinter jeder Tat steckt ja ein Motiv, eine eigene Geschichte. Keine Handlung geschieht grundlos. Dem in all seinen Facetten nachzugehen, war meine Triebfeder. Das können Sie jetzt glauben oder nicht, aber Bestsellerlisten und Kohle, das war mir dabei echt egal. Ich wollte etwas von Wert schaffen, zeigen, was passieren kann. Bestenfalls schärft True Crime auch unsere Wahrnehmung für unser Umfeld, für unsere Mitmenschen.

Da ist das Mädchen, das zur Mörderin wird, weil sie die Liebe des Vaters so zu halten glaubt, da ist ein Familienvater, der mordet, um den Ruf seiner Familie zu schützen. Und da ist der zentrale Fall, der auch Anlass dieses Buches und Thema Ihrer Tagebucheintragungen ist: der Fall Phoebe, die in einem Müllschacht in Melbourne, Australien, zu Tode kam. Ist True Crime für Angehörige eine Zumutung?

So habe ich das nicht erlebt. Sie sind eher berührt, dass ihrem geliebten Menschen, der ihnen genommen worden ist, noch einmal mit Wertschätzung und Respekt begegnet wird. Das man sich ihrer erinnert. Ich hatte ja auch große Hemmungen, Natalie, die Mutter von Phoebe, überhaupt zu kontaktieren. Aber sie hat wohl schnell gespürt, dass ich nicht schreiben wollte, wie Phoebe aussah, als man sie tot fand, und ob ihr Fuß nun abgetrennt war oder nicht, also die hard facts. Ich wollte Phoebes Leben erzählen. Und nach so einem Tod ist es ja auch so, dass Freunde und Verwandte bei aller Anteilnahme irgendwann nicht mehr können. Wenn es immer nur ein Thema gibt, das geht einfach nicht, selbst beim mitfühlendsten Umfeld. Aber für Natalie ist es ihr Lebensthema. Darüber mit jemanden sprechen zu können, tat ihr wohl gut.

Tagebuchteinträge in einem True-Crime-Buch – wwarum?

Sind Sie noch in Kontakt?

Ja regelmäßig, so einmal die Woche vielleicht. Natalie ist sehr berührt, dass Menschen auf der anderen Seite der Erde so an dem ungeklärten Tod ihrer Tochter Anteil nehmen. Das tut ihr richtig gut. Das Gefühl, dass es Menschen gibt, die verstehen können, dass die Familie mit diesem ungeklärten Verbrechen nicht abschließen kann. Denn natürlich hatte auch Natalie Phasen, in denen sie sich fragte: Verrenne ich mich? Spinne ich? Da ist dieses Mitgefühl, dieses Verstehenwollen sehr stabilisierend und tröstend.

Sie haben Ihr Buch so angelegt, dass Sie uns, die Leser, mittels ihrer Tagebucheintragungen teilhaben lassen an der Recherche zu den elf Fallakten. Zitat: „ Es ist viel. Eine tägliche Gratwanderung zwischen persönlicher Betroffenheit und dem Versuch, mir eine klare Perspektive zu bewahren.“ Warum gewähren Sie diesen Einblick in Ihr Seelenleben?

Ich wollte vor allem Natalie genug Raum geben in dem Buch. Mein Kontakt mit ihr ist in die Tagebucheintragungen eingeflossen. Da wollte ich nichts kürzen. Wer bin ich denn, wenn sich eine Angehörige eines Opfers so öffnet, davon etwas wegzulassen!?

„Angstlust gehört zu uns Menschen“

Auf dem Klappentext steht der Satz: „Wenn man sich in einen Mörder hineinversetzen will, ist man bei Romy Hausmann genau richtig.“ Haben Sie manchmal Skrupel diese Angstlust der Menschen zu bedienen?

Angstlust hört sich böse an, gehört aber zu uns Menschen. Wir gruseln uns manchmal ganz gern. Vielleicht ist das auch gar nicht so verkehrt, wenn wir im Umkehrschluss das Glück, das wir in unserem Leben haben, mehr zu schätzen wissen. Bestenfalls begegnen wir anderen dann freundlicher, interessierter, anteilnehmender, weil wir wissen, dass das Glück jederzeit auf die Kippe geraten kann . . .

Da schließt sich meine Frage an: Warum sind die Menschen geradezu süchtig nach True Crime? Eine Freundin von mir musste sich True Crime Podcasts regelrecht abtrainieren. Warum ist das so? Befriedigen bzw. befrieden wir damit das Böse in uns, das Monströse, das vielleicht schon eine Haustür weiter in der Nachbarschaft lauert?

Mag sein, dass das so ist. Böse Anteile hat natürlich jeder, aber das kann ich nicht generell beurteilen. Ich würde eher noch mal zur Angstlust zurückwollen, die wir sogar bei wahren Fällen empfinden, wenn sie spannend referiert werden. Verwerflich ist das nicht, finde ich. Moralisch fragwürdig wird es für mich, wenn ich als Leser oder Hörer mit einer unreflektierten Konsumhaltung da dran gehe. Ebenso wie bei den Machern, also Leuten wie mir, sollte der Respekt immer an erster Stelle stehen. Und der Gedanke: Das waren Menschen aus Fleisch und Blut! Und für mich als Macherin verbieten sich Spekulationen. Ich bleibe immer bei den Fakten.

„Ein Verbrechen ist wie eine Explosion“

Okay, aber was bedeutet True Crime denn dann, sie wollten sich mit diesem Buch ja dem Kern von True Crime nähern (laut Klappentext)?

Das Wesentliche ist, denke ich, das ein Verbrechen nie isoliert als Fall von Opfer und Täter zu sehen ist. Da hängen immer viele Leben dran. Ein Verbrechen ist wie eine Explosion, wie eine Streubombe, die Familien zerstört und ganz Bindungs- und Beziehungsgeflechte beeinträchtigt.

Sie thematisieren in Ihren Tagebuchpassagen auch Ihre Skrupel. Das ist geschickt, weil Sie dadurch auch uns, Ihren Lesern, die Skrupel nehmen. Niemand möchte gern ein Voyeur sein. Nun ist ja bekannt, dass Angehörige von Opfern häufig geradezu getrieben sind, Ihre Geschichte zu erzählen. Die Motive sind da ganz unterschiedlich. Können Sie das bestätigen?

Ja, unbedingt. Das lag aber auch daran, dass ich mich zum Beispiel bei Phoebe für ihr Leben vor der Tat interessiert habe. Nicht nur für das Opfer. Ich glaube, das hat Natalie gespürt. Ich habe sie wohl auch sehr an ihre Tochter erinnert, die heute in meinem Alter wäre. Unser Humor muss ein ähnlicher sein, und Natalie meinte, Phoebe hätte mich gemocht. Natalie hat irgendwann gesagt, „Romy, du bist ein Geschenk für mein Leben“. So ein Satz macht natürlich was mit dir. Das hat meine Akribie noch mal befeuert. Ich habe noch nie im Leben so wenig geschlafen, so viel geraucht. Ich habe 10 Kilo abgenommen in der Zeit, manchmal nachts nach Lesungen im Hotel noch geschrieben. Es war grenzwertig phasenweise, mitunter dachte ich, die Reißleine ziehen zu müssen. Aber ich würde es immer wieder so machen. Die Arbeit hat meine Sensibilität noch mehr geschärft.

„Auf die Haltung kommt es an“

Sie selber werfen auch die Frage auf: Warum denken wir uns Verbrechen aus? Wo die Welt doch voll davon ist! Ich würde sagen: Weil es lukrativ ist! Wie würden Sie diese Ihre eigene Frage beantworten?

Da zitiere ich mal den Kollegenautor Fitzek von Seite 366 aus meinem Buch: „Das Abtauchen in dunkle Erlebniswelten ist eine gefahrlose und dennoch intensive Nahtoderfahrung. Und was passiert, wenn wir sie durchstanden haben? Endorphine werden freigesetzt. Unsere Empfindungen und Gefühle sind intensiver, auf eine gewisse Weise spüren wir das Leben mehr als zuvor, wenn auch leider immer nur für einen kurzen Moment, bis uns die vermeintlich wichtigen Sorgen des Alltags wieder eingeholt haben.“ Ich versuche seither jedenfalls, jeden Spaziergang mit meinem Papa noch mehr zu schätzen.

Wenn ich mal beim Kartoffelschälen einen True-Crime-Podcast höre, beschleicht mich trotzdem dieses Unwohlsein. Ist das in Wahrheit nicht moralisch verwerflich, im gemütlichen Heim beim Kartoffelschälen anderen beim Krepieren zuzuhören bzw. anderen beim Mördersuchen über die Schulter zu schauen?

Wie gesagt: Auf die Haltung des Konsumenten kommt es an. Außerdem haben auch gut gemachte Podcasts ihren Anteil daran, dass Themen ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt worden sind, die sonst eher am Rande verhandelt werden: Femizide, das Justizsystem und seine Schwachstellen.

„So viele kleine Helden“

Was hat die Recherche zum Buch mit Ihnen gemacht? Haben Sie den Glauben an das Gute im Menschen verloren?

Nein, ich gehe noch ohne Pfefferspray aus dem Haus. Aber ich bin sensibler dafür geworden, was passieren kann. Schaue vielleicht genauer hin. Aber eigentlich hat mich das Buch eher an das Gute im Menschen glauben lassen, weil ich so viele Lichtbringer, so viele kleine Helden kennengelernt habe. Die beiden vom True-Crime-Podcast Mord auf Ex. Den Bewährungshelfer. Das hat mein Herz geweitet.

Sie haben im Buch auch ein Interview mit Dr. Frank Ochberg, Psychiater aus New York und renommierter Experte für psychische Gesundheit. Wie haben Sie den an die Strippe bekommen?

Ich bin von Haus aus Journalistin. Nicht schüchtern. Zudem haben viele meiner Ansprechpartner schnell mein Anliegen verstanden: Ich will Verbrechen begreifen in all seinen Facetten und Auswirkungen. Und so hab’ ich ihn eben angemailt. Warum irgendeinen fragen, wenn es mit dem Besten klappen könnte. Angst kenne ich nicht. Mehr als absagen konnte er ja nicht.

Werden Sie je wieder einen Thriller schreiben können oder wollen? In Ihrem letzten Eintrag schreiben Sie ja von den „Stürmen ihrer Empfindungen“, die Recherche hat Sie also tief bewegt. Geht das wieder: Sich Grausamstes auszudenken mit dem unguten Gefühl: vielleicht schon passiert irgendwo auf der Welt?

Ich bin gerade in der Findungsphase. . . .

Lesung am 26. Oktober, 19.30 Uhr, in der Komödie am Altstadtmarkt.

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