Braunschweig. Bürger Lars Dietrich war Hip-Hop-Pionier in der DDR . Heute rappt er familienfreundlich. Ab Freitag spielt er in der Braunschweiger Komödie.

Wenn du heiraten willst und am Morgen der Hochzeit mit heftigem Kater neben einer fremden Frau aufwachst, dann hast du ein Problem. Klassisches Komödienthema. Wenn es sich allerdings um einen derart gut gewachsenen, freundlichen und kindlich fröhlichen Zeitgenossen handelt wie Bürger Lars Dietrich, dann ist man schon vor der Premiere an diesem Sonnabend, 19.30 Uhr, guten Mutes, dass er seinen Kopf (oder was auch immer) aus der Schlinge zieht. Wir werden sehen. Im Gespräch erweist sich das künstlerische Multitalent als Füllhorn amüsanter Erlebnisse aus einem erstaunlich prall gefüllten Leben als Unterhalter.

Erstmal will ich Ihnen sagen, was bei Wikipedia über Sie steht: Rap- und Popsänger, Moderator, Schauspieler, Tänzer, Synchron- und Hörbuch-Sprecher, Buchautor, Stuntman. Wie kriegen Sie das alles unter einen Hut?

Nun, das mache ich ja nicht alles gleichzeitig. Da kam eins zum anderen. Es fing damit an, dass ich als Kind an allem interessiert war, was mich im Fernsehen unterhalten hat. Leute wie Rudi Carell, Peter Alexander, Harald Juhnke, die konnten ja wunderbar moderieren, plaudern, singen schauspielern. So etwas wollte ich auch.

Sie sind aber in der DDR aufgewachsen...

Ja, aber nicht im Tal der Ahnungslosen. Wir lebten damals in Potsdam, direkt im Angesicht der Mauer. Da bekam man alle drei Westprogramme sehr gut rein. Aber ich fand auch DDR-Unterhaltung gut, auch wenn sie technisch nicht so viele Möglichkeiten hatten. Wolfgang Lippert, „Ein Kessel Buntes“ und solche Sachen.

Aber es war ja trotzdem riskant, Westfernsehen zu schauen.

Oh ja, da bekam ich schon Ärger im Kindergarten, als ich zu der Kindergärtnerin sagte, sie sei wie das Krümelmonster. Man kam zwar fürs Westfernsehen nicht ins Gefängnis, aber es wurde nicht gern gesehen. Man sollte darüber besser nicht reden. Da wurden die Eltern zum Gespräch zitiert.

Und Ihren TV-Idolen haben Sie dann nachgeeifert?

Ich fing als Kind an, mir eigene Liedtexte auf bekannte Schlager auszudenken und zu singen. 1983, da war ich 11, stellte Thomas Gottschalk in seiner Sendung „Na sowas“ zum ersten Mal den neuen Trend aus den USA vor. Da wurde ich zum Hip-Hop-Pionier. Im doppelten Wortsinn sozusagen.

Hip-Hop war in der DDR noch überhaupt nicht bekannt.

Er war vor allem auch nicht gern gesehen. Denn er stammte ja vom amerikanischen Klassenfeind, aus westlichen Subkulturen.

Bekamen Sie Ärger?

Ich trat mit einem Kumpel bei Familienfeiern und Schulfesten auf. In unserer Liebe zur Unterhaltung machten wir eine Mischung aus Comedy und Hip-Hop. Wir schnitten Fratzen wie Jerry Lewis. Kam gut an. Beim Rappen hatten wir einen Trick: Wir haben auf Deutsch gerappt, mit einem Friedenstext. Wir haben den damaligen US-Präsidenten Reagan angeprangert, weil er Millionen für Waffen verschwendete. Was will man dagegen sagen? Meine Mutter war Schneiderin, die war sehr beliebt in der Nachbarschaft. Die hat für uns aus Laken so eine Art Jogginganzüge genäht, damit wir cool aussahen. Immerhin haben wir eine Einstufung bekommen, die man damals brauchte, um als Unterhaltungskünstler aufzutreten – für 20 Mark. 1985 kam der Film „Beatstreet“ von Harry Belafonte in unsere Kinos. Das war die Initialzündung. Belafonte war ein Freund der DDR und trat regelmäßig beim Festival des politischen Liedes auf. Mein Vater hat mich damals ins Kino geschmuggelt, weil ich noch nicht 14 war.

Was trieb Sie dann aber auf die renommierte Gret-Palucca-Ballettschule in Dresden?

Auf einer Familienfeier hatte ich mal wieder meine sämtlichen Talente vorgeführt. Dazu gehörte eben auch das Tanzen. Da sagte eine Cousine zu mir: „Bewirb dich doch da mal, die suchen Jungs.“ Ich wurde auch genommen, ich hatte alle Voraussetzungen. Allerdings wollte ich nie ins klassische Ballett. Da hätte ich acht Jahre studieren müssen. Meine Bühnentanz-Ausbildung dauerte drei Jahre. Ich wollte Show, Revue, Fernsehballett oder Jazz-Dance, auch Folkloregruppen interessierten sich für mich wegen meiner Ausstrahlung. Aber die klassischen Bewegungen hab ich natürlich auch gelernt.

Wie haben Sie die Wende erlebt?

Ausgerechnet dann war ich im Tal der Ahnungslosen. Der Umschwung war schon gruselig. Dass da plötzlich so ein Widerstand war, dass die Leute so Parolen brüllten wie „Wir wollen raus“, wofür man früher bestraft worden wäre. Da wurde vom Balkon die Internationale gesungen. Manche wollten auf die Züge nach Ungarn aufspringen. Wir waren unsicher: Was wird das jetzt?

Waren Sie selbst im Widerstand engagiert?

Nein, ich war 16. Da war für uns über all die Jahre der Erziehung und Prägung die Welt noch eingeteilt in die Bösen im Westen, und wir sind die Guten. Alle Verbrechen wurden in den Zeitungen unter den Tisch gekehrt. Da hatte man schon das Gefühl, dass in dem Land nichts passiert, dass wir sicherer sind, behüteter.

Nach der Wende kamen Sie im Westen zu einiger Popularität. Wie kam es?

Es war wirklich ein Zufall. Ich war an die Berliner Ballettschule gewechselt. Dort drehte die Rockband Die Zöllner ein Musik-Video, so eine Art Anti-Drogen-Film nach dem Muster der „Kinder vom Bahnhof Zoo“. Ich war als Tänzer in der Gruppe dabei. In einer Drehpause haben mich Mitstudenten ermutigt, mal zu den Zöllnern auf die Bühne zu gehen und mit denen zu rappen. Ich wollte erst nicht. Habe mich geziert. Aber das Video, das dabei entstand, war eigentlich der Beginn meiner Karriere. Es kam der erste Plattenvertrag, ich war erfolgreich in den Charts. Ich fand das schon verrückt für einen ehemaligen Jungpionier und FDJler.

Heute machen Sie viel für Kinder. TV-Moderationen, aber auch Raps. Haben Sie selbst Kinder, oder woher kommt diese Ausrichtung?

Ja, ich habe drei Kinder im Alter von 24, 14 und elf Jahren. Mein Schwerpunkt liegt auf leichter Familienunterhaltung. Ich wollte beweisen, dass Rap auch lustig sein kann, nicht nur immer mit bösen und krassen Texten. Ich hatte Vorbilder in den USA wie zum Beispiel die Sugarhill Gang.

Was halten Sie vom Gangsta-Rap, wie ihn in Deutschland etwa Bushido verkörpert?

Davon halte ich gar nichts, ich distanziere mich total. Okay, es gibt gut gemachte Sachen, aber wenn es bloß um plumpe Gewaltverherrlichung geht und die sich so feiern… Nun ja, es gab wohl in jeder Generation so ein Ventil für die Jugend, um zu provozieren. Ich strebe anspruchsvolle Musik mit familienfreundlichen Texten an. Es ist eine neue Art von Kindermusik. Die Kinder haben Spaß, und die Eltern freuen sich auf meinen Konzerten, weil sie mich von früher kennen und sich an ihre eigene Kindheit erinnern.

Worum geht es in Ihren Texten?

„Menschenskind“ ist zum Beispiel ein Wachrüttel-Song für Erwachsene, dass sie sich nicht so über Kinder erheben sollen und sie von oben herab behandeln. Es gibt auch einen Song über Einsamkeit und Mobbing. Aber natürlich auch lustige Sachen wie „Das Raphuhn“. Es gibt auch Radiosender und Plattenfirmen, die interessiert sind an Kinderthemen. Insofern bin ich ganz gut im Geschäft.

Jetzt noch schnell: Was war das mit dem Stuntman?

Das war während eines Jobs in den Filmstudios Babelsberg. Dort musste ich vom Pferd fallen, mich prügeln, meine akrobatischen Fähigkeiten ausspielen, ich habe Fechten gelernt. So bin ich übrigens in eine Operninszenierung von Götz Friedrich an der Deutschen Oper in Berlin geraten. Dort musste ich in Wagners „Meistersingern“ in der Festzelt-Szene Flickflacks vorführen. Auf diese Weise habe ich dann sogar eine Japan-Tournee mit dieser Oper mitmachen dürfen.

Nun sind Sie hier als Schauspieler in Braunschweig. Da haben Sie aber keine Ausbildung im engeren Sinne, oder?

Nein. Aber ich bringe vom Ballett ein gutes Timing und Gefühl mit, auch Tugenden wie Disziplin und Durchhaltevermögen, Kritikfähigkeit, Selbstkritik. Schon als Kind habe ich Komödien mit Pierre Richard oder Louis de Funès geliebt, von daher spiele ich mit viel Gestik und Mimik. Ich habe mit sehr professionellen Schauspielern auf der Bühne gestanden wie etwa Walter Plathe oder Beatrice Richter. Von denen hab ich das Handwerk gelernt. Ich sauge alles auf. Und lasse mir auch gern vom Regisseur etwas sagen. Ich sehe mich immer als Auszubildenden.

Die Rolle des Hochzeiters in Nöten soll ja vermutlich vor allem Spaß machen. Ihnen und natürlich auch dem Publikum. Aber gibt es da auch etwas Tieferes? Zum Nachdenken?

Zum Beispiel könnten Leute, die kurz vor der Hochzeit stehen, noch mal in sich gehen: Ist das wirklich, das, was ich will? Ist sie die Richtige? Habe ich das richtig überlegt? Ich muss aufpassen, dass ich die Rolle sympathisch halte. Man könnte ja denken: Dieses Schwein, am Tag der Hochzeit geht der fremd! Aber er ist im Grunde eine arme Sau, kein Macho. Die Zuschauer sollen auch ein bisschen mitleiden.