Der Comedy-Rabauke will in Wolfsburg und Gifhorn Dampf ablassen. Das sei heilsam für die Gesellschaft, meint er. Und er sei unterschätzt.

Man tritt Ingo Appelt (54) sicher nicht zu nahe, wenn man ihn als altgedienten Comedy-Haudegen bezeichnet. Doch der Mann, dem ein gewisses Rabauken-Image anhaftet, will im Grunde mit seinen Bühnenshows zur Entspannung und Befriedung einer übermäßig zerstrittenen Gesellschaft beitragen, wie er in unserem Gespräch erklärt. Deshalb hält er sich für „unterschätzt“. Am Sonntag, 12. September, präsentiert er um 20 Uhr sein neues Programm „Der Staatstrainer“ im Wolfsburger Delphin-Palast, am Freitag, 17. September, um 19.30 Uhr in der Stadthalle Gifhorn.

Wie sind Sie als Unterhaltungskünstler durch die Pandemie gekommen?

Ich habe keinerlei Hilfe aus dem Unterstützungsprogramm des Bundes bekommen. Ich habe relativ viel Fernsehen gemacht, aber natürlich waren die Einbußen durch den Wegfall der Live-Shows enorm. Das Bittere war, dass es bei mir 2019 gerade richtig toll lief. Und dann: Patsch, Corona. Ich komme mir vor wie ein Kind, das seinen Teller nicht leer gegessen hat, und deswegen gibt es schlechtes Wetter. Aber ich habe nicht gemeckert. Ich will auch gar nicht gepampert werden, ich beschränke mich lieber.

Nun kommen Sie zurück als Staats-Trainer. Können Sie uns eine Job-Beschreibung geben?

Ich halte mich für systemrelevant. Ich eigne mich als Blitzableiter, wenn die Leute mies drauf sind. Nach dem Motto: „Ingo, du Arschloch, komm raus, wir wollen lachen!“ Die Aggressionen werden rausgelassen. Ich bin ein offizieller Aggressions- Therapeut. Hier in Berlin gibt es sogenannte Crash-Rooms, da darf man mit einem Baseball-Schläger ganze Büros zertrümmern. Das Angebot wird zum überwiegenden Teil von Frauen angenommen, die tagsüber ihren Frust im Büro im Kostümchen weglächeln müssen. Da sage ich: Lasst Polizistinnen, Stewardessen, Pflegerinnen mit euren Aggressionen in Ruhe, haut auf mich drauf, ich kann das ab, ich mache mir einen Jux draus.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Nun, das geht schon relativ lustlos los. Ich komme raus, dann gibt es mäßigen Beifall, dann sage ich, nee, ich will nicht beklatscht werden für nix. Ich kack die Leute erstmal richtig an, gehe wieder ab. Das ist wie in einem Sado-Maso-Club. Und dann wird eben gesagt, was man sich sonst nicht zu denken traut. Unsere Kinder zum Beispiel, dieses verwöhnte Dreckspack. Wenn man wieder draußen ist, sind sie natürlich die besten Kinder der Welt.

Das scheint eine erleichternde Wirkung zu haben.

Nach den Vorstellungen kommen Leute zu mir und sagen: Wir haben noch nie so viel gelacht. Das kann man hinterher natürlich nur schwer zugeben, was will man sagen: Wir waren beim Appelt und haben über böse Sachen gelacht? Ich rede zwar Wahnsinn, aber das entspannt einen. Weil es darum geht, tolerant miteinander zu leben. So war das auch mit dem goldenen „Ficken“-Schild, das ich früher oft hochgehalten habe. Ich war verschrien als Sexist. Aber das Gegenteil ist der Fall! Es war ein Ausdruck tiefer männlicher sexueller Frustration. Ich bin eine Trüffelsau für Frust und Ärger. Mein Job ist Männerarbeit. Wir haben ein grottiges Image. Die Kerle müssen sich ändern. Zum Positiven. Weniger Aggressionen. Weicher werden.

Wie positionieren Sie sich im Wahlkampf?

Zunächst bin ich gegen jede Art von Politikverdrossenheit. Ich sage den Leuten: Ihr seid ja nicht mal Mitglied in einer Partei, was reißt ihr da die Fresse auf? Nur noch 1,2 Millionen Deutsche sind in einer Partei. Vor zehn Jahren waren es noch 3 bis 4 Millionen. 1,3 Millionen Deutsche sind in Schützenvereinen. Wir haben also mehr Waffenbesitzer als Parteimitglieder. Inzwischen ist es ja so: Wenn ich erzähle, mein Sohn geht in die Politik, meine Tochter auf den Strich, dann kommt die Antwort: „Na siehst du, wenigstens aus dem Mädel ist etwas geworden.“ Wir hatten noch nie so viele Parteien, aber zugleich so wenige Parteimitglieder. Das finde ich bedenklich. Alle wollen mitschreien, aber immer weniger machen sich die Mühe der politischen Arbeit.

Und finden lieber alles doof und ätzend?

Und regen sich pausenlos darüber auf, was ihnen alles nicht passt. Anstatt mal gelassen zu sein und zu sagen: Wählen wir doch einfach mal die SPD.

Sie sind dort Mitglied.

Seit 38 Jahren. Genauso wie ich als Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied bin. Ich finde, als Wähler soll man nicht so überkritisch sein. Ich habe Saskia Esken als Parteivorsitzende und halte es trotzdem aus. Die Politiker sollten mehr zusammenarbeiten als gegeneinander. Mit Respekt. Stattdessen ist der Ton oft vernichtend. Ich habe kürzlich hinter der Bühne Kevin Kühnert getroffen, so ein nettes kleines freundliches Bürschchen, und dann geht der raus und redet wie ein Staatsanwalt! Viele sehen das und denken, sie müssten genau so sein. Das ist ganz falsch!

Aber eine gewisse Zuspitzung muss doch sein im Wahlkampf, oder?

Ach, Zuspitzung, ich weiß nicht. Ich schaue zum Beispiel nach Finnland. Da gibt es eine Koalition aus fünf Parteien. Deren Vorsitzende sind allesamt Frauen. Da klingelt etwas bei mir… Frau Merkel hat auch nicht zugespitzt, oder? Wir streiten und streiten um nix und wieder nix. Das ist ein überbordender Irrsinn, das macht uns Spaß.

Hätten Sie mit dem Höhenflug von Olaf Scholz gerechnet?

Nun ja, er profitiert von den Patzern der anderen. Laschet hat’s vergeigt. Er hat seine Karriere kaputtgelacht. Und bei Annalena haben die Leute Angst: Sie dürfen kein Fleisch mehr essen, kein Auto mehr fahren. Olaf Scholz polarisiert nicht. Es scheint plötzlich plausibel, dass er gewinnt. Die Leute wollen mit ihm auf der Gewinnerseite stehen. Bist du erstmal auf dem Verlierertrip, dann saust du ins Bodenlose. Wie damals bei Martin Schulz. Hätte er unmittelbar nach seinem 100-Prozent-Triumph die Groko abgebrochen und wäre in den Wahlkampf eingestiegen, wäre er heute Kanzler.

Wenn Sie der Trainer von Armin Laschet wären, was würden Sie tun?

Da bin ich raus. Das muss man fatalistisch sehen. Da geht gar nichts mehr. Höchstens noch so ein Muschi-Grabsch-Ding wie bei Trump. Damit holst du die Prolos ab. Trump und Boris Johnson sind ja Katastrophenviecher und Proletariats-Imitatoren mit großer Beliebtheit. Und die Leute haben Angst. Mit „Ausländer raus“ gewinnst du jede Wahl.

Wie läuft es wirtschaftlich bei Ihnen?

Ich bin generell nicht sehr geschäftstüchtig. Ich schreibe ja auch keine Bücher. Was ich möchte, ist, auf der Bühne die Leute zum Lachen zu bringen, das macht sie glücklich, das macht mich glücklich. Das ist alles, was ich erreichen will. Wahrscheinlich werde ich noch mit 82 auf der Bühne stehen. Dann gehe ich auf Bädertour und rede in Damp 2000 über Sex. Die Alten sind da unverkrampft. Da sind die 40- bis 60-Jährigen derzeit teils schwerer zu bewegen. Manchmal denke ich, ich sollte wie die Zeugen Jehovas mit einem Lachturm in der Hand von Tür zu Tür gehen und fragen, ob ich mit ihnen mal kurz über Comedy reden darf.

Ein kleines Wortspiel?

Du bist ein Schlauer.