Braunschweig. Der Braunschweiger Mario Saccoccio studierte in Hamburg Musical, sang bei „Aladdin“ und in Schmidts Tivoli und gastiert zurzeit im Westand.

Ein Hauch von Schmidts Tivoli weht zurzeit auf der Freiluftbühne am Braunschweiger Westand. Eine hochmotivierte Crew spielt dort noch bis 29. August das selbstgemachte Musical „Bürobiester“ rund um Typen aus der realen Arbeitswelt. Mit dabei: Mario Saccoccio, gebürtiger Braunschweiger, der nach seiner Musicalausbildung in Hamburg und weltweiten Stationen nun mal wieder ganz nah an seiner alten Heimat, der Braunschweiger Weststadt, spielt.

Wie war so eine Jugend in der Braunschweiger Weststadt?

Ich bin ja ein Kind italienischer Gastarbeiter. Damals, als auch viele Italiener nach Wolfsburg zu VW gingen, kamen auch meine Eltern nach Deutschland. Sie haben sich bei Da Bruno am Bohlweg kennengelernt, wo mein Vater als Pizzabäcker, meine Mutter im Service arbeitete. Sie haben dann zusammen das „Salvatore“ an der Wendenstraße aufgemacht. Ich habe mich da aber immer rausgehalten und mich geweigert, wie andere Gastronomenkinder im Laden mitzuhelfen. Die Weststadt war ein bunter Nationenkessel, unsere spanischen Nachbarn wurden meine besten Freunde. Was haben wir im Jolly Joker getanzt!

Wer brachte dich auf die Idee zur Musical-Laufbahn?

Zum Theater kam ich über das Singen. Wir waren natürlich katholisch und gingen zur Ägidienkirche, wo Margot Cherkeh den Kinderchor Belcanto gegründet hatte. Sie lud mich ein, ich probierte es aus und fand Singen richtig gut. Anfang der 90er wirkte Belcanto dann an Staatstheater-Produktionen wie dem Musical „Oliver“ (Twist) mit. Und in Brittens Oper „Ein Sommernachtstraum“, den Brigitte Fassbaender inszenierte, bekam ich, warum wohl?, die stumme Rolle des „indischen Prinzen“. Ich fand das alles ganz wunderbar, aber zugleich wuchs mein Respekt vor den Sängern, das war schon alles richtige Arbeit. Ob ich das auch könnte? Ich hatte immer so viel mit Singen und Reiten zu tun, dass ich nur den Hauptschulabschluss gemacht hatte. Professionelles Singen hatte ich bei Fit for Music gelernt, das Abitur machte ich am Kolleg nach. Mit 25 konnte ich mich dann endlich bewerben. Aber gleich die erste Aufnahmeprüfung hat geklappt: Ich wurde auf der Hamburger School of Entertainment angenommen.

Das war jetzt nicht die damals angesagte mit den Stella- (heute Stage-) Musicals. Wie lief die Ausbildung?

Unsere Schule war mit den Kreuzfahrtschiffen von Aida verbunden. Das war auch nicht schlecht. Nach drei Jahren Ausbildung gehörte ein halbes Jahr Programmmachen auf einem Schiff mit dazu. In der Ausbildung also erstmal jeden Morgen an die Ballettstange, dann Singen, Rollengestaltung. Abends jobbte ich als Schließer im Operettenhaus, um mir das Schulgeld zu verdienen. Aber so konnte ich alle möglichen Vorstellungen, auch bei den anderen Stella-Häusern sehen. Weil ich auch auf dem Kiez wohnte, wechselte ich bloß immer die Straßenseiten.

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Nach dem Abschluss also sechs Monate Kreuzfahrtschiff. Davor musste ich in sechs Wochen die 16 Shows lernen, die wir dort spielten. Echt Bootcamp. Unser Repertoire reichte von einer Abba-Revue zum Rock-Palast und einem Solo-Barprogramm mit Swing. Ich habe es als Praxissemester genommen. Und die Weltreise war schon klasse. Wir wurden nach Jamaika geflogen, dann ging’s Richtung Mittelmeer zurück. Da unser Programm immer erst um halb zehn Uhr losging, wir erst um sechs auf dem Schiff sein mussten, konnte ich mir bei den Landgängen richtig was ansehen. Aber nach den sechs Monaten war mir auch klar, obwohl ich ein Anschlussangebot bekam: Ich will wieder an Land.

Jetzt kam das Schmidt in Sicht...

Ja, ich verstand mich beim Vorsprechen gleich sehr gut mit Corny Littmann und bekam eine Rolle in „Schmidt in Love“, einem Musical über allerlei Turbulentes in einer Hamburger WG. Ich blieb dann oft noch für die Mitternachtsshow, guckte mir von Corny viele Details ab wie sein Timing für Pointen. Und das ist eben ein Haus, da sitzt dann plötzlich Udo Lindenberg in der Show, weil er ein alter Freund von Corny ist. Oder Udo Jürgens kommt vorbei, dessen Musical „Ich war noch niemals in New York“ nebenan lief. Da ahnte ich noch nicht, dass ich später darin mal spielen würde, allerdings in Zürich. Und es war auch spannend, Olivia Jones als Oliver kennenzulernen. Das sind alles große Künstler, und ich habe mich gekniffen und gefragt, was macht ein Junge aus der Weststadt hier auf der Reeperbahn?

Weiter ging es dann ja auch bei Großproduktionen wie „Disneys Aladdin“ in Stuttgart, aber auch mit Schauspielrollen unter anderem an der Komödie am Altstadtmarkt in Braunschweig, in Goldonis „Diener zweier Herren“ und klassischen Musicals wie „West Side Story“. Da umschiffst du ja ein wenig den Vorwurf, der Musicals gern gemacht wird: dass sie immer in so einer Wohlfühlblase spielen oder zumindest landen.

Ich frage dann immer, welche Musicals diese Leute kennen. Die Vielfalt ist groß. Und ich liebe gerade die klassischen Musicals wie „Kiss me Kate“, Musicals, die eine Geschichte erzählen. Am Theater Klagenfurt durfte ich in „Gipsy“ mitwirken, da geht es um eine Mutter, die ihre Töchter als Stripperinnen ausbeutet. Und ich war in „A Chorus Line“ dabei, da geht es ja gerade um die scheinbare Glitzerwelt des Broadway und die menschlichen Abgründe dahinter. Ich sehe mich als Schauspieler, Sänger, Tänzer, der glaubhaft Geschichten von Menschen erzählt. Und so bewerbe ich mich auch. Als Musicaldarsteller wirst du sonst gar nicht mehr für etwas anderes eingeladen. Bei einer reinen Schlagerrevue würde ich nicht mitmachen.

In den „Bürobiestern“ spielst du als Gil sehr fröhlich mit schwulen Klischees, wie man es vom Schmidt gewöhnt ist. Den Costa in „Ich war noch niemals in New York“ oder deine Rollen in „Aladdin“ hast du gewiss auch wegen deines Aussehens bekommen. Stören dich diese Klischees?

Ich habe ja italienische Wurzeln, und natürlich sehe ich eher griechisch oder arabisch aus, da liege ich eben auf den Rollen. Wichtig ist doch, dass ich sie dann menschlich echt spiele. Jago in „Aladdin“ ist ja der Assistent eines der Bösen, das kann man übertrieben spielen, aber ich nehme ihn ernst, und daraus erwächst dann auch eine gewisse Komik. Es ist oft viel wirkungsvoller, mit dem Ton runterzugehen und natürlicher zu spielen, dann hören die Menschen einem wieder ganz anders zu. Sogar die Kollegen.

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Den Gil spiele ich mit Spaß am Klischee, aber ich bemühe mich dabei um Echtheit. Er liebt das Leichte, die böse Pointe, aber er ist nicht oberflächlich. Er hat Empathie für seine Kolleginnen, da ist er genauso ehrlich. Und er hat seine Verletzlichkeit, wenn er von dem verheirateten Nachbarn erzählt, in den er eigentlich verliebt ist.

Wie soll es weitergehen?

In meinem Job ist es normal, dass es mal Lücken zwischen den Engagements gibt. Corona hat das jetzt verschärft. Wichtig war, Stimme und Körper fit zu halten. Ich schaffe jetzt die zehn Kilometer Joggen um die Außenalster. Ich hoffe, bald in einer großen Produktion, für die ich vorspreche, dabei zu sein. Initiatorin Sarah Matberg plant auch eine Fortsetzung am Westand, darüber freue ich mich. Ich mag Braunschweig, kann hier bei meiner Mutter wohnen, es muss nicht immer Kiez sein.

Karten für „Bürobiester“ und das Kindermusical „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“, in dem Saccoccio auch mitspielt, gibt es unter: www.westand-musical.de