Braunschweig. Am Wochenende feiert das Braunschweiger Tanztheater unter Gregor Zöllig sein fünfjähriges Hiersein in einer Gala im Großen Haus.

Als Gregor Zöllig im Sommer 2015 nach Braunschweig kam, konnte er auf langjährige Leitungserfahrungen in Osnabrück und Bielefeld zurückgreifen. Zum Start am Staatstheater ging er noch einmal zu den Wurzeln des Tanztheaters zurück, die auch seine sind: Der gebürtige Schweizer lernte an der Essener Folkwang-Schule, an der auch Pina Bausch aufwuchs und die sie zeitweise leitete.

Szene aus „Uncia“ von Diana & Dionysos aus Griechenland.
Szene aus „Uncia“ von Diana & Dionysos aus Griechenland. © Staatstheater Braunschweig

Nach Braunschweig lud Zöllig für Gastchoreographien und Gastspiele nochmal die großen alten Damen des Tanztheaters ein: Susanne Linke mit „Ruhrort“, Reinhild Hoffmann mit einem Remake von „Zeche eins“, beides emblematische Stücke der Tanzgeschichte. Das Credo: jede Bewegung ist Ausdruck, hat einen Grund. Es bestimmt auch seine choreographische Arbeit. In zeitgenössischen Erörterungen zu Heimat und Liebe ebenso wie in großen literarisch-orchestralen Erzählungen wie „Brahms-Requiem“, „Peer Gynt“ und „Winterreise“. Dazu kommen zahlreiche Tanzprojekte für Amateure unter dem Titel „Tanzwärts“.

In Osnabrück und Bielefeld hast du jeweils sehr schnell ein festes Publikum für dein Tanztheater begeistern können. Wie lief es in Braunschweig?

Ich bin jetzt angekommen, fühle mich künstlerisch hier zu Hause, aber der Anfang war nicht leicht. Wir sind viel nach draußen gegangen, haben mit dem Braunschweiger Dom, dem Kunstmuseum Wolfsburg und Movimentos in Wolfsburg zusammengearbeitet, für diese Kooperationen sind wir sehr dankbar. Auch den drei Braunschweiger Stiftungen und Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse, die uns zur Gestaltung der Verleihung des Braunschweiger Wissenschaftspreises einlud. So haben wir ganz unterschiedliche Publikumsgruppen getroffen, und wir haben jetzt auch hier einen großen Kreis von Menschen, die unsere Arbeit interessiert verfolgen.

Besonders wichtig war dafür unser Tanzwärts-Projekt. Mehr als 800 Amateure aus der Region haben bisher daran teilgenommen, am Ende auf der Bühne des Großen oder Kleinen Hauses oder in Wolfsburg bei der Movimentos-Akademie ihre Ergebnisse gezeigt. Und die sind jetzt auch unser Publikum, ja Botschafter für uns geworden. Es ist wie eine große Familie, die sich immer wieder trifft. Das brauchte seinen Anlauf, aber jetzt sind sie da.

Szene aus „Crime Scenes“ von der Compania Otra Lado aus Havanna.
Szene aus „Crime Scenes“ von der Compania Otra Lado aus Havanna. © Staatstheater Braunschweig

Wir leben in Zeiten des Klimawandels, wachsender Nationalismen und Egoismen, wie wirkt sich das auf deine künstlerische Arbeit aus?

Jedes Stück ist eine Recherche, zu der die Tänzer aktiv beitragen, daher bin ich froh, dass wir auch als Ensemble zusammengewachsen sind, dass sie sich auf meine Themen einlassen. Ich wähle das aus, was mich beschäftigt und was sich mit körpersprachlichen Mitteln verhandeln lässt.

Das können gesellschaftliche Themen sein wie in „Speedless“, dessen schnell ineinandergreifende Bewegungen sich auf die Konformisierung und Produktivitätssteigerung in der Arbeitswelt beziehen, was ja sehr konkret etwas mit unserem Körper und unserer Seele macht. In dieser Spielzeit werden wir in „Vom Sinn der Sinnlichkeit“ untersuchen, ob unsere Sinne der modernen Medienwelt noch gewachsen sind. Ob man in unserer lauten Welt überhaupt noch etwas hört. Ob man die Bilderflut überhaupt noch aufnehmen kann, wie man sie filtert. Und natürlich wird es immer um die Schwächen des Menschen, seine Zerbrechlichkeit gehen, die unser Miteinander fordern. Dazu haben wir in „Heimatabend“ Fragen gestellt, und damit wollen wir natürlich sensibilisieren für mehr Menschlichkeit.

Szene aus „Road“ von und mit Oscar Buthelezi (stehend) und Muzi Shili aus Johannesburg.
Szene aus „Road“ von und mit Oscar Buthelezi (stehend) und Muzi Shili aus Johannesburg. © Staatstheater Braunschweig

In Stücken wie „Peer Gynt“ oder „Winterreise“ kommt sogar die erzählerische Großform wieder.

Wenn man das Glück hat, mit dem Staatsorchester zusammenarbeiten zu können, ist die Befragung traditioneller Stoffe auf ihre aktuellen Aussagen eine willkommene Herausforderung. Das Thema Endlichkeit und Tod in der „Winterreise“ gehört immer zu unserem Leben. Für jeden Tänzer, jeden Choreographen stellt sich auch ganz konkret die Frage, was passiert, wenn es mit der Kunst nicht mehr weitergeht, wenn der Teller des Leiermanns, von dem Schubert singen lässt, immer leer bleibt. Schubert fühlte sich am Ende seines Lebens auch so unverstanden wie der Leiermann, sogar von seinen Freunden. Wenn ich mit Geschichten eine Aussage treffen will, muss auch ich eine choreographische Form finden, die von anderen verstanden werden kann. Das ist auch immer wieder ein Ringen.

Die Gala mischt Ausschnitte aus eigenen Produktionen und kurze Choreoghraphien von Gästen. Wo hast du sie her?

Ich wollte gern einen Ausblick auf gegenwärtige Strömungen im Tanztheater geben, daher sind es oft Arbeiten, die ich selber bei Festivals und Wettbewerben gesehen habe. Beim Choreographenwettbewerb in Hannover bin ich in der Vorjury, von dort habe ich den Sieger dieses Sommers, Osvcar Buthelezi aus Johannesburg eingeladen, der mit seinem Kollegen das Duo „Road“ tanzt. Auch „Crime Scenes“, ein Frauen-Solo aus Kuba, „Exit“, ein Duo aus China, und „Uncia“, ein Duett von Danae & Dionysos aus Griechenland habe ich dort gesehen. Von der Forsythe-Company Frankfurt-Dresden kommt das „Carnegie-Solo“ von Sam Young-Wright, das sich auf Keith Jarretts letzten Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall bezieht. Und Tiago Manquinho, unser ehemaliger Hauschoreograph, bringt ein Solo zu „Pagliaccio“, dem italienischen Clown, mit.

Die Gala gibt es nur zweimal: Premiere am Sonnabend, 14. September, zum letzten Mal am Sonntag, 15. September, je 19.30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig.