Ekaterina Kudryavtseva singt mit Kollegen beim großen Freiluftkonzert, das das Staatsorchester am Sonntag im Braunschweiger Bürgerpark gibt.

Ein paar Klassik-Häppchen zum Picknick, ein paar Appetizer für die nächste Opern- und Konzertsaison: das Staatsorchester rührt vor den Sommerferien mit dem kostenlosen Freiluftkonzert „Klassik im Park“ noch mal tüchtig die Werbetrommel. Denn von all den schönen Titeln, die sicher wie in der Vergangenheit wieder tausende Zuhörer im Braunschweiger Bürgerpark genießen werden, gibt es ja dann ab August im Staatstheater immer noch viel mehr.

Das vage Motto „Best of“ lässt alles zu, und so wird es, wie im nebenstehenden Infokasten zu lesen, vom rasanten Walkürenritt aus Richard Wagners „Walküre“ bis zum unumstrittenen Tenor-Hit „Nessun dorma“ aus Puccinis „Turandot“ ein buntes Programm geben. Der Staatstheaterchor gibt mit „Va pensiero“ das berühmteste Chorlied zum Besten, es entstammt Verdis „Nabucco“, der im August in voller Länge und Inszenierung auf dem Braunschweiger Burgplatz zu sehen sein wird.

Für die Sopranistin Ekaterina Kudryavtseva ist ihr persönliches Wunschlied „Je veux vivre“ (Ich will leben), nämlich die Arie der Julia aus Gounods Liebesoper „Romeo und Julia“ dabei. Seit 2010 ist die in Sankt Petersburg geborene Sängerin im Ensemble des Staatstheaters und glänzte in großen Rollen wie Gilda („Rigoletto“), Mimi („La Bohème“) und Micaela („Carmen“) auf dem Burgplatz.

Wie kam es zum Singen?

Mit zweieinhalb Jahren habe ich meine ältere Schwester zum Kinderchor begleitet, und da habe ich eine Passage gleich eine Oktave höher mitgesungen, so dass die Leiterin mich hörte. Sie hat nachher mit mir ein paar Übungen gemacht, und mit drei war ich selbst im Chor. 1995 sind wir sogar mal auf Gastspiel in Hameln gewesen, drei Tage mit dem Bus unterwegs. Da habe ich natürlich noch nicht geahnt, dass ich mal in Niedersachsen leben würde.

Meine Eltern waren eher skeptisch, ob aus dieser Lust am Singen ein Beruf werden könnte. Aber bis zum Abitur lief alles prima, und ich hatte noch so eine Pianistin aus der alten russischen Tradition, die mir bei der Begleitung viel Sicherheit gab und sagte, wir schaffen das. So kam ich aufs Konservatorium und machte mein Diplom.

Wann kamen die ersten Rollen? gehörte Spiellust auch dazu?

Wir haben schon während des Studiums in der Petersburger Kammeroper gesungen, ein hübsches Theater in einem alten Privatpalais. Da habe ich zum ersten Mal Gilda und La Traviata gesungen, war ja ein kleines Haus. Ich weiß noch, dass ich als Traviata mit Marilyn-Monroe-Perücke und Minirock auftrat und mich eigentlich sehr wohl fühlte in dieser Verkleidung. Die Kurtisane, um die es hier geht, schlüpfte eben in eine andere Rolle, um sich nicht selbst zu verletzen.

Wie nahe darf man sich die Rollen gehen lassen? Kann man immer gut trennen? Soprane sind ja leider oft die Opfer in der Oper und müssen sterben.

Wir müssen unser Herz zeigen, sonst wird es falsch auf der Bühne. Aber die Verkleidung hilft schon, dass man sich klar ist, dass man nun jemand anderes Gefühle darstellt. Ich suche aber immer nach einer Verbindung zu dem, was ich selbst fühlen kann. Und wenn ich eine nicht so nette Figur spiele wie die Berenice in Vivaldis „Farnace“, dann muss ich auch irgendetwas Gutes in der Figur finden, damit ich ihren Charakter verstehe und glaubhaft machen kann. Dem Publikum wird sie deshalb trotzdem nicht sympathisch, das merkt man dann am Applaus.

Welche Rollen könnten Ekaterina Kudryavtsevas Herz schmelzen lassen?

Ich habe sehr früh eine Kassette mit Montserrat Caballé als Donizettis Anna Bolena gehört, da liefen mir wirklich die Tränen. Diese Rolle würde ich auch gern mal singen. Aber ich zeige mich auch gern ganz anders, nicht nur als braves, ernstes Mädchen. Carmen wäre nach meinem Geschmack, endlich selbstbestimmt und kein Opfer. Aber die Partie ist ja nun mal für Mezzo, da komm ich nicht hin.

Woher weiß man immer, welche Partie gerade gut für einen wäre?

Das ist gar nicht so einfach. Die Angebote vom Theater liegen nicht immer da, wo man stimmlich gerade ist. Als ich vor fast zehn Jahren nach Braunschweig kam, sollte ich die koloraturfunkelnde Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“ und die sanfte Liu aus Puccinis „Turandot“ in einer Saison singen. Ich bin aber eher ein lyrischer Sopran mit Koloratur, und als ich die Königin probierte kam das hohe F nicht. In dieser Partie muss aber alles technisch brillant kommen, das kennzeichnet die böse Machtspielerin. Also habe ich es abgesagt – und durfte dann die Liu auch nicht singen. Im Nachhinein war das gut, weil ich damals gegen das Puccini-Orchester noch schwer angekommen wäre. In Russland gehörte probieren und noch nicht übernehmen einfach dazu. Und man kann, wenn Stücke über mehrere Jahre im Repertoire bleiben, noch weiterwachsen mit einer Partie, das ist in Deutschland selten geworden. Für die Fjordiligi und Donna Anna von Mozart war ich, als ich sie zuerst in Braunschweig sang, noch nicht ganz bereit, heute wären sie ideal. Aber es war Mozart, da macht man sich stimmlich nichts kaputt.

Die Entwicklung hat ja in Braunschweig ganz gut geklappt: Von der noch leichteren Susanna in Mozarts „Figaro“ über Gilda und La Traviata zu Mimi und demnächst der Marguérite in Gounods „Faust“, das führt doch sehr behutsam ins lyrisch-dramatische Repertoire.

Ich bin sehr froh, dass ich diesen sanften Fachwechsel unter der augenblicklichen Leitung ausprobieren kann. Ich merke, wie die Stimme immer mehr Farben bekommt, das tut gut.

Wie viel hilft oder schadet die Regie?

Mit einer traditionellen Inszenierung komme ich meist besser klar, ich möchte gerne das ausdrücken, was in der Musik liegt, sonst wird es schwierig. Ich habe trotzdem sehr gern in Thaddeus Strassbergers „Rigoletto“-Version im Boxermilieu gesungen. Dass der Herzog gleich im ersten Duett mit Gilda so körperlich, fast brutal wird, habe ich in der Musik nicht spüren können, das machte mir Schwierigkeiten. Aber wie am Ende Maddalena und Gilda miteinander ringen und Maddalena selbst (statt ihr Banditenbruder) mich umbringt, aus Eifersucht, das fand ich sehr gut. Ich merke oft, dass ich mich in eine moderne Inszenierung mehr reindenken muss, aber wenn sie plausibel ist, öffnet sie mir auch manchen Zugang. Lotte de Beers „Cosi fan tutte“ unter Clowns hat uns dann richtig Spaß gemacht.

Klassik im Park – Das Programm:

Mikhail Glinka: Ouvertüre zu „Ruslan und Ludmilla“.

Erich Wolfgang Korngold: „Glück, das mir verblieb“ und „Mein Sehnen, mein Wähnen“ aus „Die tote Stadt“.

Richard Wagner: Vorspiel zum 3. Aufzug zu „Lohengrin“ und „Ritt der Walküren“ aus „Die Walküre“.

Wolfgang Amadeus Mozart: Ouvertüre zu „Le nozze di Figaro“ und Champagner-Arie aus „Don Giovanni“.

Giuseppe Verdi: Ouvertüre und „Va pensiero“ aus „Nabucco“, „La donna è mobile“ aus „Rigoletto“.

Leonard Bernstein: Ouvertüre zu „Candide”.

Frederick Loewe: „I could have danced all night” aus „My fair Lady”.

Irving Berlin: „Anything you can do” aus „Annie get your gun”.

Leroy Anderson: „The Typewriter”.

Richard Strauss: Fanfare aus „Also sprach Zarathustra“.

John Williams: Hauptthema aus „Star Wars”.

Adolph Deutsch / Matty Malneck: „I wanna be loved by you” aus „Manche mögen’s heiß”.

Paul Lincke: „Berliner Luft“- Marsch aus „Frau Luna“.

Gerhard Froboess: „Pack die Badehose ein“.

Paul Abraham: „Es ist so schön am Abend bummeln zu geh’n“ aus „Ball im Savoy“.

Charles Gounod: „Je veux vivre“ aus „Roméo et Juliette“.

Giacomo Puccini: „Nessun dorma“ aus „Turandot“.

Carl Orff: „O Fortuna“ aus „Carmina Burana“.

Mit: Staatsorchester Braunschweig, Chor des Staatstheaters, Ekaterina Kudryavtseva und Jelena Bankovic (Sopran), Michael Ha (Tenor), Vincenzo Neri (Bariton), Moderator Martin Weller, Musikalische Leitung Srba Dinic.

Veranstalter: Volkswagen Financial Services

Eintritt frei. Beginn 15 Uhr im Bürgerpark Braunschweig.