Der BAP-Frontmann spielt am 30. Juni in Braunschweig, am 6. Juli kommt Bob Dylan. Im Interview spricht Niedecken über Begegnungen mit dem Vorbild.

Mit BAP gründete der Kölner Wolfgang Niedecken Mitte der 70er Jahre die erfolgreichste mundartliche Rockband des Landes. Für Niedeckens leidenschaftliche, teils politisch engagierte, teils poetische Texte war der amerikanische Songpoet Bob Dylan eine wichtige Inspirationsquelle. Nun kommen beide fast gleichzeitig nach Braunschweig. Niedeckens BAP spielt am 30. Juni open air auf dem Wolters-Hof. Dylan gastiert am 6. Juli in der Volkswagen-Halle. Wir sprachen mit Niedecken über die Songwriter-Ikone und das Durchhaltevermögen von Rockmusikern.

Dylan tourt gerade wieder durch Deutschland. Du hast sein erstes Konzert in Düsseldorf besucht. Wie war es?

Es war eines der besten, das ich in den letzten 20 Jahren gesehen habe. Ich war angenehm überrascht, dass kein einziger Song seiner Sinatra-Alben auf der Setlist stand. Stattdessen war über die Hälfte der Songs aus seinem so genannten Spätwerk, das ja mit „Time Out of Mind“ von 1997 anfängt. Ich würde mich langweilen, wenn ich jedes Mal die gleiche Setlist hören würde, wie das zum Beispiel bei den Stones der Fall ist. Der Mann wird natürlich auch immer älter. Diesmal hat er sich hinter seinem Flügel verschanzt, nur bei „Scarlett Town“ hat er gestanden. Die Menschen waren ganz beseelt. Für mich war es das beste Dylan-Konzert seit langem.

Wie oft hast du ihn getroffen?

Zweimal. Einmal mit Wim Wenders. Mit Wim hatte ich 2002 in Köln für den BAP-Film gedreht. Wenders und Dylan kennen sich. Dylan mag Wenders’ Filme. Wim und ich haben das Konzert in Köln vom Monitormischpult aus verfolgt. Nachher haben wir zusammen gesessen, und das war ein ganz herzliches Zusammentreffen. Dylan ist sehr wissbegierig. Er hatte am nächsten Tag einen Auftritt in Berlin und wollte von Wim ganz viel über Preußen und die entsprechenden Könige wissen. Er ist ein Privatgelehrter, der unterwegs immer alles checkt und das alles in seine Texte einfließen lässt.

Wo hattest Du Deine zweite Begegnung mit Dylan?

In Hannover gibt es eine gibt Firma, die tolle Gitarren herstellt: Duesenberg. Und die erhielt irgendwann einen Anruf aus Amerika, wo ein Typ rumnuschelte, er wolle auch so eine blaue Gitarre wie der Gitarrist von Tom Petty haben. Und dann stellte sich heraus, dass das Bob Dylan war, der diese Gitarre wollte. Die haben sie ihm geschickt. Und danach hat Dylan mitbekommen, dass es von Duesenberg eine Lap Steel Gitarre gibt. Das ist eine Gitarre, die auf dem Schoß liegt und die man mit einem Röhrchen spielt. Davon hat Duesenberg eine spezielle Variante entwickelt, auf der man die Tonarten einstellen kann. Jedenfalls haben sie sich überlegt, dass ich ihm diese Gitarre in Saarbrücken nach einem Konzert überreichen sollte. Das habe ich natürlich gerne gemacht. Dylan hat sich gefreut wie ein kleiner Junge, und er hat sofort überlegt, wie er noch am gleichen Abend im Tourbus auf dem Weg nach Paris dieses neue Spielzeug ausprobieren kann. Das war eine total nette Begegnung, und es hat mich sehr gefreut, dass der Mann, der auf meine künstlerische Entwicklung den größten Einfluss überhaupt hatte, ein richtig Guter ist.

Noch mal etwas ins Kölsche übersetzen von ihm?

Warum nicht? Wenn ich an neuen Stücken für ein BAP-Album arbeite, gucke ich erstmal, was ich noch im Köcher habe. In der Regel haben wir auf jedem Album einen Dylan-Song. Ich wüsste auch schon, welcher es auf dem nächsten sein könnte. Nämlich ein Song, den wir mit BAP schon ganz am Anfang auf Kölsch gespielt haben, der aber nie auf einem Album aufgetaucht ist: „Girl from the North Country“. Das Lied habe ich in Dylans Geburtsort Duluth mit der Folksängerin Sarah Krueger in einer Kirche gespielt, und das war sehr bewegend.

In den 80er Jahren habe ich natürlich BAP gehört. Ich habe damals in Braunschweig gelebt, und meine damaligen Freunde konnten die Texte nicht verstehen, fanden das aber irgendwie cool. Das war für die exotisch.

Davor gab es schon andere deutschsprachige Rocker. Es gab Udo Lindenberg, es gab Ihre Kinder, es gab Floh de Cologne, es gab Ton Steine Scherben. Aber trotzdem waren wir ein Unikat. Auch dadurch, dass wir überhaupt keinen Karriereplan hatten. Wir haben uns gesagt: Lass uns doch einmal die Woche treffen. Dann rocken wir ein bisschen, proben einen Kasten Bier leer, und alles wird gut. Wir hatten noch nicht mal einen Namen. In einer Kiesgrube bei Bonn hatten wir uns eingerichtet und einmal die Woche gespielt. Hauptsächlich irgendwelche Stones-, Kinks- und Dylan-Stücke. Dann kam ich irgendwann mit dem ersten Song auf Kölsch an. Das war ,Helfe kann Dir keiner’, weil ich gerade Liebeskummer hatte. Mit diesem Stück kam ich in den Probenraum, und da waren alle von den Socken. ,Das ist super, mach da mehr von.’ Dann habe ich halt mehr davon gemacht.

Was erwartet die Leute beim Konzert im Wolters-Hof?

Wir spielen praktisch die Outdoor-Version der Tour. Draußen kann man weniger leise Stücke spielen, denn man spielt ja fast immer im Hellen. Da muss man ein bisschen mehr drauf halten.

Ich würde jetzt gerne auf das Thema Engagement kommen.

Es geht um Kinder-Soldaten in Afrika – es geht dabei um das Gebiet Nord-Uganda, Ruanda, Ostkongo, Südsudan. 2004 hatte man mich gefragt, ob ich für eine Dachorganisation von NGOs als Botschafter zur Verfügung stehen würde. Ich bin hingeflogen und aus dem Staunen nicht mehr heraus gekommen. Auch darüber, was an tollen Organisationen vor Ort war und was alles gemacht werden kann.

Ganz am Schluss waren wir auch im Norden des Landes. Mitten im Bürgerkrieg. Wir wurden vom Flieger mit Panzerspäh-Wagen abgeholt und in ein mit Stacheldraht umzäuntes Gelände gefahren. Da hat man uns erzählt, dass dort ohne Ende Kinder entführt werden, die zu Kindersoldaten ausgebildet werden. Diese Kinder werden gedrillt, sie müssen auch massakrieren, und wenn die dann bei Gefechten übrigbleiben – was macht man mit ihnen? World Vision hatte eine Art Auffanglager organisiert, wo es unter anderem psychologischen Beistand gab – Traumabewältigung – und das hat mich nicht mehr losgelassen.

Ich war völlig erschüttert und konnte in den nächsten Monaten über nichts anderes mehr reden. Dann haben wir überlegt, ob wir mit BAP so eine Einrichtung unterstützen können und schließlich dieses Projekt Rebound gegründet. Eine zweite Chance für diese Kinder, die, bevor sie lesen, schreiben und rechnen gelernt haben, schon ausgebildet wurden, wie man jemand den Hals durchschneidet. Denen sollte etwas beigebracht werden, womit sie sich ein neues Leben aufbauen können.

Hinzu kommt, dass die meisten von ihren Familien verstoßen wurden. Das ist so grauenhaft, dass mir das hier in Deutschland oft niemand glaubt. Bei Rebound bringen wir den Kids lesen, schreiben, rechnen und ein kleines Handwerk bei. Nicht nur den Jungs, sondern auch den Mädchen, die zwangsläufig in der Prostitution gelandet sind. Wenn man diese Mädchen gesehen hat, die überhaupt nicht mehr wissen, wo es langgehen kann, die unter Drogen gesetzt wurden, dann muss mich niemand mehr motivieren. Ich habe selbst zwei Töchter.

Wie läuft das mit der Finanzierung, wie wirbst du Unterstützungsmittel ein?

Am Anfang hat uns Jack Wolfskin, die Outdoor-Firma, geholfen. Eine Zeitlang war der Chef von Jack Wolfskin auch unser Manager, und der hat ganz viel privat wie auch von der Firma aus gesponsert. Ein Projekt kostet in der Regel 300.000 Euro. Der RTL-Spendenmarathon hat ein Projekt finanziert. Momentan habe ich keine Ahnung, wie das neue Projekt im Südsudan finanziert wird. Das macht World Vision, ich propagiere das, und wir versteigern eine Menge Zeug bei BAP, um so auch an Geld ranzukommen. Das ist mühsam, weil das Thema Kindersoldaten nicht besonders sexy ist. Dieses Thema ist generell nichts für Dünnbrettbohrer. Man lernt dort, Frustrationen wegzustecken.

Du hattest im November 2011 einen Schlaganfall. Was hat sich durch dieses Ereignis geändert?

Das war eine Zäsur, so eine Art dunkelgelbe Karte. Da gab es ganz viele glückliche Zufälle. Mein Sprachzentrum war danach betroffen. Ich hatte Probleme, Worte zu finden, vor allem auf Hochdeutsch. Auf Kölsch war das besser.

Wie hat sich der Schlaganfall auf die Arbeit mit der Band ausgewirkt – drei Stunden am Abend auf der Bühne sind ja keine Kleinigkeit.

Das ist für mich keine Arbeit, das ist nicht wirklich anstrengend. Ich bin ja kein Mick Jagger, der da in einer Tour rumrennt und dabei auch noch singt. Ich habe meine Gitarre um und singe ein paar Lieder – ich finde das nicht besonders anstrengend. Ich bin eigentlich derjenige von der Band, den man von der Bühne runterzerren muss. Es macht jeden Abend einen Riesenspaß.

Es ist ja schon etwas Besonderes, dass gerade Rockmusiker so lange durchhalten.

Es gibt ja kein Hobby, das Klempner heißt oder Straßenbahnfahrer. Musik machen ist ja mehr als ein Beruf. Ich denke bis zum nächsten Album und freue mich momentan, dass ich gerade unter künstlerischen Gesichtspunkten eine sehr glückliche Zeit erlebe. Ich schreibe neue Song-Texte, und die gelingen auch. Das ist immer ein wunderbarer Zeitraum der Selbstverwirklichung, vor allem wenn’s klappt.