Der Schriftsteller Wolf Haas wurde bekannt mit dem Detektiv Brenner. Mit seinem neuen Buch „Junger Mann“ gastiert er am Mittwoch in Wolfenbüttel.

Jetzt ist schon wieder was passiert.“ ­ Mit diesem Satz pflegte der österreichische Schriftsteller Wolf Haas (57) seine Kriminalromane mit dem raubeinigen, etwas verschrobenen Privatdetektiv Simon Brenner zu beginnen. Vor allem die sprachlich eigenwillige, sofort wiedererkennbare Erzählerstimme sorgte dafür, dass seine Brenner-Romane den Spagat schafften, zugleich vom Feuilleton gelobt und von der Leserschaft als Kult-Krimis verschlungen und weitergereicht zu werden.

Doch auch außerhalb des Krimi-Genres war und ist Haas erfolgreich. Für den formal experimentellen Roman „Das Wetter vor fünfzehn Jahren“ (in Gestalt eines Schriftsteller-Interviews) erhielt er 2006 den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis der Stadt Braunschweig und des Deutschlandradios.

Zurzeit ist Haas mit seiner neuesten Erzählung „Junger Mann“ auf Lesetour. Das Buch – erzählerisch eher konventionell, aber auch mit sympathischem Sprachwitz ausgestattet – handelt von einem großen, schweren 13-Jährigen, der zur Zeit der Ölkrise in den 70er-Jahre an einer Tankstelle jobbt und sich dabei in die hübsche, schlichte, herzensgute Frau eines eher grobschlächtigen und großmäuligen Fernfahrers verliebt. Je mehr der Junge abnimmt, so hofft er, desto mehr Chancen hat er bei der 20-Jährigen. Doch die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung, gerät zum Road-Movie...

Am Mittwoch, 6. Februar, liest Haas ab 19 Uhr im Lessingtheater Wolfenbüttel aus dem Buch. Unterwegs beantwortete er unsere Fragen.

Inwieweit ist die Geschichte – Tankstelle, Übergewicht, Verliebtheit in eine ältere Frau – autobiografisch motiviert?

Es ist ein autobiografischer Roman. Also viel Autobiografisches und viel Erfundenes. Es kommen zum Beispiel meine richtigen Eltern in dem Roman vor. Und mein richtiger Ferienjob. Und mein echtes Übergewicht. Aber die Frau, um die es geht, hatte keinen Renault 5, sondern einen Renault 4. Und mein Vater kam erst zwei Jahre später ins Irrenhaus. Und das erwähnte Bordell heißt in Wirklichkeit nicht Paradiz.

Was hat Sie gereizt, diese historisch wie örtlich eher abgelegene Geschichte zu erzählen? Was ist für Sie das Besondere an den frühen 70er-Jahren? Gibt es einen bestimmten Zeitgeist?

Gereizt hat mich der nicht abgelegene Teil – die Zeitlosigkeit des Themas. Also die Geschichte eines Menschen im Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Die 70er-Jahre haben mich dabei nicht speziell interessiert. Es war einfach die Zeit, in der ich in diesem Alter war.

Es gibt eine andere österreichische Geschichte, die an einer Tankstelle spielt, die dann auch Ort eines Aufbruchs wird: Robert Seethalers „Die weiteren Aussichten“. Was ist für Sie der besondere literarische Reiz einer Tankstelle?

Für mich war das einfach der Ferienjob während meiner Schulzeit. Ein Tankwart und ein Tankstellenbrand kommen schon in meinem ersten Buch vor. Das literarisch Reizvolle an einer Tankstelle ist vielleicht, dass es ein Transit-Ort ist.

Stimmt es, dass der damalige deutsche Bundespräsident Walter Scheel in der orangefarbenen Ente seiner Frau Mildred umhergefahren ist und auch getankt hat?

Ja das stimmt, er war bei mir tanken. Ich erinnere mich noch gut an seine Knickerbocker. In den Rohfassungen meines Romans hab’ ich das noch wesentlich genauer beschrieben, aber wie vieles anderes hab’ ich auch das gekürzt.

Ihr übergewichtiger Held erträumt sich die Liebe der hübschen älteren Frau eines Fernfahrers, von der von vornherein klar scheint, dass diese Liebe aussichtslos ist. Er reimt sich gewisse Situationen immer wieder im Sinne einer Liebe auch ihrerseits zurecht. Wir erfahren nie, was die Frau seinerseits für ihn empfindet. Mütterlichkeit? Erholung vom ungebildeten Macho-Mann? Oder ist da auch ein wenig Feuer unterm Eis (das ja eine Rolle spielt)?

Ich glaub’, das ist der Witz an der Sache, dass man das nicht so genau erfährt. Man kann vielleicht sagen, dass sie sich um ihn kümmert.

In welchem Verhältnis stehen seine Abnehm-bemühungen und seine Chancen bei ihr?

Das Abnehmen steht einfach dafür, dass er wild entschlossen ist, seine alte Haut abzustreifen und über sich hinauszuwachsen. Es ist sozusagen ein Akt der Selbstermächtigung.

Alle Personen in Ihrem Roman sind letztlich gute Menschen. Das Ende ist märchenhaft. Was hat Sie zu diesem optimistischen Menschenbild gestimmt?

Es freut mich, dass Sie es so sehen, dass es gute Menschen sind. Vielleicht spricht es nicht unbedingt für ein optimistisches Menschenbild, sondern ist eher eine Art literarische Versuchsanordung. Was wird aus einem Roman, wenn man der Versuchung des Abgründigen nicht erliegt?

Ihr Landsmann Franzobl hat soeben einen dystopischen Roman geschrieben, in dem eine offen islamfeindliche Regierung in Österreich an die Macht kommt. Zu ihrem Roman hat ein Kritiker geschrieben: „Eigentlich wünscht man sich gerade von so fähigen Autoren wie Wolf Haas im Moment nichts sehnlicher als eine gelungene Zeitdiagnose.“ Was würden Sie ihm antworten?

Die Zeitdiagnose hat er bestimmt schon im Kopf, die er gern von mir gelesen hätte. Also wozu soll ich sie ihm noch vorbuchstabieren?

Berühmt geworden sind Sie durch Ihre Brenner-Figur und die ganz eigene Sprache der Brenner-Romane. Ist – bei allen anderen literarischen Erfolgen – der Brenner für Sie so etwas wie eine literarische Lebensversicherung? Bleiben Sie ihm treu (oder er Ihnen)?

Ich hab’ die Brenner-Serie ja nach dem sechsten Band beendet, das war im Jahr 2003. Weil ich auch andere Sachen machen wollte. Danach bin ich zwar zweimal rückfällig geworden, aber nicht aus Lebensversicherungsgründen, sondern einfach, weil’s mir zwischendurch wieder mal Spaß gemacht hat. Hauptsächlich mach’ ich aber in letzter Zeit andere Sachen. Ich plane nicht, noch einen zu schreiben. Aber sollte mich doch einmal der Teufel reiten, mach’ ich’s einfach.

Welche Bedeutung für Ihren literarischen Werdegang hatte für Sie im Nachhinein der Braunschweiger Wilhelm-Raabe-Preis?

Ich hatte das große Glück, dass ich zuerst eine Leserschaft hatte und erst später Literaturpreise dazukamen. Weil man als Krimiautor dafür nicht so ohne Weiteres in Frage kommt. Insofern kann ich nur das Beste darüber sagen: ein Preis freut mich, aber ich bin davon emotional nicht sehr abhängig.

Können Sie schon etwas über Ihr nächstes literarisches Projekt verraten?

Nein, ich bin ein Geheimniskrämer. Es ist ein Hauptreiz an meiner Arbeit, dass ich niemandem was davon erzähle.

Sind Lesereisen für Sie Lust oder Last? Wenn Sie in eine so geschichtsträchtige Stadt wie Wolfenbüttel kommen, inwieweit sind Sie gespannt auf die Stadt und erkunden diese dann auch?

Ich mach’ sehr gern Lesungen. Allerdings sind die damit verbundenen Reisen oft anstrengend, besonders, wenn sie zeitgleich mit Bahn- oder Pilotenstreiks stattfinden. Es kann also vorkommen, dass man sich, statt die Stadt zu erkunden, ins Hotelbett legt, um abends fit zu sein.

Pflichtfrage im Zusammenhang mit Wolfenbüttel: Was bedeutet Ihnen Lessing?

Ich wohne in Wien in der Lessinggasse. Jetzt ist also auch das Interview autobiografisch geworden!