Gifhorn. Beim „Hacken Open Air“ des Computervereins Stratum 0 kommen kreative Bastler auf dem Campingplatz Glockenheide in Röttgesbüttel zusammen.

Es ist fast 18 Uhr, als auf dem Campingplatz Glockenheide in Röttgesbüttel Stimmung aufkommt. „Nicht euer Ernst, oder?“, fragt einer, stellt sein Getränk auf den Tisch und steht auf. Andere blicken entgeistert von ihren Notebooks auf, Gelächter ertönt. Ein PKW fährt auf die freie Fläche des Camps. „Die mobile Sauna“ steht auf einem Schild, das am Anhänger des Gefährts angebracht ist. Das „Hacken Open Air“ ist um eine Attraktion reicher. Das Thermometer zeigt mehr als 30 Grad.

„Das mit der Sauna war auch so eine Idee, die in einer geselligen Runde entstanden ist“, sagt Lars Andresen und lacht. Er gehört dem Vorstand des Braunschweiger Hackerspace-Vereins Stratum 0 an, der das Camp organisiert hat. Dass Hackerspaces Orte der Freidenker und Kreativen sind (siehe Faktenbox), wird schnell klar. „An unserer Stelle könnten auch andere hier sitzen“, sagt Andresen. Wie Vorstandskollege René Stegmaier bewegt er sich in Shorts und mit freiem Oberkörper durch das Camp. Die Beine der Beiden sind mit roten Flecken übersät. Die Bremsen sind hartnäckig hier in der freien Natur.

Und sie lieben Schweiß, der hier zwar nicht in Strömen fließt. Aber wer bei hochsommerlicher Dürre in einem großen Zelt vor wärmeabstrahlenden Notebooks sitzt und sich konzentriert der EDV widmet, der muss keine Angst vor Unterkühlungserscheinungen haben. Zumindest nicht in körperlicher Hinsicht ­– atmosphärisch wirkt das Zelt eher wie ein Platz für den typischen Nerd. Worte wechseln hier eher sporadisch die Seiten der Tische, auf denen sich Kabel, Stecker und für den Laien nicht näher zu definierende Technik-Gegenstände stapeln.

Nicht jeder hier möchte fotografiert werden. Zwei Teilnehmer erklären sich einverstanden ­– doch am Tisch im Hintergrund ist man wenig begeistert. „Jeder, der zu sehen ist, muss einverstanden sein“, betont Andresen immer wieder. Woher die Skepsis gegenüber der Presse kommt? „Man weiß ja letztlich nie, was mit den Fotos passiert und wo sie landen“, sagt Andresen, der auch selbst nicht abgelichtet werden will.

Vielleicht hat die Scheu vor dem öffentlichen Sichtbarwerden auch mit dem allgemein eher negativ besetzten Bild des Hackers zu tun. Wer den Begriff hört, denkt sofort an Computerfanatiker, die in dunklen Kellern sitzen und sich unbefugterweise Zugriff auf andere Rechner verschaffen. Nerds, die sich unerlaubt in fremde Systeme schalten, um sie für ihre Zwecke zu nutzen oder sich selbst zu bereichern.

Fakt ist aber, dass es allein schon im Bereich der Computerhacker große Unterschiede gibt. Vereinigungen wie der Chaos Computer Club richten sich in ihrem Handeln nach einer Hackerethik. Die besagt unter anderem: „Mülle nicht in den Daten anderer Leute.“ Oder: „Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen.“ In der Vergangenheit haben Hacker schon oft Lücken in digitalen Sicherheitssystemen entdeckt und diese öffentlich gemacht. Und spätestens seit den Aktivitäten von Wikileaks-Gründer Julian Assange ist bekannt, dass zuvor verborgene Informationen auch sinnvolle politische Diskurse befeuern können, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangen.

Bei Stratum 0 definiert man den Hackerbegriff noch viel freier und hält es mit Wau Holland, einem Hacker erster Stunde. Der hatte einst gesagt: „Ein Hacker ist jemand, der versucht, einen Weg zu finden, wie man mit einer Kaffeemaschine Toast zubereiten kann.“ Ist „Hacken” also als kreative, spielerische, aber dennoch tiefgängige Auseinandersetzung mit Technik zu sehen? Das sei, zugegeben, eine reichlich unscharfe Definition, die aber notwendig sei, um der Vielfältigkeit der Hackerkultur gerecht zu werden, heißt es in einem Blogbeitrag auf der Vereins-Homepage.

Was genau auf den Rechnern der Camp-Teilnehmer passiert, wissen nur die Nutzer selbst. Etwas abseits stehen auf einer großen Fläche zahlreiche Zelte. Unter einem großen Pavillon haben es sich Besucher aus dem Göttinger Raum gemütlich gemacht. Die Gruppe hat keine Probleme damit, fotografiert zu werden. Ein Mann plaudert offen über das, was auf Veranstaltungen wie dieser passiert. „Man bastelt meist ganz viele Dinge, die keinerlei produktiven Nutzen haben“, sagt er und zeigt auf den 12 Meter hohen LED -Masten vor dem Pavillon. Der sei bei einer früheren Veranstaltung entstanden, sagt er. Nutzen? „Er sieht schön aus, vor allem im Dunkeln.“ Hacker-Camps, erklärt er, seien einfach amüsant und kommunikativ. Sportler führen ins Trainingslager und Hacker eben in Camps.

Die Ergebnisse der kreativen Ergüsse sind zum Beispiel am Hauptzelt zu sehen. Gleich daneben steht ein Pool – selbst gebaut, aus Paletten, Spanngurten und Teichfolie. Weil das Wasser auf dem Campingplatz sehr eisenhaltig ist, konstruierten schlaue Köpfe gleich noch eine Filteranlage dazu. Ein an dem Pool angebrachtes Banner trägt die Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“ und ist ein Hinweis darauf, wie man hier politisch tickt. „Wir sind weltoffen. Rechtes Gesindel wollen wir hier nicht haben“, sagt René Stegmaier. In einem Bereich des Camps finden Vorträge und kleine Workshops statt. Gerade üben sich acht Personen im Origami. Auf einer Liste stehen weitere Themen. Sie reichen vom Löten, über Verbinden von Glasfaserkabeln bis hin zum Rückwärtsansehen von Filmen. Mit vielen weiteren Workshop-Titeln dürften wohl nur Technikfreaks etwas anfangen können.

Wer keine Lust mehr auf Lernen hat, der hängt in der Chillecke mit Musik ab. Oder holt sich an der Bar einen „Tschunk“. Der in Hackerkreisen beliebte Cocktail enthält koffeinhaltige Mate – und hilft nachts, wenn die Augen vom Blick auf den Bildschirm müde werden. Und wenn gar nichts mehr geht, dann ist da ja auch noch die Sauna.