Braunschweig. Kein Social Media seit einem Monat: Unser Volontär sieht darin keinen großen Gewinn für sich.

Seit einem Monat faste ich Social Media. In dieser Zeit habe ich mich geärgert, aus Versehen Websites geöffnet und überlegt, aufzuhören. Ich bin dabei geblieben. Hauptsächlich, weil ich die Fastenzeit für mich persönlich zur Charakterprobe erklärt habe. Dranbleiben. Nicht aufgeben. Ich habe mich entschieden, zu fasten. Aber ich stelle fest, dass ich durch Social-Media-Verzicht nichts gewinne.

Seit etwa zwei Wochen hat sich mein Fastengefühl verstetigt: Ich kann gut verzichten, aber ich verpasse etwas. Viele Informationen kursieren nur in Social Media. Auch wenn ich häufiger Freunde anschreibe, bekomme ich insgesamt weniger mit. Denn geschätzte Menschen, die mir nicht nahe sind, schreibe ich nicht an. Normalerweise lese ich in Social Media von ihnen. Mein Fasten schneidet mich von diesen Menschen ab. Immerhin dauert es nur noch zweieinhalb Wochen. Ich finde es tröstlich zu wissen, dass das Fasten keine tiefer Erkenntnis hervorbringen muss. Ich beweise mir gerade, verzichten zu können. Und ich freue mich darauf, es bald nicht mehr zu tun.

15. März: Mediensucht bei Jugendlichen

Süchtig ist, wer die Kontrolle über sein Verhalten verloren hat. Menschen, die Termine verpassen, weil sie in ihrem Videospiel „noch kurz was machen“ wollen. Deren Verlangen nach einem Social-Media-Update so groß ist, dass sie keinen Tag ohne Handy aushalten. Corona ist eine Ursache. In dieser Zeit waren Medien Zuflucht: Denn der einzige Raum, in dem sich Jugendliche frei bewegen und entfalten konnten, war digital.

Die Zahlen, die die DAK-Studie präsentiert, sind krass: Süchtig nach Videospielen waren 2019 etwa 2,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen. 2022 waren es 6,3 Prozent. Corona wirkt nach. Social-Media-Sucht stieg im selben Zeitraum von 3,2 auf 6,7 Prozent.

Jugendliche, die süchtig nach Medien sind, verpassen zum Teil Jahre ihrer Entwicklung. Sie bleiben emotional und sozial stehen. Unsere Gesellschaft hat Jugendliche in der Corona-Zeit stark eingeschränkt. In einer Lebensphase, in der sie ihre Persönlichkeit entscheidend entwickeln. Die Zeit, in der sie sich von ihren Eltern emanzipieren.

Jugendliche entfalten ihre Persönlichkeit, wenn sie Raum dafür haben. Wenn sie experimentieren können. Gaming und Social Media können dabei helfen. Über Social Media halten Jugendliche Kontakt zu Freunden, nehmen an ihrem Leben teil, tauschen Geheimnisse aus. Beim Gaming bilden sich Teams, kommunizieren Menschen zielgerichtet. Zocken mit Freunden macht Spaß. Nur ist ein gesundes Maß wichtig.

Seit etwa 25 Jahren höre ich aufgeschreckten Debatten über die Gefahr von Medien für Jugendliche zu. Diese sind oft bevormundend. Handys wegnehmen, Internet abschalten - das sind keine Lösungen. Ich denke, wir sollten Jugendliche stärken.

Es gilt, Freiräume für Jugendliche zu schaffen. Ihre Entwicklung zu unterstützen, indem ihre Familie und ihre Freunde ihr Selbstbewusstsein und ihre Persönlichkeit stärken. Damit Medien kein letzter Ausweg sind. Sondern Möglichkeiten eröffnen.

Fastentagebuch unseres Volontärs Jan-Peter Waiblinger

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    8. März: Phasen der Trauer

    Volontär Jan-Peter Waiblinger ist vom Social-Media-Fasten genervt.
    Volontär Jan-Peter Waiblinger ist vom Social-Media-Fasten genervt. © Funke Niedersachsen | Eve Bernhardt

    Wir befinden uns mitten in der Fastenzeit. Erst seit zwei Wochen verzichte ich erst auf Social Media. Ostern ist noch weit. Es sind noch mehr als fünf Wochen bis dahin. Und ich frage mich: Durchlebe ich Phasen der Trauer? Ich bin mir nicht sicher. Letzte Woche habe ich mir eingebildet, dass mir der Verzicht nichts ausmacht. Ich habe positive Aspekte im Verzicht gesehen. Das war die erste Phase: Nicht-Wahrhaben-wollen. In der zweiten Woche entwickelte sich bei mir eine seltsame Wut. Das ist die zweite Phase: Aufbrechende Emotionen.

    Nach wie vor entsperre ich meinen Handy-Bildschirm und versuche, die Social-Media-Apps zu öffnen. Sie sind nach wie vor verbannt. Ich scheitere an dem Versuch. Aber ich merke, dass ich sie öffnen will. Und mir entfährt ein genervtes Motzen. Als ich mich entschied, zu fasten, dachte ich, dass es kein Problem ist. Aber der Social-Media-Verzicht ist eine deutliche Einschränkung. Ich bemerke sie täglich.

    Und auch die dritte Phase beginnt: Ich habe am Dienstag zum ersten Mal in Betracht gezogen, einfach mit dem Fasten aufzuhören. Wieso weitermachen? Die Fasten-Idee entstand im Kreis der Volontäre: Wer traut sich, über eine Selbsterfahrung zu schreiben? Für mich war das ein Sprung ins Ungewisse. Solche Sprünge sind fester Bestandteil meiner Lebenseinstellung: Trau dich. Wage es. Und sag ja, auch wenn die Bequemlichkeit oder die Ängstlichkeit dir ins Ohr flüstern, es sein zu lassen.

    Teil dessen ist auch, konsequent auszubaden, auf was ich mich eingelassen habe. Meinen Moment der Schwäche habe ich deshalb überwunden.

    Also fünf Wochen fortfahren. Aber ich habe den Plan, es nicht einfach durchzustehen. Hier verkünde ich es, dann gibt es kein zurück: Ich werde mit Menschen über das Fasten sprechen. Und über Social Media. Und fühle mich ertappt. Die dritte Phase der Trauer ist: Verhandeln, sich mit dem Fall auseinanderzusetzen.

    Fastentagebuch - Teil 2- So geht es Jan-Peter Waiblinger nach einer Woche

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      1. März: Ich sozialisiere wieder mehr

      Drei Mal habe ich am Aschermittwoch aus Versehen Social Media geöffnet: zweimal Facebook am Laptop, einmal die Instagram-App am Handy. Und ich habe es nicht bemerkt. Vollkommen unbewusst hat mich die Gewohnheit geleitet. Die Handgriffe sind geübt und tausendfach ausgeführt.

      Tricks gegen die Gewohnheit

      Ich habe meinen Fastenbruch nach wenigen Sekunden bemerkt und behoben; trotzdem habe ich mich geärgert. Deshalb wollte ich es künftig verhindern. Dafür habe ich die Social-Media-Apps von meinem Handybildschirm gelöscht. Außerdem habe ich die Favoriten auf der Google-Startseite gelöscht, um bei neuen Tabs nicht direkt auf Facebook zu klicken.

      Und tatsächlich: Seitdem ist mir kein Ausrutscher mehr passiert. Ganz ausweichen konnte ich Social Media trotzdem nicht. In einer Whatsapp-Gruppe mit Freunden bekam ich ungefragt Screenshots von einer hitzigen Debatte auf Facebook zugeschickt. Ich gebe zu, ich habe sie gelesen. Das war geschummelt, oder? Andere Freunde unterhielten sich über eine Debatte auf Twitter und ich konnte schlicht nicht mitreden. Dienstagabend habe ich sogar meine Frau gebeten, für mich etwas bei Instagram nachzugucken.

      Ich habe mehr Kontakt zu meinen Freunden

      Besonders hat es mich zu Beginn des Social-Media-Fastens genervt zu warten. Diese Zeit verbringe ich normalerweise am Handy in den entsprechenden Apps. Dann habe ich Alternativen gesucht. Und mein Verhalten positiv verändert: Ich schreibe stattdessen meinen Freunden, organisiere meine E-Mails, trage Termine nach und erstelle To-do-Listen.

      Ich fühlte einen gewissen Stolz: Es störte mich kaum zu verzichten. Dann ernüchterte mich aber der Wochenrückblick meines Handys: Ich war nur eine Stunde und 18 Minuten weniger als in der Vorwoche am Gerät. Das hat zwar nicht direkt etwas mit Social Media zu tun – trotzdem hatte ich gehofft, dass die Zeit sich verringert.

      Fasten-Aktion- Kein Social Media für Jan-Peter Waiblinger

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        22. Februar, Aschermittwoch: Ich verzichte 40 Tage auf Social Media

        Mein rechter Zeigefinger schnellt routiniert durch die Feeds: Nachrichten, Fotos und Videos ziehen an mir vorbei. Dieser Finger ist, zumindest bilde ich mir das ein, kräftiger als der linke. Er arbeitet auch deutlich mehr: 173 Meter weit scrollen die Menschen in Deutschland täglich im Durchschnitt am Handy. Ich befürchte, dass ich den Schnitt hebe. Das ändert sich ab sofort: Bis Ostern faste ich Social Media.

        Das wird schwer. In der vergangenen Woche habe ich mehr als elf Stunden damit verbracht. Ich habe vier Social-Media-Apps auf dem Handy: Facebook, Instagram, LinkedIn und Twitter. Aber nicht nur am Handy, auch am Laptop nutze ich die Dienste. Social Media ist fester Bestandteil meines Tages. Es ist eine Gewohnheit. Vielleicht sogar eine Sucht.

        Ich lösche Social-Media-Apps vom Desktop: Damit ich sie nicht mehr unbewusst öffne. 
        Ich lösche Social-Media-Apps vom Desktop: Damit ich sie nicht mehr unbewusst öffne.  © Stefan Lienert

        Vor 15 Jahren habe ich mich bei Facebook angemeldet. Im Studium rede ich von da an dauernd mit meinen Freunden via Facebook. Die Vorlesung langweilt mich? Ich schreibe ihnen! Ich überbrücke Freistunden? Ich schaue, was die anderen tun.

        Social Media ist ein Teil meines Lebens. Bei Instagram zeigen Freunde mir in Videos und auf Fotos, wo sie sind und was sie erleben. Auf LinkedIn knüpfe ich berufliche Kontakte. Twitter ist für mich eine Art Kantinengespräch: Was ist gerade wichtig?

        Nun faste ich. Ich bin evangelisch und mit einem entspannten, freien Verhältnis zu Religion aufgewachsen. Ich besuche selten die Kirche, ich bete nicht. Die Fastenzeit finde ich erfrischend: Sie ist eine Chance, etwas über mich zu lernen. Und mein Verhältnis zu Social Media zu reflektieren. Wie beeinflussen die Apps mein Leben? Wie schwer es wird, habe ich am Mittwoch gemerkt. Da habe ich mich dabei erwischt, wie ich gedankenlos durch Facebook gescrollt habe. Ich habe nicht bemerkt, dass ich die Seite überhaupt geöffnet habe.

        Wie es meiner Kollegin Floris in der Fastenzeit geht, lesen Sie hier:

        Fasten-Aktion- Floris Jäger will auf Zucker verzichten

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