Salzgitter. „Unsere Polizei in Salzgitter“, Teil 1: Polizeichef Volker Warnecke spricht über die Eigenheiten der Stadt und seinen Job.

Der Leitende Kriminaldirektor Volker Warnecke (57) ist seit zwei Jahren Kopf der Polizeiinspektion (PI) Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel und Chef von rund 630 Ordnungshütern, Ermittlern, Verwaltungsmitarbeitern und Tarifangestellten. Davor hat er in verschiedenen Dienststellen in Niedersachsen gearbeitet. Mehrere Jahre leitete der gebürtige Goslarer die Kripo Göttingen. Was es bedeutet, für die Sicherheit von 360.000 Einwohnern verantwortlich zu sein, wie ein Tag im Leben eines Polizeichefs aussieht und wie gefährlich das Leben in der Stahlstadt wirklich ist, erklärte der Goslarer Redakteur Erik Westermann zum Auftakt der Serie „Unsere Polizei in Salzgitter“.

Herr Warnecke, sie sind seit Dezember 2017 in Salzgitter. Wie hat es Sie hierher verschlagen?

Es ist für jeden Polizisten eine tolle Aufgabe, für eine Inspektion zuständig zu sein. Als ich im Frühjahr 2017 gefragt worden bin, ob ich vertretungsweise die Leitung der Inspektion Braunschweig übernehme, habe ich sofort Ja gesagt. Danach habe ich mich gezielt auf Salzgitter beworben. Zumal das näher an meinem Wohnort Goslar liegt als Göttingen. Das war eine Bauchentscheidung. Mich hat die Arbeit in einer eher ländlich strukturierten Polizeiinspektion mit der Stadt Salzgitter und den beiden Landkreisen gereizt. Die Inspektion ist außerdem eine der einwohnerstärksten in Niedersachsen.

Was war ihr erster Eindruck?

Hier gibt es drei große, teilweise für einen Landkreis zuständige Außen-Kommissariate (SZ-Bad, Wolfenbüttel, Peine, Anmerkung der Redaktion). Ich musste die Leute kennenlernen. 2018 ging es dann los: mit mehreren versammlungsrechtlichen Lagen vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen Kurden und Türken. Dann kam der Aufmarsch der NPD. Und einige herausgehobene Tötungsdelikte: Denken Sie an den Mord am Jägerweg, wo eine Frau vor den Augen der eigenen Kinder erschossen wurde. Da ist man auch als Chef 24 Stunden im Einsatz.

Sind diese Themen typisch für Salzgitter?

Jede Dienststelle hat besondere Lagen. Auch in Göttingen gab es schwer aufklärbare Tötungsdelikte und herausfordernde Einsätze. Was in Salzgitter, aber auch Peine, häufig vorzukommen scheint, sind Delikte, die mit den Begriffen „Ehre“ und „Ehrenmord“ zusammenhängen. Wobei dies mit meinen Vorstellungen von Ehre nichts zu tun hat. Etwa das Tötungsdelikt an der Berliner Straße (Anm. der Red.: Ein Syrer soll im Januar 2019 den Partner seiner Schwester erschossen haben). Es gibt drei, vier weitere nicht veröffentlichte Verfahren, die ähnlich gelagert sind, wo Menschen in polizeilichen Opferschutz gebracht werden mussten. Die NPD-Demo war eher Routine: So etwas gab es auch in Göttingen. Dort war das Protestpotenzial aber anders strukturiert, als hier – mit einer guten Kooperation mit der Versammlungsleitung durch die IG Metall. (Göttingen gilt als Hochburg der linksextremen Szene, Anm. d. Red.)

Ist Salzgitter denn so schlecht wie sein Ruf?

Jetzt muss ich aufpassen, was ich sage, sonst laufe ich Gefahr, dass unser Oberbürgermeister sich meldet (lacht herzhaft). Im Ernst: Salzgitter ist eine lebens- und liebenswerte Stadt. Ja, sie ist besonders. Ja, sie hat eine eine spezielle Struktur für eine Großstadt mit 106.000 Einwohnern. Die Sozialstruktur mit vielen Hartz-4-Empfängern und dem hohen Arbeitslosenanteil ist eine besondere, und die Bevölkerungsstruktur mit vielen Ausländern auch. Das prägt die polizeiliche Arbeit. Wir haben besondere Kriminalitätsformen, es gibt Clanstrukturen. Und eine Zeit lang suchten die Rechten die Stadt heim, um für sich zu werben. Aber ich widerspreche jedem, der von „Salzghetto“ spricht und sagt: Hier ist alles schlecht. Das geben die Zahlen nicht her, und so ist es auch nicht. Sehr positiv fällt mir auf: Man packt die Probleme gemeinsam an. Verwaltung, Justiz und zivilgesellschaftliche Gruppen arbeiten Hand in Hand mit der Polizei.

Es ist also nicht so, dass man sich nachts nicht mehr in den Stadtpark wagen kann?

Ich habe Verständnis für jeden Bürger, der sich unsicher fühlt. Nach allem, was ich der täglichen Kriminalitätslage entnehme, kann ich aber klar sagen: Es existieren keine No-go-Areas oder Bereiche, in denen ich sagen müsste: Hier muss ich aber Angst haben. Ja: Es gibt Kriminalität im Stadtpark, am Bahnhof, an der Berliner Straße oder an anderen Orten in Salzgitter. Aber solche Ecken haben Sie auch in Braunschweig oder Göttingen.

Wie sieht ein typischer Tag im Leben des PI-Leiters aus?

Wenn nichts Besonderes vorliegt, informiere ich mich zunächst über die allgemeine Einsatz- und Kriminalitätslage. Den größten Teil meines Arbeitstags macht der Aufgabenbereich Personal aus. Die Personalsteuerung, die Frage, wo und mit welchem Schwerpunkt wir unsere Mitarbeiter einsetzen. Ich bin verantwortlich für über 620 Menschen, die Wünsche haben, Karriere machen wollen. Da fällt jemand krank aus, und wir brauchen Ersatz. Zum Feierabend gehe ich dann häufig durch die Wache und frage: Was haben wir Neues? Wir haben in der PI auch organisatorisch einiges verändert: Beispielsweise wurde die Verfügungseinheit aufgestockt, weil wir gesagt haben: Wir brauchen eine schnelle Interventionseinheit. Und dann gehören auch repräsentative Dinge dazu. Da geht der Tag rum.

Sie sind häufiger bei größeren Einsätzen zu sehen. Warum?

Das ist für mich Teil des Jobs als Inspektionsleiter, das ich sichtbar bin und eine Verbindung zum Alltag meiner Mitarbeiter behalte. Bei gewissen Dingen – etwa wenn es um die Frage geht, wie viele Kräfte bei einem Großeinsatz eingesetzt werden – behalte ich mir manchmal die Entscheidung vor. Und ich habe ja auch mal im Schichtdienst angefangen vor fast 40 Jahren.

12 Jahre lang waren Sie Chef der Kripo. Vermissen Sie die Arbeit als Ermittler?

Ja und Nein. Es ist mir wirklich schwer gefallen, aus Göttingen wegzugehen. Ich war mehr als zehn Jahre dort, das schweißt zusammen. Aber manchmal ist ein Wechsel auch schön. Ich war einige Jahre an der Polizeiakademie, im Stab der Polizei in Braunschweig, habe eine Dienststelle für Organisierte Kriminalität geleitet und war lange in Göttingen. Ich wollte für meine letzten Jahre noch einmal etwas anderes machen. Dieser Facettenreichtum ist übrigens eine der großen Stärken der Polizei.

Gibt es Fälle, die bei Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Beispielsweise die ersten Mordkommissionen, in denen ich als junger Ermittler in Goslar mitgearbeitet habe. Da war im Südharz ein Mann, der vor seiner Haustür erschossen worden ist. Oder der Fall eines russischen Soldaten, der kurz nach der Wende im Oberharz tot aufgefunden wurde. In Göttingen war ich zeitweise Leiter einer Sonderkommission gegen die rechtsextremistische Szene. In dieser Zeit haben wir mit hunderten Kollegen zeitgleich zwölf Objekte im norddeutschen Raum durchsucht. Ebenso haben wir dort zwei islamistische Gefährder festgenommen, die nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes abgeschoben wurden. Das war bundesweit der erste solche Fall.

Was wären sie geworden, wenn Sie nicht die Polizeilaufbahn eingeschlagen hätten?

Vermutlich Jurist. Ich wollte ursprünglich Geschichte studieren, dachte aber: Das ist brotlose Kunst. Zur Polizei kam ich ein wenig zufällig. Ich bin da reingerutscht – und habe es bis heute nicht bereut.

Wenn sie Feierabend haben, was machen Sie dann? Krimis lesen?

Ich lebe mit meiner Familie in Goslar. Ich lebe da, wo andere Urlaub machen. Sport ist eine große Leidenschaft von mir.

Welcher Sport? Handball? (Volker Warnecke ist zwei Meter groß)

Früher. Mit 57 spielt man kein Handball mehr. Mountainbike fahren ist meine Leidenschaft.

Mit Elektroantrieb?

(Schaut belustigt) Nein! Auch wenn es natürlich immer mühsamer wird, man muss ja jedes Kilo den Berg hochwuchten. Aber E-Bikes sind schon eine gute Sache.

Was sind denn für die letzten Jahre Ihre Ziele? Bleiben Sie bis zur Pensionierung ?

Wenn mein Dienstherr nicht noch etwas anderes mit mir vorhat. Meine Ziele? Wir haben täglich neue Herausforderungen. Ich muss dafür sorgen, dass die Polizei für die Menschen, die hier leben, die bestmögliche Arbeit macht -- mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen. Da muss ich mich um Dienstgebäude kümmern, um Autos und vor allem um die Menschen in meiner Dienststelle. Das wird nicht langweilig. Wenn man am Ende sagt: Er hat den Laden zusammengehalten, die Polizei gut nach außen vertreten und die Polizei macht gute Arbeit, bin ich zufrieden.

Und dann? Geht es in die Karibik?

Ich bin Harzer. Ich bin dort geboren. Da bleibe ich. Wenn ich dann noch viele Jahre gesund bleibe und weiter auf die Berge radeln kann, was will ich mehr?

Alle Folgen der Polizei-Serie lesen Sie unter www.salzgitter-zeitung.de/polizei .