Salzgitter. Das Landgericht Braunschweig verurteilt den Schützen aus Salzgitter wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.

Der Silvester-Schütze von Salzgitter-Thiede soll ins Gefängnis. Die zweite große Strafkammer des Landgerichts Braunschweig hat den Mann wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dass eine Strafe in dieser Höhe zur Bewährung ausgesetzt wird, ist nicht möglich. Mit dem Urteil folgte das Gericht weitgehend der Argumentation der Staatsanwaltschaft.

Die Kammer sah es als erwiesen an, dass einer von mehr als 20 scharfen Schüssen aus der illegalen Armeepistole des Mannes das 12-jährige Nachbarsmädchen traf. Das Kind stand gegen Mitternacht mit seiner Familie auf der anderen Straßenseite und sah sich das Silvester-Feuerwerk an. Das Projektil durchschlug ihren Brustkorb und die Lunge, zertrümmerte eine Rippe und trat oberhalb des Schlüsselbeins wieder aus. Nur knapp verfehlte es die Wirbelsäule und lebenswichtige Arterien.

Der 69-jährige Türke habe „lässig“ und „in Cowboy-Manier“ aus der Hüfte um sich gefeuert, sagte die Kammervorsitzende Daniela Kirchhof bei der Urteilsbegründung. Um das neue Jahr zu begrüßen. Zunächst aus dem Fenster seines Wettcafés, dann vom Eingang an der Straßenecke in dem belebten Wohnviertel. Kontrollierte Schüsse seien in seiner Haltung nicht möglich gewesen.

Eine Zeugin erklärte, der Mann habe nicht einmal in die Richtung geschaut, in die er schoss. „Dass das Mädchen nicht tödlich verletzt wurde, ist nur einem glücklichen Zufall zu verdanken“, sagte die Richterin. Das Gericht befand: Der Mann sei zwar alkoholisiert gewesen, aber: „Er hat erkannt, dass sein Handeln tödliche Folgen haben kann.“

Der Angeklagte gestand die Tat weitgehend. Er habe zu Neujahr in die Luft schießen und niemanden treffen wollen, erklärte er zum Prozessauftakt über seinen Anwalt Erkan Altun. Der Strafverteidiger forderte in seinem Plädoyer eine zweijährige Bewährungsstrafe für seinen Mandanten.

Das Strafmaß für vollendeten Totschlag liegt bei 5 bis 15 Jahren. Im Fall eines Versuchs kann das Gericht diesen Rahmen herabsetzen – auf etwas mehr als 2 bis 10 Jahre. Davon machten die Berufs- und Laienrichter Gebrauch.

Das Kind leidet nach wie vor

Zudem sprach in ihren Augen für den Angeklagten, dass er nicht vorbestraft ist. Sie folgten der grundsätzlichen Einschätzung des psychiatrischen Gutachters, der dem Mann eingeschränkte Schuldfähigkeit attestiert: Aufgrund von Durchblutungsstörungen, weiterer Erkrankungen sowie des fortgeschrittenen Alters wirke Alkohol bei ihm stärker. Sein Pegel von 1,6 Promille entsprach dem Blutalkoholwert 2,5 Promille eines Gesunden. Außerdem sieht das Gericht bei ihm glaubhafte Reue. Er hatte sich im Prozess entschuldigt und bisher 4000 Euro Schmerzensgeld überwiesen. Die Familie zögert, dieses „Blutgeld“ anzunehmen.

Das angeschossene Kind leidet bis heute unter den Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Wie Geschwister und Eltern befindet es sich in psychologischer Behandlung. Nur der Vater kam zur Urteilsverkündung. „Uns war wichtig, dass er im Gefängnis bleibt“, sagte er hinterher über den Angeklagten und bewertete das Urteil als gerecht. „Auch wenn wir uns eine höhere Strafe gewünscht hätten.“ Die Eltern traten im Prozess als Nebenkläger auf. Ihr Anwalt Muammer Duran betonte, die Entscheidung sei auch ein Zeichen: „Man darf Silvester nicht als Freifahrtschein betrachten.“

Der Urteilsspruch ist noch nicht rechtskräftig. Der Verteidiger kündigte an, er werde mit dem Mandanten eine Revision prüfen.