Captiva Island. Die Inseln und das Festland an Floridas südlicher Golfküste bieten viel unverbaute Natur und kilometerlange Strände.

Kitschig? Natürlich ist das kitschig! Das Meer säuselt im schleppenden Takt sanfter Wellen, der Sand liegt weiß und verdammt fein da. Die Palmen rauschen im Wind. Kitschig! Und die Sonne geht am Meereshorizont unter. Wie jeden Abend. Den Naturgesetzen beugt sich selbst der Sonnenstaat Florida am Ende des Tages. „Am Ende des Tages“ ist am Strandrestaurant The Mucky Duck auf Captiva Island in der Inselwelt Südwest-Floridas nicht bloß die Chiffre für „Egal, was du sagst, ich kenne das Ergebnis.“ Zwischen 16 und 20 Uhr – je nach Jahreszeit – ist dieses enge Areal an der Strandbude voller Untergangs-Fanatiker. Der Tiefpunkt der Sonne ist der Höhepunkt eines jeden Tages.

Denn wo Florida noch Florida ist, dieses modern eingerichtete Paradies, in dem sich Delfin und Alligator gute Nacht sagen, wo die mit wuchtigem Grün umpflanzten Villen an den Wasserwegen so aussehen wie im Immobilienkatalog – da folgt die Romantik einem festen Drehbuch. Die Sonne nähert sich der Wasserlinie am Horizont. Die astronomisch Vorgebildeten erklären, was es mit dem grünen Blitz auf sich hat, den man jetzt vielleicht sehen kann, wenn die Sonne „im Meer versinkt“.

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Die puren Romantiker hingegen lauschen dem einsamen Gitarristen und Sänger neben der hölzernen Bierbude am Mucky Duck. Die Bedienung des Mucky Duck quäkt derweil in den Lautsprecher: „Jolene! Joleeeen! Euer Tisch für vier ist fertig.“ Jolene zieht mit ihren Begleitern um vom Vorplatz ins schlichte Strandlokal. Ende der Romantik. Die

Mega-Burger wollen verspeist werden. Das Geschäft muss laufen.

Im Golf gibt es bei Hunderten Inseln auch noch unbewohnte

Und so drängen sich im Umkreis von wenigen Hundert Metern in diesem abgeschiedenen Inselreich gastronomische Kult-Schuppen: das Doc Ford’s, das Key Lime

Bistro oder eben am Ende der Straße das Haus an der See, das Mucky Duck. Ketten gibt’s auf Captiva nicht. Kein Starbucks, kein Kentucky-Frittiertes, keine McDonald’s-Filiale. Vor allem: keine gigantischen Werbeplakate. Und sehr dunkel ist es. Straßenbeleuchtung würde Tiere irritieren. Gut 30 Kilometer Richtung Festland, in Fort Myers, hat der aus Hamburg stammende Ulrich Winckler seine Firma Rebel Coffee. Sein erstes Café, eine Art Lounge, lief so gut, dass über

ein Franchise-System demnächst große Partner Rebel Cafés an anderen Orten in Florida aufmachen. Rebellisch ist vor allem das Logo. Winckler will seinen Kunden kein Massenprodukt bieten. Seine Hamburger Familie ist seit Generationen im Kaffee- und Teehandel. Warum ausgerechnet die südliche Golfküste Floridas? Der Freizeitwert sei enorm, sagt Winckler. Was er nicht sagt: Die Kaufkraft hier ist hoch, Floridianer und Touristen greifen für Qualität tief in die Tasche. Und hier ist immer etwas zu entdecken. Im Golf gibt es bei Hunderten Inseln eben noch unbewohnte.

Ein Wirbelsturm riss einst Captiva in zwei Teile. Es gibt die gut erschlossene Hauptinsel und das Inselschätzchen North Captiva. Eine kleine Meerenge trennt „wohlhabend“ von „stinkreich“. „Stinkreich“ hat keine Landverbindung, keinen Stromanschluss, nur Generatoren und setzt voll auf Solarmodule. Dafür gibt es auf North Captiva eine versteckte Landebahn, damit Superstar Taylor Swift unerkannt zu ihrem Häuschen einschweben kann. Ähnlich ist das ein paar Inseln weiter in Boca Grande, wo in ihrer Freizeit die Familie Bush haust.

Ansonsten zählt hier, was durchs Wasser rauscht und das Inselhüpfen erleichtert. Vom South Seas Island Resort aus tuckert man mit Captiva Cruises eine gute Stunde nach Cabbage Key. Die Mini-Insel wirbt mit dem Slogan „Weit weg von allem anderen“. Im Restaurant kleben an Wänden, Decken und Pfeilern Ein-Dollar-Noten mit Autogrammen, Sinnsprüchen und reinem Quatsch. Was jedes Jahr herunterfällt, wird gespendet – mehrere Tausend Dollar kommen dabei zusammen.

Aber Island Hopping geht auch anders. Bei Captain Ryan Kane fahren Abenteuerlustige, Tempofanatiker und Angler mit. Der Kapitän der Schiffe von Captiva Cruises zeigt den 100 Fahrgästen zuerst die Rettungswesten, dann macht er auf die Box am Bug aufmerksam, in der kaltes Bier liegt. Danach zischt sein schlankes, zwölf Meter langes Boot auch schon los. Vorbei an der Küste, verfolgt von Delfinen, unter der Brücke zum Festland hindurch.

Ryan ist ein Seebär. Aus Südflorida kam er nie richtig weg.

Etwas fischen, ein bisschen cruisen – mit dem Hightech an Bord ist das Navigieren durch die Untiefen des Golfs nicht so stressig. Selbst Angelanfänger lernen hier, die Rute auszuwerfen. Bei Captain Ryan halten sich Tempo und „chillige“ Momente in einer entspannten Schaukelwaage.

Es ist diese gelassene Haltung und die zum Teil unverbaute Anmut der Natur, die schon Thomas Alva Edison (1847–1931) in die ehemaligen Jagdgründe der

Calusa-Indianer lockte. Amerikas Erfinder-Genie, der Mann der 1000 Patente, kaufte sich 1885 für 2750 Dollar sein Winteranwesen in Fort Myers. Als sein Freund Henry Ford ihn zum ersten Mal 1914 dort besuchte, wurde auch er vom Golfküsten-Virus infiziert und kaufte sich bald das angrenzende Grundstück. Und da der Erfinder der Glühbirne und der Automagnat nicht wirklich ruhen konnten, erweiterten sie ihr Areal bald um Häuser, Laboratorien und botanische Versuchsgelände.

In den Edison und Ford Winter Estates ist heute zu bestaunen, wie Edison mit Pflanzen experimentierte, wie er aus 17 000 Proben einen Banyan-Baum (Ficus benghalensis) herausfand, der Latex als milchigen Saft absonderte, aus dem Kautschuk und damit Gummi für Reifen hergestellt werden konnte. Doch das Doppelanwesen zeigt auch, wie sich die beiden in ihren Villen einrichteten. Dass sie schon früh ein Sprungbrett an ihrem Swimmingpool hatten und Ford hier Typen seiner Autos sammelte. Man erfährt auch, warum der Pick-up seinen Namen bekam. In den Anfangsjahren des Automobils wurde er nur als Chassis verkauft. Den Aufbau konnte man sich mit der Post schicken lassen. Dort holte man einen Bausatz ab: „pick up“ auf Englisch.

In Estero an der Shopping Mall hängen im Restaurant Ford’s Garage besondere Modelle. Die Wartezeit auf die gewaltigen Burger mit Fleisch vom Kobe Wagyu oder Angus-Rind, wahlweise auch Bison oder Vegan, lässt sich problemlos verplempern mit dem

Bestaunen der Oldtimer. Und wo Ford ist, darf Edison nicht fehlen. Auch seine Sinnsprüche sind allgegenwärtig. Der Mann, der den Menschen das Glühlicht schenkte und die Nacht erhellte, soll einst gesagt haben: „Ich würde mein Geld auf die Sonne und Solarenergie setzen. Ich hoffe, wir müssen nicht warten, bis Öl und Kohle aufgebraucht sind, ehe wir uns der Sonne zuwenden.“ Auch die Hinwendung zur Sonne ist also eine Erfindung aus Florida …