Berlin. Trotz Pegida und Silvester in Köln boomt der Urlaub in der Heimat. Das hat unterschiedliche Gründe.

Der Dom ist das Wahrzeichen von Köln. Die Übergriffe an Silvester dort haben kurzweilig bei Besuchern für Verunsicherung gesorgt – doch die ist wieder verflogen.
Der Dom ist das Wahrzeichen von Köln. Die Übergriffe an Silvester dort haben kurzweilig bei Besuchern für Verunsicherung gesorgt – doch die ist wieder verflogen. © Köln Tourismus GmbH/Dieter Jacobi

Wohin man in Deutschland auch schaut – fast überall neue Rekorde. Zumindest touristisch. Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern, Hessen, Bremen und Nordrhein-Westfalen lockten 2015 so viele Besucher an wie noch nie. Baden-Württemberg zählte zum fünften Mal in Folge einen Anstieg der Übernachtungen, Brandenburg sogar zum elften Mal. Und der Berlin-Hype ist sowieso ungebrochen: Die Hauptstadt knackte die Marke von 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr. Kein Wunder, dass die Stimmung auf der weltgrößten Reisemesse ITB in Berlin (noch bis 13. März) an den Ständen der deutschen Aussteller ziemlich ausgelassen ist.

Dresden ist ein beliebtes Ziel für Städtereisen – die Stadt wehrt sich gegen ein Negativimage durch Pegida.
Dresden ist ein beliebtes Ziel für Städtereisen – die Stadt wehrt sich gegen ein Negativimage durch Pegida. © Matthias Hiekel

Dass Deutschland insgesamt als Reiseziel ungebrochen beliebt ist, zeigen die Statistiken: 436,4 Millionen Übernachtungen aus dem Inland und Ausland im Jahr 2015 – noch ein Rekord. Die meisten Urlaubsreisen der Deutschen führen zu Zielen im eigenen Land, daran hat sich nichts geändert. Im vergangenen Jahr waren es 29 Prozent, steht in der aktuellen Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR). Und die Reiseveranstalter freuen sich schon über viele Buchungen für den Sommer. Muss man die Deutschen also noch von Urlaub im eigenen Land überzeugen? Eher nicht.

Erklärungen für den anhaltenden Boom gibt es viele. Eine hat damit zu tun, dass die Deutschen seit einigen Jahren mehr kürzere Reisen machen. „Dann sucht man sich Ziele in der Nähe“, sagt Claudia Gilles, Geschäftsführerin des Deutschen Tourismusverbands (DTV). „Wir erleben eine Renaissance der Naherholung. Die Menschen suchen kleine Fluchten aus dem Alltag.“ Dafür gibt es viele Beispiele: Man geht auf einem Flüsschen paddeln, trifft sich in einer Ferienwohnung, fährt in ein Weingebiet, nutzt einen Tag der offenen Denkmäler. „Viele nehmen das nicht als Urlaub im klassischen Sinne wahr“, erklärt Gilles.

Es gibt aber auch Gründe für Urlaub im eigenen Land, die nicht so werbewirksam sind: Deutschland ist günstig. „Die Anreisekosten sind niedrig, das ist besonders für Familien relevant“, sagt Prof. Torsten Kirstges, Tourismusexperte an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven. Millionen Menschen können sich – sofern sie überhaupt verreisen – schlicht keine zehn Tage auf Kreta oder den Kanaren leisten.

Wer nicht gut Englisch spricht, kleine Kinder hat oder etwas älter ist, schätzt außerdem die Vertrautheit: deutschsprachiges Personal in den Hotels, deutsche Kinderärzte, eine gute medizinische Versorgung.

Den Tourismusvermarktern fällt es jedenfalls schwer, das Rad jede Saison neu zu erfinden. Bayern zum Beispiel stellt 2016 das Brauchtum in den Vordergrund und wirbt mit dem Slogan „Traditionell anders“ – was erst einmal alles und nichts heißen kann. Und in Köln bedient man sich der Sprache des Internets: Unter dem Hashtag-Motto „#urbancgn“ wird die Stadt als „urbaner Erlebnisraum“ präsentiert, als Spielwiese für den individuellen Reisenden, der ausgetretene Pfade verlässt. Es geht darum, das Unbekannte im allzu Bekannten zu finden.

Profitiert Deutschland in diesem Jahr auch von der Unsicherheit in anderen Teilen der Welt? Das glauben die Touristiker nicht. „Wir sind überzeugt, dass Deutschland nicht das Ausweichziel für die Türkei oder Ägypten ist“, sagt DTV-Chefin Gilles. Wen Reisen in diese Länder schrecken, der tendiert derzeit eher in Richtung Spanien, Italien und Portugal. Doch auch in Deutschland zeigen sich manche dunkle Flecken auf einer ansonsten ziemlich weißen Weste, unabhängig von der Terrorgefahr, die gefühlt noch einmal größer geworden ist.

Mit Sachsen zum Beispiel verbinden viele Menschen in diesen Tagen vor allem Fremdenfeindlichkeit. Und die verträgt sich so gar nicht mit Gastfreundschaft. Gegen das negative Image kämpft das Bundesland im Osten (Motto: „Spüre die Natur“) nun auch auf der ITB. Die Übernachtungszahlen in Sachsen waren 2015 rückläufig.

Besonders Dresden hat unter den gesellschaftlichen Spannungen gelitten. „Fremdenfeindliche Äußerungen im Rahmen der Pegida-Bewegung haben uns Sympathien gekostet und dem öffentlichen Bild von Dresden vor allem innerhalb Deutschlands Schaden zugefügt“, sagt die Geschäftsführerin von Dresden Marketing, Bettina Bunge. Die Stadt kam 2015 auf 5,1 Prozent weniger Übernachtungen aus dem Inland als im Jahr zuvor. Es kamen aber mehr ausländische Gäste.

Dennoch schaut man genau auf das Bild Deutschlands in der Welt. „Wir schließen aktuell nicht aus, dass die zunehmende Fremdenfeindlichkeit zu Imageschäden führt“, sagt die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT), Petra Hedorfer. Allzu alarmiert muss man aber wohl nicht sein. „Wir sind das beliebteste Reiseziel junger Europäer zwischen 15 und 24 Jahren und nehmen den Spitzenplatz in Europa als Reiseziel für internationale Luxusreisen ein.“

Dann gab es da noch die Übergriffe an Silvester in Köln. „Das hat für viel negative Aufmerksamkeit weltweit gesorgt“, erzählt Josef Sommer, Geschäftsführer von Köln Tourismus. Verunsicherte Gäste, Sorge um Karneval – eine Herausforderung, „die es in der Form noch nie gegeben hat“, erinnert sich der Tourismuschef. An Karneval blieb dann aber alles ruhig, und Silvester war schnell vergessen.

In Köln kehrte schnell wieder Normalität ein. Ohnehin ist der Koloss Deutschland-Tourismus nur schwer ins Wanken zu bringen. Bayern ist das beliebteste Bundesland – ganz knapp vor Mecklenburg-Vorpommern. Im Sommer stürzen sich alle auf die Küsten. Die Wintersportregionen überlegen, womit sie Gäste anlocken können, wenn mal wieder kein Schnee fällt. Und der Städtetourismus boomt weiter, nicht nur in den großen Metropolen wie Berlin. Gibt es überhaupt noch neue Trends?

Regionalität und individueller Urlaub, nennt DTV-Chefin Claudia Gilles. Man besucht mit Einheimischen deren Lieblingsplätze, probiert regionale Küche, schätzt urige Möblierung in den Hotels. „Der Gast soll zum Beispiel sehen: „Ich bin hier in Ostfriesland.““, erklärt Gilles das Prinzip und spricht vom „Heimatgefühl auf Zeit“, das der Urlauber erleben soll. Der große Trend, am liebsten so zu reisen und zu leben wie die Einheimischen, zeigt sich nun also auch zunehmend im Deutschland-Tourismus. Mit Pegida hat das nichts zu tun.dpa