Wer das berühmte Mündungsgebiet der Donau besichtigen möchte, sollte viel Zeit mitbringen

Ich hätte nie gedacht, dass die Natur solchen Lärm machen kann. Aber diese Frösche quaken so laut, dass sie die A 40 locker übertönen würden. Allerdings gibt es hier weit und breit keine Autobahn. Sondern fast ausschließlich: Wasser. 4500 Quadratkilometer groß ist das Donaudelta. Und nur 20 Prozent dieser Fläche bestehen aus festem Boden. Der Rest ist Schilf, schwimmende Inseln und eben Wasser. Hier, im östlichen Rumänien, kurz bevor sie ins Meer mündet, zerfasert die Donau in ein Gewirr von Flussarmen und Wasseradern, großen Seen und kleinen Teichen. Der Himmel ist bedeckt an diesem Morgen und über dem Wasser liegt Dunst. Gemächlich gleitet das Hausboot durch die Kanäle. Die Weiden zu beiden Seiten lassen die Zweige in den Fluss hängen. Die Frösche geben ihr Quakkonzert. Ein Hund begleitet das Boot am Ufer. Nur die Vögel lassen sich nicht blicken. "Es gibt 625 Vogelarten im Donaudelta", weiß Tiberiu Tioc. "160 davon brüten hier. Sechs Vogelzugrouten kreuzen das Gebiet", erklärt der Biologe und Vogelkundler weiter. Der 31-Jährige kennt sich aus im Labyrinth der Wasserwelt. Als Reiseleiter führt er Naturliebhaber durchs Donaudelta. "Ein Juwel der Natur", sagt Tioc. Das größte Schilfgebiet der Erde, ein Weltnatur-erbe, geschützter Lebensraum für eine Vielfalt an Pflanzen und Tieren, die nur noch von den Galapagos-Inseln und dem Great Barrier Reef in Australien übertroffen wird.

Die berühmtesten Bewohner des Deltas sind die Pelikane. Im Frühjahr kommen sie hierher, um ihre Eier abzulegen und ihre Jungen großzuziehen in der größten Pelikankolonie Europas. Nur heute ist kein Pelikan in Sicht. Ein Reiher vielleicht mal in Ufernähe, der, aufgescheucht von dem Boot, ein Stück voraus fliegt, wartet, weiter fliegt. Ein Eisvogel hier und da, nicht zu übersehen mit seiner blauen Haube. Da werden die Ferngläser hochgerissen, da klicken die Kameras. Und dann gehen die Blicke wieder zum Himmel. Aber: Kein Pelikan weit und breit.

"Das Donaudelta an einem Tag zu besuchen ist wie Deutschland von der Autobahn zu besichtigen", beklagt sich Tioc über die Touristen, die glauben, sie könnten das Gebiet auf die Schnelle kennen lernen. Der junge Mann ist überzeugt: "Das Delta verträgt keinen Massentourismus." Die Alternative, die auch die Regierung propagiert, lautet: Ökotourismus. Nur etwa 15 000 Menschen leben im Donaudelta, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Deshalb sollen die Einheimischen vom Tourismus profitieren. Und wer könnte den Besuchern besser die Schönheiten und Geheimnisse der Region enthüllen, als die Fischer und Schilfbauern, die hier seit Jahrzehnten leben. "Das Donaudelta ist außergewöhnlich", findet auch Alexe. Der 68-Jährige hat früher als Fischer am Schwarzen Meer gearbeitet. Seit über 30 Jahren fährt er nun schon Touristen mit dem Hausboot durchs Donaudelta. Während Alexe lässig hinter dem Steuer sitzt, bereitet seine Frau Maria das Mittagessen für die ausländischen Gäste zu: Zander und Wels mit scharfer Knoblauchsoße. Danach gibt's die Suppe, in der die Fische gekocht wurden.

"Früher", erzählt Alexe, "ha ben die Fischer ihre Fischsuppe mit dem Wasser aus der Donau gemacht. Heute wäre das nicht mehr möglich." Der alte Mann ist nicht der einzige, der sich um die Natur im Donaudelta sorgt. Überall sehen Naturschützer Gefahren für dieses Juwel. Durch den Plastikmüll, die schnellen Motorboote, die Wasserverschmutzung, den Klimawandel. Und durch den Bystre-Kanal, den die Ukraine auf ihrer Seite des Donaudeltas gerade wieder für die Schifffahrt ausgehoben hat, und der dem Naturreservat buchstäblich das Wasser abgraben könnte. Durch zehn Länder ist die Donau geflossen, bevor sie ins Schwarze Meer mündet, und sie hat auf ihrer Reise eine Menge mitgemacht. Die Umweltprobleme im Delta sind auch ein europäisches Problem. Immerhin gebe es weniger Wilderer, seit die Kontrollen verstärkt wurden, sagt Liliana Ivanciuc von der Verwaltung des Biosphärenreservats Donaudelta. Allerdings sei das Gebiet nur sehr schwer zu überwachen. Die Rumänen wissen, was sie am Donaudelta haben. Es ist die einzige touristische Region Rumäniens ohne Konkurrenz im Ausland. Deshalb hat sich die Regierung mittlerweile auch klar zur Erhaltung des Gebietes bekannt.

Waren die Seen unter dem Ceausescu-Regime noch trocken gelegt worden, um dort Landwirtschaft zu betreiben, wurden in den vergangenen 15 Jahren weite Teile bereits wieder renaturiert, weitere sollen folgen. "Das größte Projekt dieser Art in ganz Europa", sagt Ivanciuc stolz. Das Donaudelta ist von den "Naturfreunden Internationale" zur Landschaft des Jahres 2007/2008 ernannt worden, um europaweit Aufmerksamkeit auf die Region zu lenken. Wer sich auf das Delta einlässt, erlebt nach kürzester Zeit pure Entspannung. Das Boot gleitet dahin, wir blinzeln in die Sonne. Da – ein länglicher Schatten am Himmel. Und da – noch einer. Das sind doch nicht etwa… "Pelikane!" Plötzlich ist der Himmel voll von den majestätisch dahin ziehenden Vögeln. Zu hunderten gleiten sie durch das Blau, wie auf Kommando verändern sie ständig ihre Formation. Und dann, ganz plötzlich, beginnen sie zu trudeln. Lassen sich fallen, scheinen mit der Thermik zu spielen, wirbeln durcheinander, wie bei einem Tanz, zu dem nur sie die Choreografie kennen. Es ist sehr ruhig an Bord, als wir langsam wieder zu unserem Ausgangspunkt, dem Hafenstädtchen Tulcea, zurückfahren. Nur die Frösche quaken völlig unbeeindruckt ihr Konzert.