Sein 5000. Aufstieg wird zum bundesweiten Medien-Spektakel und zur größten Werbung für den Harz

Normalerweise läuft das so: Um 9 Uhr trifft Benno Schmidt mit seinem Kleinwagen in Schierke ein. Vorher hat der Rentner aus Wernigerode von 6.30 bis 7.30 Uhr in einem Supermarkt Kisten ausgepackt, um sich das Benzin-Geld zu verdienen.

Zügig steigt der 75-Jährige, den alle nur Brocken-Benno nennen, dann durch das Eckerloch und den berüchtigten Knochenbrecher-Weg zum höchsten Gipfel hinauf. Knapp sieben Kilometer. Er hat schwere Wanderstiefel an, graue Woll-Kniestrümpfe, Kniebundhose, rot-kariertes Hemd, Wanderhut. In seinem Rucksack stets die gleiche Wegzehrung: ein paar Kekse, Apfelspalten, Rosinen, Nüsse.

Birkenblätter für die Weisheit und die Potenz

Oben auf dem Brocken hält er sich meist nicht lange auf. Während es andere zur dampfenden Erbsensuppe und zu einem guten Schluck zieht, läuft Benno zielstrebig die Stempel-Station beim Brockenwirt an.

Stempel reinhauen, wieder runter. Gegen 14 Uhr ist der Mann wieder zuhause. So geht das seit Jahren. Jeden Tag.

Diesmal ist alles anders. Schon beim Losmarschieren wird Benno Schmidt aufgehalten. Laufend muss er Hände schütteln. Ständig werden ihm Mikrofone hingehalten. 5000. Aufstieg. 75. Geburtstag.

Die Brockenhexe aus Thale hat noch einen Umhang aus Birkenblättern überreicht. Gut für die Weisheit und für die Potenz, sagt sie.

Und dann ist auch noch sein Wanderpass weg. Ausgerechnet der 141. Ja, der 141. Wanderpass, in den der 5000. Stempel hinein soll. Benno ist verzweifelt.

Was ist passiert? Hat ein Souvenir-Jäger zugeschlagen? Nein, alles klärt sich auf. Ein reuiger Wanderfreund gibt das unbezahlbare Stück zurück. Er hat halt gemeint, dass das zum Mitnehmen ausgelegt wurde. Der Stapel von Brocken-Bennos Wanderpässen ist so dick, das sah wie zum Mitnehmen aus.

Verspätung schon morgens, das mag Benno nun gar nicht. Also stapfen wir endlich los. 150 Wanderer sind allein von Schierke aufgebrochen. Kameraleute schwirren um uns herum. Einige kriechen hinterher, andere tauchen aus Gräben auf. Auf Brücken und Übergängen der Brocken-Bahn locken besonders gute Motive. Da ist es besonders schlimm.

Brocken-Benno ist ungemein populär. Aber mehr noch: Er ist als Werbeträger für den Harz kaum zu überbieten. Irgendwann hat das einmal angefangen: Da hatte Benno ein paar 100 Aufstiege geschafft. Dann wollte er 1000. Später 2000. Dann 3000. 4000.

Und dann hatte er nur noch ein Ziel. Benno wollte den legendären Schierker Postboten Riemenschneider einholen. Der hatte von 1935 bis in die 1950-er Jahre wohl 4700 Mal raufgemacht.

Alles eingeholt. Längst ist Benno Schmidt alleiniger, unangefochtener Rekord-Halter. "Das wird nie wieder einer schaffen. Und schließlich hört er ja immer noch nicht auf", sagt Brocken-Wirt Hans Steinhoff. Schon schwirrt die "5555" in Bennos Kopf herum.

Übrigens verlaufen seine Aufstiege nicht immer bei so herrlichem Wetter wie heute. 25 Grad beim Weg nach oben treiben uns die Schweißperlen auf die Stirn.

Da stürmt, unfassbar, ein Weihnachtsmann vom Hang. Der Spaßvogel ist Manfred Schultz aus Blankenburg. Er verteilt hochprozentige "Herz-Tropfen". So was hält auch auf.

Bei der 4444. Gipfel-Wanderung gab es keinen Klamauk und keine Interviews.

Da war Benno ganz allein. Der Schnee verwehte meterhoch. Er kämpfte sich voran. Oben auf dem Brocken setzte der berüchtigte Schnee-Sturm ein. Du bist blind, du kriegst keine Luft mehr, du kriechst nur noch auf allen Vieren voran.

Doch du holst dir den Stempel.

"Manche Leute sagen ja, mein Mann ist verrückt", sagt Ehefrau Helga Schmidt. Sie ist selbst schon fast 700 Mal auf den Brocken gewandert. "Nur fünf Mal fehlen noch", sagt sie. Das färbt wohl ab. "Aber sieht so ein Verrückter aus?", fragt Helga Schmidt.

Nicht wirklich. Brocken-Benno ist drahtig ausgemergelt, fit wie ein Turnschuh. Er sagt ständig Sätze, für die ihm die Verantwortlichen im Harz eigentlich ein stattliches Honorar zahlen müssten. "Nirgendwo ist es so schön. Vor allem morgens." Es stimmt. Wohl dem, der einen Brocken vor der Haustür hat.

"Die schönsten Wege sind der Goethe-Weg und der Heine-Weg", erzählt Benno Schmidt. Und er schwärmt: "Es gibt da eine Stelle, da spiegelt sich der Brocken in der Eckertalsperre."

"Hier gibt es keine Mauer in den Köpfen"

Das alles wissen sie in Braunschweig, in Hildesheim und sogar in Minden. Von überall kommen sie heute morgen, Wanderfreunde, Abordnungen der Harz-Klubs. Und natürlich auch aus Schierke, Wernigerode und vielen anderen Orten im Osten. Ihm zu Ehren.

Brocken-Benno hat geschafft, was viele Politiker gar nicht mehr für möglich halten. Er hat Ost und West vereint. "Hier gibt es keine Mauer in den Köpfen", erklärt er. Und die Freunde mit der gesunden Gesichtsfarbe und den Hüten, die mit bronzenen, silbernen und goldenen Wandernadeln vollgepflastert sind – sie nicken.

Brocken-Benno kriegt jetzt seinen 5000. Stempel. Und einen großen, gläsernen Pokal. Nur eine Trophäe fehlt ihm jetzt noch. Es ist die Nadel des Harzer Wanderkaisers. Die bekommt nur, wer im Harz tatsächlich 222 verschiedene Stempel herausragender Ziele eingesammelt hat. Und nicht nur immer den gleichen.

Da steht heute morgen Winfried Rasp aus Wendeburg auf dem Brocken und lächelt. Er ist tatsächlich der real existierende erste Harzer Wanderkaiser. Das kann ihm keiner nehmen. Aber das ist eine andere schöne Geschichte. Die nächste.