Addis Abeba. Ein Streifzug durch die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba – „Hier kann man nicht leben, wenn man nicht optimistisch ist.“

„Karl lebt“, sagt Lektor Steve, der täglich von der Uni zum Karl-Marx-Park hinüberschlendert, wo diese Sandsteinbüste mit dem markanten Bart langsam vor sich hin bröselt. „Karl lebt.“ Wieso spricht der Äthiopier deutsch? Und warum sagt er das?

Die Erinnerung an die 1970er und 1980er Jahre, als die DDR und die Sowjetunion die Diktatur im marxistischen Äthiopien mit Geld, Wissen und Waffen unterstützten, ist in der Hauptstadt Addis Abeba immer noch gegenwärtig.

Doch auf dem gewaltigen Meskel Square, dem früheren „Platz der Revolution“, wo Truppen aufmarschierten und mächtige Statuen von Marx, Engels und Lenin errichtet waren, da bolzen sie heute in bunten Trikots Straßenfußball …

Doch nur wenige Meter entfernt ergreift dich das Grauen, erleben wir im ehrenamtlich betriebenen Red-Terror-Museum den Schrecken pur. Diese Kammern wurden eingerichtet, um an die Opfer der roten Herrschaft zu erinnern. Laut Amnesty International fielen dem damaligen Derg-Regime mehrere Millionen Äthiopier zum Opfer, meist waren es junge Intellektuelle.

Niemals wieder – diese Skulptur der weinenden Angehörigen von Opfern steht vor dem Red-Terror-Museum, in dem an Millionen Ermordete erinnert wird.
Niemals wieder – diese Skulptur der weinenden Angehörigen von Opfern steht vor dem Red-Terror-Museum, in dem an Millionen Ermordete erinnert wird. © Henning Noske

Als wir die Schädelkammer betreten, wagen wir nicht mehr zu atmen, das Blut scheint zu gefrieren. Man kann das nicht fotografieren. Dies hier ist kein klimatisiertes europäisches Museum, die Scheiben sind kaputt, die Schädel liegen offen. Es sind die Reste eines Massengrabes, in das der schaudernde Besucher gerät. Und spätestens bei den exakten Schilderungen der Foltermethoden im Red-Terror-Museum bist du bedient für den Rest dieses Tages.

Was Menschen einander antun können im Zeichen dieser oder jener Ideologie, erlebt man in vielen Hauptstädten der Welt, doch hier in Addis sind die Wunden noch frisch. „Never ever again“ bittet die Skulptur der weinenden Angehörigen vor dem Museum des roten Terrors.

Vom Karl-Marx-Park aus lassen wir uns treiben, Religion sei Opium fürs Volk, denken wir noch, als wieder mal Weihrauchschwaden und Gebetsgesänge durch die Luft wabern. Vor der Erlöserkirche herrscht ein Gewimmel, Menschen knien und liegen betend auf dem Boden, küssen Gitter und Mauern, Bettlern wird von Freiwilligen süßer, schwarzer Tee ausgeschenkt, den sie schlürfend einsaugen, Blinde tasten sich durch die Menge, überall kann man Gebetsschirme und Opfergaben kaufen.

Die Menschen sind tief religiös und gläubig, 50 Prozent der mehr als 100 Millionen Äthiopier sind orthodoxe Christen, immerhin 12 Prozent evangelische. In der legendären St.-Georgs-Kathedrale ist viel vom Geist dieses Landes zu spüren. 1896 mussten italienische Kriegsgefangene sie nach der vernichtenden Niederlage gegen den äthiopischen Kaiser bauen. Als die italienischen Faschisten das Land 1937 eroberten, steckten sie sie aus Rache in Brand. Im kleinen religiösen Museum nebenan entdecken wir eine National-Ikone – Maria wiegt ihr Äthiopien schützend im Arm ...

Aktuelle Nachrichten aus dem ostafrikanischen Land sind ermutigend – nach Kaiserreich, Faschismus, Militärdiktatur, rotem Terror und wieder Militärdiktatur zeichnet sich gerade ein Demokratie-Aufbruch ab. Mit Ministerpräsident Abiy Ahmed tritt ein Mann an, der Euphorie vermittelt, Reformen anpackt, Pressefreiheit üben lässt.

Die deutsche Botschafterin Brita Wagener kommt aus Salzgitter.
Die deutsche Botschafterin Brita Wagener kommt aus Salzgitter. © Henning Noske

In der deutschen Botschaft treffen wir Botschafterin Brita Wagener, die in Salzgitter geboren wurde. „Ja, Deutschland kann diesen jetzt eingeleiteten Demokratie-Prozess fördern und unterstützen“, sagt sie. Und: „ Wir begleiten das mit großer Anerkennung.“

So sieht das auch Rolf Gautschi, Schweizer und Boss der Mercedes-Vertretung in Addis Abeba, seit 24 Jahren im Land. Als wir ihn neben einer Daimler-Büste im Firmen-Kabinett interviewen, macht er klar: „Dieses Land braucht jetzt Stabilität, damit es die Menschen dauerhaft in Beschäftigung bringen kann.“ Sicherheit für Devisen sei gefragt – und eine Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen. Gautschi: „Man kann hier nicht leben, wenn man nicht optimistisch ist.“