Berlin. Bis Mitte des Jahres soll ein Kompromiss für die geplante Neugestaltung der europäischen Gemeinschaft gefunden werden.

Wenn die Beziehung etwas angespannt ist, dann tut ein Ortswechsel oft gut – um neue Perspektiven zu entdecken oder sich einfach abzulenken. Das dachte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und lud ihren Besuch, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, kurzerhand auf die Baustelle des Humboldt Forums im Berliner Stadtschloss ein.

Ausgerechnet Macron, der in Paris im Élysée-Palast residiert, das Schloss Versailles vor der Haustür hat, auf eine Schlossbaustelle führen? Doch die Einladung hatte einen Hintergrund.

Ein „sehr europäisches Projekt“ nannte die Kanzlerin das Forum, mit dem man zeigen werde, dass man Globalisierung gestalten wolle. „Das ist etwas, was Frankreich und Deutschland eint.“ Dass das Forum nach den Gebrüdern Humboldt benannt sei, zeige außerdem, dass es eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit in Kultur und Wissenschaft nicht erst jetzt gebe, sondern schon in früheren Zeiten gegeben habe. Das Humboldt Forum steht quasi für die Hauptthemen von Merkels vierter Amtsperiode: Hier soll nach der für Ende 2019 geplanten Eröffnung im internationalen Ideenaustausch nach Lösungen bei Migration und Globalisierung gesucht werden. Auch sie selbst und der französische Präsident müssten „unseren Beitrag leisten, dass sich unsere Länder, aber auch Europa gut entwickeln“, stellte die CDU-Chefin fest.

Angespannte Stimmung

zwischen Paris und Berlin

Sie bekräftigte, trotz unterschiedlicher Positionen in einigen Punkten zusammen mit Frankreich bis Mitte des Jahres einen Kompromiss für EU-Reformen zu erarbeiten. „Wir brauchen offene Debatten und wir brauchen zum Schluss auch die Fähigkeit zum Kompromiss“, sagte Merkel. Es gelte, zentrale Antworten für die Bürger Europas auf die weltweiten Herausforderungen zu geben.

Als Themen zählte Merkel die europäische Asylpolitik, eine gemeinsame Außenpolitik sowie eine Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion oder eine Bankenunion auf. Es ist eine wahrhaft große Agenda.

Doch die Stimmung ist angespannt. Seit September 2017, als Macron seine Reformrede an der Sorbonne hielt, ist viel Zeit vergangen. Merkel musste in Deutschland in der Zwischenzeit mühevoll eine Regierung schmieden. Daher blieb Berlin Antworten auf Macrons ambitionierte Ideen für eine Reform Europas bislang schuldig. Man könnte den Besuch auf der Baustelle also durchaus auch als Sinnbild für die derzeit unfertige deutsch-französische Achse deuten. Und auch die beiden Protagonisten scheinen sich noch nicht sicher zu sein, wohin die Reise gehen soll. Gefragt, ob der Anfangszauber, den sie beim ersten Besuch Macrons zitiert habe, noch wirke, antwortete Merkel etwas ausweichend: „Als ich das damals zitierte, wusste ich noch nicht ganz genau, dass die Bildung einer Regierung so lange dauert. Deshalb haben wir den Zauber ein bisschen konserviert und ein paar Monate weggelegt. Aber jetzt kommt er wieder.“

Um „den Zauber zu beleben“, habe sie die Einladung ins Humboldt Forum ausgesprochen, fügte sie hinzu. „Mir ist das sehr, sehr wichtig“: Europa müsse sich einig präsentieren und Antworten auf die Fragen der Menschen geben. Macron dankte es ihr, nannte den Besuch sehr inspirierend. Doch die Kanzlerin und den 40 Jahre alten französischen Präsidenten trennt derzeit mehr als nur die 23 Jahre Altersunterschied. Immer wieder schaute Merkel den alerten Franzosen von der Seite an, als er seine Vision eines geeinten Europas von morgen umschrieb. Kein Lächeln, das Thema ist ernst. Auch die Blicke der beiden, die im vergangenen Jahr als hoffnungsvolles europäisches Traumpaar galten, trafen sich nur selten.

Der französische Staatschef unterstrich etwa, Europa stehe an einer Wegscheide. „Wir leben in einem Moment des europäischen Abenteuers, der wirklich einzigartig ist“, sagte er. Die gemeinsame Souveränität Europas werde von der Weltordnung getestet und auf den Prüfstand gestellt. Der Franzose nannte dabei etwa den Handelsstreit sowie große technologische und klimatische Umbrüche. „Auch innerhalb unserer Staaten entstehen Zweifel und entstehen stark nationalistische Visionen.“

Macron pocht daher schon länger auf mehr Solidarität innerhalb der Wirtschafts- und Währungsunion. Er war sogar noch weiter gegangen, hatte einen europäischen Finanzminister gefordert. Die Kanzlerin bekräftigte am Donnerstag die Priorität der Bankenunion. Dazu gehört auch die umstrittene Einlagensicherung. Die Frage lautet: Wie viele faule Kredite in den Bankbilanzen – etwa in Italien – müssten abgebaut werden, bevor die Einlagensicherung kommen kann? Beantwortet worden ist sie bislang nicht.

Näher sind sich Deutschland und Frankreich hingegen bei der Asyl- und der Verteidigungspolitik. Macron forderte in seiner Sorbonne-Rede ein europäisches Asylamt, um die Asylverfahren in Europa anzugleichen. Auch für Merkel hat ein gemeinsames europäisches Asylsystem Priorität.

Auch in der Syrien-Frage beschwört Macron Einigkeit. Man habe schnell handeln müssen, daher hätten die USA, Frankreich und England sich bei den Militärschlägen zusammengetan. In Deutschland sei die Zustimmung zu einem militärischen Angriff durch die notwendige Einbindung des Parlaments nicht schnell möglich. Am Ende der Pressekonferenz eilte Merkel zunächst in Richtung Baustelle. Doch es war der falsche Ausgang, sie musste sich kurz umorientieren. Macron folgte ihr – zumindest bis hinter die Kulisse.