Berlin. Vor den Sondierungen mit der SPD wird in der Union auch an das politische Ende ihrer langjährigen Kanzlerin gedacht.

Für Angela Merkel geht es in diesen Tagen ums Ganze: Die CDU-Chefin ist seit 102 Tagen nur noch als geschäftsführende Kanzlerin im Amt. Am Sonntag starten die offiziellen Sondierungen für eine Neuauflage der Großen Koalition aus Union und SPD. Merkel ist viel daran gelegen, mit der SPD eine „stabile“ Regierung zu bilden.

„Die Welt wartet nicht auf uns“, sagte die 63 Jahre alte, langjährige deutsche Regierungschefin in ihrer Neujahrsansprache. Auch für sie selbst könnten die nächsten Wochen ungemütlich werden, sollten die Gespräche mit den Sozialdemokraten scheitern. Eine Minderheitsregierung würde für die Kanzlerin eine deutliche Schwächung bedeuten – möglicherweise würde sie die vier Jahre nicht überstehen. Sollte es zu Neuwahlen kommen, will sie als Kandidatin wieder antreten: Doch sie ist in der CDU nicht mehr unangefochten – es wächst, wenn auch langsam, der Widerstand gegen ihren Politikstil. Ein Überblick über mögliche Nachfolgekandidaten:

Annegret Kramp-Karrenbauer (55)

Die saarländische Ministerpräsidentin gilt als Merkels Favoritin, dabei ist sie nicht immer auf einer Linie mit der Kanzlerin. Kramp-Karrenbauer ließ etwa Anfang 2012 entgegen dem Rat aus dem Kanzleramt die Jamaika-Koalition im Saarland bewusst platzen. Die Katholikin ist seit August 2011 Regierungschefin in Saarbrücken. Merkel und sie haben einen Draht zueinander, ihr pragmatischer Politikstil ähnelt sich. Kramp-Karrenbauer ist loyal, ohne sich jedoch zu verbiegen. So hat sie etwa die Flüchtlingspolitik Merkels 2015 unterstützt, fährt aber in ihrem Bundesland durchaus eine harte Linie in der Migrationspolitik, etwa bei der Altersbestimmung von minderjährigen Flüchtlingen. Mit ihrem konservativen Innenminister Klaus Bouillon und klaren Positionen, etwa gegen die Ehe für alle, schließt sie die rechte Flanke.

Im März 2017 gelang der Mutter von drei Kindern ein spektakulärer Wahlsieg. Die CDU gewann die Wahl mit 40,7 Prozent überraschend deutlich, nachdem zuvor ein Sieg der SPD möglich schien. Kramp-Karrenbauer setzte im Wahlkampf vor allem auf ihre Person und war damit erfolgreich. Seitdem arbeitet sie verstärkt an ihrer Popularität, absolvierte im Bundestagswahlkampf zahlreiche Auftritte in der ganzen Republik. Über ihre Zukunft sagt sie: „Ich habe in meinem Leben gelernt, dass es überhaupt nichts nützt, ob ich etwas ausschließe oder nicht, weil Dinge sich oft anders entwickeln, als man dies selber plant.“

Jens Spahn (37)

„Der Mann, der Merkel als Kanzler ersetzen könnte“, titelte bereits der britische „Guardian“. Der parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium würde nicht widersprechen. Der Münsterländer ist jung, ehrgeizig und selbstbewusst. Er scheut sich nicht, den offenen Konflikt mit den Parteioberen zu suchen. Mit Hilfe seines Mentors Wolfgang Schäuble erstritt er 2014 erfolgreich bei einer Kampfabstimmung einen Sitz im CDU-Präsidium. Spahn steht für einen wirtschaftsliberalen Kurs, in der Flüchtlingsfrage vertritt er stramm konservative Thesen. Spahn, der mit einem Journalisten verheiratet ist, verfügt über rhetorisches Talent, ein sicheres Auftreten und ist ein häufiger Talkshow-Gast. In seinen ersten Jahren war er für Gesundheitspolitik zuständig. Bei der Vergabe von Kabinettsposten ging er bisher leer aus. Das könnte sich in einem neuen Kabinett Merkel ändern. Kurz vor der Wahl machte er mit Investitionen in Finanz-Start-ups negative Schlagzeilen, überstand diese jedoch relativ folgenlos. Er bildet zusammen mit dem Finanzpolitiker Carsten Linnemann und dem Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, ein Trio der Merkel-Kritiker in der CDU.

Ursula von der Leyen (59)

Die Verteidigungsministerin macht auf internationalem Parkett eine gute Figur, spricht fließend mehrere Sprachen. Auch an Ehrgeiz fehlt es der Politikerin nicht. Die Tochter des früheren niedersächsischen Regierungschefs Ernst Albrecht ist seit 2013 Verteidigungsministerin – als erste Frau in Deutschland. Sie scheut keine Konflikte: Unterstützer wie Gegner attestieren ihr, zäh und kämpferisch Politik zu machen. Die promovierte Ärztin und Mutter von sieben Kindern wurde 2003 Sozialministerin in Niedersachsen, 2005 Bundesfamilienministerin und 2009 Arbeitsministerin.

Doch in der CDU gibt es Vorbehalte gegen sie, mancher Alleingang, etwa bei der Frauenquote, wird ihr übel genommen. Sie fährt bei einigen Themen einen noch liberaleren Kurs als die Kanzlerin; das kommt in der Partei nicht überall gut an. Von den fünf Bundes-Vizes bekam sie bei der letzten Wahl das schlechteste Ergebnis.

Peter Altmaier (59)

Immer, wenn Merkel nicht weiterweiß, springt ihr Vertrauter Altmaier ein. Der Saarländer hat sich bereits in vielen Positionen bewährt. 2012 übernahm er spontan das Umweltministerium. Nach der Wahl 2013 wurde er Chef des Kanzleramts, in den für Merkel schweren Zeiten der Flüchtlingskrise wurde er Flüchtlingskoordinator. Im Wahlkampf betreute er die Ausarbeitung des Wahlprogramms federführend. Derzeit ist er geschäftsführend als Finanzminister und hat sichtlich Gefallen an dem Amt gefunden. Altmaier gilt als menschlich angenehm, er ist ein Brückenbauer. Doch die Nähe zu Merkel könnte für ihn auch zum Problem werden, sollte er seine Ambitionen über einen Ministerposten hinaus ausweiten wollen.

Daniel Günther (44)

Günther ist der politische Newcomer des Jahres 2017. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein steht seit Juni an der Spitze einer Jamaika-Koalition in Kiel. Er krönte damit einen mehrmonatigen turbulenten Durchmarsch von der Übernahme des Landesvorsitzes und der Spitzenkandidatur bis hin zum Überraschungswahlsieg. FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der mit Günther die Koalition aushandelte, sagte über ihn: „Ich bin sicher: In spätestens zwei Jahren ist er der Shootingstar der CDU.“ Auch manch einer in der CDU sieht das so. Günther gilt als klug und führungsstark, gleichzeitig offenbart er fast jungenhafte Züge, mit Selbstironie und trockenem Humor.

Julia Klöckner (45)

Die volksnahe rheinland-pfälzische Oppositionsführerin ist eine Quereinsteigerin in der Politik. Hätte sie 2016 die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz gewonnen, wäre sie wohl heute die große
Favoritin für die Nachfolge Merkels. Die schmerzhafte Niederlage gegen SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer bremste ihre Chancen ein. Doch Klöckners Name fällt bei Spekulationen über ein neues Bundeskabinett immer wieder. In der Flüchtlingspolitik vertritt sie einen härteren Kurs als Merkel, kommt aber mit der CDU-Chefin im Allgemeinen sehr gut aus.