Berlin. Im einzigen direkten TV-Schlagabtausch geben sich Kanzlerin und Herausforderer erstaunlich sachlich.

. Angela Merkel lächelt milde. Ihr Herausforderer gerät gleich am Anfang des Duells am Sonntagabend in die Defensive. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz muss seinen Absturz in den Umfragen erklären. Die Niederlagen bei den Landtagswahlen seien „bitter“, sagt er. Und den Vorwurf an Merkel, dass ihr Schlafwagen-Wahlkampf ein „Anschlag auf die Demokratie“ sei, würde er auch nicht mehr wiederholen – „eine zugespitzte Formulierung“. Sie habe die Sozialdemokraten im Kabinett als streitbare Koalitionspartner kennengelernt, erwidert Merkel. So kontert sie den Vorwurf, dass in ihrer Regierungszeit gar kein richtiger Diskurs zustande kommt. Auf die Frage scheint sie vorbereitet gewesen zu sein.

20.15 Uhr, Showtime, Sandra Maischberger (ARD) eröffnet, Claus Strunz (Sat-1) erläutert die Regeln, Peter Kloeppel (RTL) stellt die erste Frage. Nach den Eingangsstatements wird als erstes von vier Themenblöcken die Migration aufgerufen. Merkel verteidigt ihre Flüchtlingspolitik – Vergangenheitsbewältigung. Heute vor zwei Jahren hatte die CDU-Kanzlerin bewusst die Grenze zu Österreich offen gelassen. „Es musste entschieden werden“, sagt sie auf den Vorhalt ihres Rivalen, man hätte besser „die Partner in Europa einbeziehen“. Schulz gibt zu bedenken, dass die Integration der Flüchtlingen „unter Umständen eine Generationenfrage“ sei. Aber er will positiv rüberkommen: „Wir sind verliebt ins Gelingen.“

Es gibt zunächst keine großen Differenzen. Strunz spricht das Thema Abschiebung an. „Wir haben an dem Thema hart gearbeitet“, sagt Merkel und attackiert die rot-grün geführten Bundesländer. Sie hätten sich gesperrt, nordafrikanische Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. „Die Sozis sind schuld“, spottet Maischberger, „ja, klar“, lächelt Schulz.

Er kontert mit dem Hinweis auf Bayern. „Und die schieben auch nicht ab.“ Aber eigentlich ist ihm das Schwarze-Peter-Spiel zuwider. Auch optisch unterscheiden sich die Kontrahenten nicht groß voneinander. Beide haben sich für dieselbe Farbe entschieden. Merkel trägt eine blaue Jacke, Schulz einen gleichfarbigen Anzug. Einigkeit herrscht auch, als es um die Eingliederung von Flüchtlingen und den Islam geht. Die Integration werde Jahre dauern, räumen beide ein.

Einig sind sich Kanzlerin und Herausforderer auch bei der Beurteilung des US-Präsidenten Donald Trump. Merkel kritisiert ihn mit deutlichen Worten. „Wir haben schwerwiegende Differenzen“, sagte sie. Als Beispiele nannte die Kanzlerin die Klimafrage, aber auch die Äußerungen Trumps zu den rassistischen Ausschreitungen von Charlottesville: „Da stockt einem der Atem, da muss man deutlich aussprechen, wo die Differenzen liegen.“ Schulz hält den US-Präsidenten nicht für fähig, den Konflikt mit Nordkorea zu entschärfen.

Auch den erwartbaren Angriff des Herausforderers bei der Rentenpolitik pariert die Kanzlerin: Schulz unterstellt der Union, sie werde das Rentenalter auf 70 Jahre erhöhen – eine Behauptung, die er seit Monaten auf vielen Wahlkampfveranstaltungen aufstellt, weil Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen solchen Vorschlag einmal gemacht hat. Doch jetzt hält Merkel klar dagegen: Viele Menschen könnten gar nicht bis zum Alter von 70 Jahren arbeiten, eine solche Forderung stehe auch gar nicht im CDU-Programm. Sie sage „ein klares Nein“ zur Rente mit 70. Da ist nun Schulz überrascht und meint nur: „Finde ich toll.“

Merkel kommt gut über die Runden. Wann macht Schulz seinen ersten Punkt? Ihm merkt man mehr als der Kanzlerin die Anspannung an. Schulz will die Kanzlerin kontrolliert angreifen, aggressiv darf er nicht wirken. Merkel hat es einfacher, sie hat Routine mit solchen Duellen. Doch als es um die besorgniserregende Entwicklung in der Türkei geht, sorgt Schulz für eine handfeste Überraschung: „Wenn ich Kanzler bin, werde ich die Beitrittsverhandlungen mit der EU abbrechen“, sagt er. Das Verhalten der Türkei lasse keine andere Wahl, obwohl er sich lange für den EU-Beitritt ausgesprochen habe.

Merkel ist überrascht. Noch am Freitag habe sie mit Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) gesprochen, sie seien sich einig gewesen, dass die Beitrittsverhandlungen nicht abgebrochen werden sollten. „Ich sehe den Beitritt der Türkei nicht, ich habe ihn noch nie gesehen“, stellt Merkel aber klar. Doch einige Wortwechsel später, legt Merkel nochmal nach: Wenn sich die Haltung der SPD geändert habe, dann könne über den Abbruch der Beitrittsverhandlungen noch einmal gesprochen werden. Merkel lenkt ein, bevor der Punkt vollends an Schulz geht.

Und die Zuschauer? In ersten Umfragen von ARD und ZDF sahen sie Merkel zur Halbzeit des Duells vorn. Laut ARD sagten 44 Prozent, die CDU-Chefin sei überzeugender gewesen, 32 Prozent favorisieren den SPD-Vorsitzenden. Beim ZDF kam sie auf 33 Prozent Zustimmung, Schulz auf 24 Prozent.