Jerusalem. Die Armee schickt hunderte Militärs in israelische Großstädte. Sie sollen künftige Anschläge verhindern. Auch 1400 Reservisten werden dazu einberufen.

In Jerusalem ist es gestern zu einem neuen Anschlag gekommen. Ein Palästinenser habe am Damaskus-Tor zur Altstadt versucht, Polizisten mit einem Messer anzugreifen, teilte eine Polizeisprecherin mit. Sicherheitskräfte hätten das Feuer auf ihn eröffnet. Für Medienberichte, dass der Mann dabei tödliche Verletzungen erlitt, gab es zunächst keine offizielle Bestätigung.

Die Armee schickte gestern hunderte Militärs in israelische Großstädte, die Polizei errichtete Sperren vor arabischen Vierteln im Ostteil Jerusalems. Die Armee teilte mit, sechs Kompanien sollten Israels Polizeikräfte verstärken.

Das israelische Sicherheitskabinett beschloss in der Nacht zum Mittwoch zudem eine Reihe von Straf- und Abschreckungsmaßnahmen. So soll ein nach einem Anschlag zerstörtes Haus eines Terroristen nicht wieder aufgebaut werden dürfen. Auch das Eigentum von Attentätern kann beschlagnahmt werden. Palästinensern mit Aufenthaltsrecht für Jerusalem soll dieses entzogen werden, wenn sie Anschläge verüben. Damit wären sie de facto aus Israel und Jerusalem verbannt.

In öffentlichen Verkehrsmitteln in Jerusalem sollen 300 zusätzliche bewaffnete Sicherheitsleute eingesetzt werden. Israel hat auch 1400 Reservisten der Grenzpolizei per Notverordnung einberufen.

Seit Monatsbeginn erschüttert eine Serie von Schuss- und Messerangriffen das Land. Dabei wurden sieben Israelis getötet. 30 Palästinenser kamen ums Leben, knapp die Hälfte davon Attentäter, die im Zuge ihrer Anschläge erschossen wurden.

Ein Streit um die Besuchs- und Gebetsrechte auf dem Plateau des Tempelbergs in der Jerusalemer Altstadt hat die jüngste Gewaltwelle befeuert. Prinzipiell dürfen nur Muslime auf dem Tempelberg beten. Die Palästinenser befürchten, dass Israel immer mehr Juden eine Sondergenehmigung für Besuche auf dem Areal erteilt und so die Kontrolle der Muslime über die drittheiligste Stätte im Islam aushöhlt. Israel bestreitet das.

Allein bei zwei Attacken am Dienstag in Jerusalem hatten Palästinenser drei Israelis getötet. Auch einer der Angreifer kam ums Leben. Mehr als 20 Menschen wurden verletzt, davon sechs schwer. Es war der bisher blutigste Tag während der Gewaltwelle.

Angesichts der eskalierenden Gewalt will US-Außenminister John Kerry in den Nahen Osten reisen. Wie der US-Nachrichtensender CNN berichtete, kündigte Kerry seine Reisepläne am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der Harvard-Universität an. Er werde bald dort hinreisen, sagte er, ohne weitere Details zu nennen. „Ich will sehen, ob wir diese Sache nicht vom Abgrund wegrücken können“, ergänzte er.

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Der Tempelberg liegt in der Altstadt von Jerusalem. Juden und Muslimen gilt er gleichermaßen als bedeutendes Heiligtum. Die jüngste Gewaltwelle in Nahost entzündete sich an der Frage, wer den Hügel besuchen und dort beten darf.

Die Muslime nennen ihn Haram al-Scharif (Edles Heiligtum). Nach islamischer Überlieferung ritt der Prophet Mohammed von dort aus mit seinem Pferd in den Himmel. An dieser Stelle steht heute der Felsendom, mit dessen Bau im Jahr 687 begonnen wurde. Die goldene Kuppel ist ein bekanntes Wahrzeichen Jerusalems. Zusammen mit der benachbarten Al-Aksa-Moschee ist der Felsendom das drittwichtigste islamische Heiligtum.

Für die Juden ist der Ort ebenfalls von höchster Bedeutung. Dort sollen zwei jüdische Tempel gestanden haben. Die Klagemauer am Fuß des Tempelbergs ist der Überrest der ehemaligen westlichen Stützmauer des zweiten Tempels. Er wurde in der Zeit des Königs Herodes (73 bis 4 vor Christus) erbaut und von den Römern im Jahr 70 zerstört.

Das Tempelberg-Plateau mit den beiden Moscheen untersteht heute der islamischen Wakf-Stiftung. Nur Muslimen ist es erlaubt, dort zu beten. Rechte jüdische Organisationen wollen dieses Recht auch für Juden durchsetzen. Muslime empfinden den Besuch von Juden auf dem Tempelberg als Provokation. Islamistische Palästinenser organisierten zuletzt eine selbst ernannte Tempelberg-Wache, die sogenannten Murabitun.

Der jüngsten Gewaltwelle gingen hohe jüdische Feiertage voraus. Mehr Juden als sonst erhielten von Israel die Erlaubnis für den Besuch des Tempelberg-Plateaus. Dabei kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen den palästinensischen „Tempelbergwächtern“ und israelischen Sicherheitskräften.