London. Großbritannien wird das Unterhaus neu wählen. Eine riskante Entscheidung Sunaks – die Tory-Jahre könnten bald vorbei sein werden.

Die Ansprache war für 17 Uhr Ortszeit angekündigt, aber das englische Wetter sorgte für eine kleine Verzögerung – auf keinen Fall wollte der Premierminister in einem so wichtigen Moment im strömenden Regen dastehen. Als sich die Wolken kurzzeitig zu verziehen schienen, trat Rishi Sunak ans Podium vor der 10 Downing Street und kündigte an, dass am 4. Juli Neuwahlen stattfinden werden. „Jetzt ist der Zeitpunkt, in dem Großbritannien über seine Zukunft entscheidet“, sagte er.

Der Schritt kam überraschend. Sunak hätte noch bis Ende des Jahres Zeit gehabt, um die Neuwahl auszurufen; in Westminster war man von einem Termin im Spätherbst oder Winter ausgegangen. Dass Sunak jetzt den Zeitpunkt so deutlich vorgezogen hat, dürfte allerdings nicht daran liegen, dass die Ausgangslage besonders günstig wäre.

Die Tories liegen in Umfragen meilenweit hinter der oppositionellen Labour-Partei, regelmäßig beträgt der Abstand 20 Prozentpunkte. Wahlforscher und Politikexperten sind sich einig, dass es für die Tories eine der schwersten Niederlagen seit Jahrzehnten sein wird. Laut Medienberichten sind viele Tory-Abgeordnete von der Wahlankündigung auf dem falschen Fuß erwischt worden. Einer bezeichnete den Termin im Sommer als „verrückt“.

Sunak kündigt Neuwahlen an: Großbritannien in der Krise

Aber andererseits: Dass sich die Situation für die Tories im Lauf des Jahres gebessert hätte, ist laut Politikexperten unwahrscheinlich. Seit seinem Amtsantritt im Oktober 2022 hat Rishi Sunak immer wieder versucht, seiner Regierung zu neuem Schwung zu verhelfen. Nichts hat funktioniert. Unterdessen haben sich die Krisen im Land vertieft, darunter marode öffentliche Dienste, hohe Lebenshaltungskosten und unbezahlbarer Wohnraum in den Großstädten.

Laut Regierungsinsidern, die sich gegenüber der britischen Presse geäußert haben, ist Sunak offenbar zum Schluss gekommen, dass sich die wirtschaftliche Lage des Landes kaum verbessern werde bis zum Herbst. Zudem ist weiterhin unklar, ob die Abschiebung von Asylbewerbern nach Ruanda – das wichtigste Projekt der Sunak-Regierung – tatsächlich klappen wird; weitere Rückschläge beim Abschiebepakt wären fatal für die Regierung. Am Ende hat Sunak wohl entschieden, dass es besser ist, die Neuwahl hinter sich zu bringen.

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Premierminister fordert „mutiges Handeln“

Nichtsdestotrotz versuchte er am Mittwoch, seine Regierungszeit als Erfolg darzustellen. „Ich hoffe, meine Arbeit seit meinem Antritt als Premierminister hat gezeigt, dass ich einen Plan habe“, sagte er. „Wir sind bereit, die Maßnahmen zu ergreifen, die nötig sind, um unserem Land zum Aufschwung zu verhelfen.“ Er sprach von der Inflation, die mittlerweile wieder unter Kontrolle ist, und von den sinkenden Einwanderungszahlen. Darauf werde er aufbauen, wenn er wiedergewählt würde.

Er sprach auch viel von der Sicherheit, insbesondere von den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten. „Die Welt ist heute gefährlicher als zu jedem Zeitpunkt seit dem Ende des Kalten Krieges“, sagte er. In diesen unsicheren Zeiten sei „mutiges Handeln“ gefordert.

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14 Tory-Jahre neigen sich dem Ende

Bei der Opposition reibt man sich offensichtlich die Hände. Die Labour-Partei war schnell aus den Startlöchern. Kurz nach der Wahlankündigung veröffentlichte sie ein kurzes Video in den sozialen Medien, in dem Parteichef Keir Starmer nach einem Wandel ruft. „Nach vierzehn Jahren unter den Tories scheint es, als funktioniere nichts mehr“, sagt Starmer vor dem Hintergrund dramatischer Musik. „Großbritannien verdient etwas Besseres.“ Wenig später trat der Labour-Chef persönlich an ein Podium, flankiert von zwei Union-Jack-Flaggen, und bekräftigte seine Botschaft. Die Wahlankündigung sei der Moment, auf den das Land gewartet habe, sagte er. Ein Votum für Labour sei ein Votum „für ökonomische und wirtschaftliche Stabilität“.

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Wenn die Umfragen der vergangenen Monate kein völlig falsches Bild zeichnen, dürften am 4. Juli die 14 Tory-Jahre zu Ende gehen. Die Optik war für die Regierung am Mittwochabend schon mal nicht ideal: Sunak wurde während seiner Ansprache doch noch vom Regen eingeholt, und als er mit tropfendem Anzug zurück in seinem Amtssitz verschwand, machte er keinen besonders glücklichen Eindruck.

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