Brüssel. Ärger um angebliche Vetternwirtschaft in der EU: Der CDU-Politiker Pieper verzichtet auf lukrativen Posten. Hilft das von der Leyen?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat im Konflikt um angebliche Günstlingswirtschaft eine Niederlage erlitten: Der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper, ein Parteifreund von der Leyens, verzichtete nach schweren Vorwürfen aus dem Parlament auf den hoch dotierten Posten des Mittelstandsbeauftragten der EU-Kommission – unmittelbar vor dem geplanten Amtsantritt am Dienstag. Doch es gibt weiter Kritik: „Die schweren Fehler bei der Nominierung hat von der Leyen zu verantworten“, sagte der Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Rasmus Andresen, unserer Redaktion.

Ursula von der Leyen unter Korruptionsverdacht

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    In den vergangenen Tagen war die Kritik an Piepers Berufung heftiger geworden, das EU-Parlament hatte die Kommission aufgefordert, wegen des Verdachts der Günstlingswirtschaft die Ernennung Piepers rückgängig zu machen. Der Top-Job ist lukrativ, das Monatsgehalt beträgt über 18.000 Euro brutto. Abgeordnete von Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken sowie vier EU-Kommissare hatten moniert, dass bei Piepers Berufung regelwidrig seine CDU-Mitgliedschaft ausschlaggebend gewesen sei. Im monatelangen Auswahlverfahren hätten zwei Bewerberinnen aus der liberalen Parteienfamilie deutlich besser abgeschnitten als Pieper, erklärten auch Transparency International und weiter Anti-Korruptionsorganisationen in einem Protestbrief an die Kommission. Offenbar sei gegen den Verhaltenskodex verstoßen worden.

    Der CDU-Politiker Pieper verzichtet auf lukrativen Posten in der EU-Kommission. 
    Der CDU-Politiker Pieper verzichtet auf lukrativen Posten in der EU-Kommission.  © picture alliance/dpa/Revierfoto | Revierfoto

    Pieper begründete seinen Rückzug nun aber vor allem damit, dass neben drei sozialdemokratischen Kommissaren auch der liberale Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton gegen seine Berufung protestiert hatte. Der Franzose ist in der Kommission für Mittelstand und Bürokratie zuständig, also für den Aufgabenbereich des Mittelstandsbeauftragten – Pieper hätte an Breton und von der Leyen berichten sollen. „Aufgrund der Art und Weise, wie Breton meine Ernennung innerhalb der Kommission im Vorfeld boykottierte und das Amt aus parteipolitischen Gründen missbraucht wird, sehe ich derzeit keine Möglichkeit, die berechtigten Erwartungen, die mit dem Mittelstandsbeauftragten verbunden sind, zu erfüllen“, erklärte Pieper.

    Vorwurf der Vetternwirtschaft drohte zur Belastung zu werden

    Allerdings läuft die Amtszeit Bretons in gut vier Monaten ab, weshalb Pieper am Dienstag einen Neustart andeutete: „Nach der Europawahl wird es mit den absehbaren neuen Mehrheiten anders aussehen.“ Sein Abgeordnetenmandat ist er in Kürze los – Pieper hatte wegen des Top-Jobs auf eine erneute Kandidatur für das EU-Parlament verzichtet.

    In Brüssel wird vermutet, dass die Unterstützung von der Leyens für ihren Parteifreund zuletzt geschwunden war. Ursprünglich hatte sie mit Piepers Berufung wohl auch im Sinn gehabt, einen ihrer scharfen Kritiker aus der CDU einzubinden und so den Widerstand in den Reihen der Unionspolitiker zu dämpfen. Aber der Vorwurf der Vetternwirtschaft drohte zur Belastung in von der Leyens ohnehin holprigem Wahlkampf, als Spitzenkandidatin der christdemokratischen EVP-Parteifamilie zu werden – und anschließend auch ihre ungewisse Wiederwahl im EU-Parlament zusätzlich zu erschweren.

    Das Europaparlament hatte gegen die Berufung des CDU-Abgeordneten Markus Pieper zum Mittelstandsbeauftragten der Kommission protestiert und den Widerruf seiner Ernennung verlangt. Nun erklärte Pieper selbst seinen Verzicht.
    Das Europaparlament hatte gegen die Berufung des CDU-Abgeordneten Markus Pieper zum Mittelstandsbeauftragten der Kommission protestiert und den Widerruf seiner Ernennung verlangt. Nun erklärte Pieper selbst seinen Verzicht. © dpa | HATIM KAGHAT

    Auffallend war, dass von der Leyen beim Europa-Wahlkampfauftakt der niedersächsischen CDU am vergangenen Freitagabend zwar den von ihr neu geschaffenen Posten des Mittelstandsbeauftragten lobte – ihren dafür vorgesehenen Parteifreund Pieper erwähnte sie aber mit keinem Wort.

    Rasmus Andresen: Von der Leyen trägt die Verantwortung

    Ein Kommissionssprecher erklärte: „Die Präsidentin respektiert und bedauert die Entscheidung von Markus Pieper“. Pieper sei ein ausgewiesener Experte für kleine und mittlere Unternehmen, der sich in einem mehrstufigen Auswahlverfahren durchgesetzt habe. Piepers Fraktionskollegen David Caspary und Angelika Niebler beklagten, die wichtige Ernennung sei von vier Kommissaren „allein aus parteitaktischen Gründen sabotiert worden“, die Personalie sei zum reinen Wahlkampfthema geworden.

    Der Grünen-Abgeordnete Andresen meinte dagegen, bedauerlicherweise komme der Rückzug erst in letzter Minute und auf massiven, öffentlichen Druck hin. Ohne Piepers Verzicht wäre der „Beigeschmack der Vetternwirtschaft“ geblieben. Der FDP-Europaabgeordnete Michael Kauch sagte, von der Leyen trage die Verantwortung für den „Skandal“: Sie habe die Ergebnisse des Bewerbungsverfahrens ignoriert und qualifiziertere Frauen aus unterrepräsentierten Mitgliedstaaten übergangen, was weiter aufgeklärt werden müsse. Nun soll es eine Neuauflage des Auswahlverfahrens geben – allerdings erst nach der Europawahl im Juni.