Pristina. Serbiens Präsident Vučić zieht seine Armee von der kosovarischen Grenze ab – vorerst. Der bedrohte Nachbar traut dem Frieden nicht.

Die Gefahr ist vorerst abgewendet. Am Samstagnachmittag zogen sich die serbischen Kolonnen an Artillerie, Panzern und Soldaten von der kosovarischen Grenze zurück. In einem dramatischen Appell hatten die USA zuvor Serbien aufgefordert, die Armee nach Belgrad zurück zu beordern, die sich schon zehn Tage zuvor begonnen hatte, Richtung Süden – also Richtung Kosovo – zu bewegen. Auch der Außenbeauftragte der EU, Josep Borell hatte sich am Samstag sehr „besorgt“ über die Verstärkung der Präsenz der serbischen Armee gezeigt. „Die Streitkräfte sollten sich zurückziehen“, forderte Borell.

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Der serbische Präsident Aleksandar Vučić sagte der Financial Times, dass die serbische Armee nicht in den Kosovo einmarschieren werde, die Anzahl der sich an der Grenze befindenden Soldaten nehme ab. Vučić erklärte allerdings nicht, weshalb die Armee überhaupt mit Panzern und Artillerie an die Grenze geschickt hatte. Einige erfahrene Beobachter der Politik des serbischen Staatschefs meinten, es handle sich um eines seiner üblichen Manöver. Vučić eskaliere immer wieder die Situation, um sich nachher als jener bedeutende Politiker darzustellen, der zur Deeskalation beitrage.

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Sicher ist: Dafür bekommt er bisher auch regelmäßig Lob. Zur Zeit erhält er aber eher Warnungen und Aufforderungen, zu deeskalieren, sowohl vom Weißen Haus und Brüssel als auch vom Auswärtigen Amt in Berlin. Der Terroranschlag im Norden Kosovos vor einer Woche, bei dem ein Polizist von den serbischen Milizen getötet wurde, wirkt noch nach. Der Westen konnte zuletzt seine Appeasement-Politik gegenüber Vučić angesichts der Gewalt und der offensichtlichen Aggression nicht mehr fortführen.

Milizen-Boss Radoičić floh nach Anschlag nach Serbien

Der Anführer der nach neuesten Erkenntnissen etwa 80 Mann umfassenden Terror-Truppe, Milan Radoičić, der bei dem Anschlag vergangenen Sonntag verletzt wurde und mit dem Auto Richtung Serbien floh, ließ inzwischen über seinen Anwalt mitteilen, dass er die Verantwortung für die Operation übernehme und dass die serbischen Behörden nichts damit zu tun hätten. Ganz offensichtlich muss er Vučić und sein Regime schützen. Deshalb trat er auch als Vize-Chef der von Vučić kontrollierten Partei Srpska Lista im Nord-Kosovo zurück.

Bewaffnete kosovarische Polizisten stehen an der serbischen Grenze: Dort hatten serbische Milizen vor einer Woche einen Kosovaren erschossen.
Bewaffnete kosovarische Polizisten stehen an der serbischen Grenze: Dort hatten serbische Milizen vor einer Woche einen Kosovaren erschossen. © EPA-EFE | Georgi Licovski

Die kosovarische Polizei, die am Samstag wieder viele Waffen und Ausrüstung der illegalen Miliz im Norden Kosovos beschlagnahmte, veröffentlichte auch Video-Aufnahmen der Villa von Radoičić. Der Milizen-Boss – der auch der serbische Prigoschin genannt wird – residiert in einem millionenschweren Anwesen mit Swimmingpool und schickem Fuhrpark. In nächster Zeit wird er dorthin wohl nicht zurückkehren können. Denn die kosovarische Polizei würde ihn sofort verhaften.

Der amerikanische Botschafter in Pristina, Geoffrey Hovenier, sagte in einem Interview mit der britischen BBC, dass bestimmte Strukturen hinter dem Terroranschlag im Kosovo steckten und dass die gefundenen Waffen darauf hindeuten, dass die Angreifer diese nicht aus eigener Kraft hätten beschaffen können. Zahlreiche Beobachter vermuten hinter dem versuchten Anschlag eine serbische Geheimdienst-Operation, die das Ziel hatte, den Kosovo zu destabilisieren – möglicherweise, um einen Einmarsch von Truppen zu legitimieren.

Kosovos Premier sicher: Hinter den Aktionen steckt Vučić

Der kosovarische Premier Albin Kurti erklärte indes, dass „in Belgrad heute der kleine Putin Präsident ist“ und dass die Angreifer im Dorf Banjska vergangenen Sonntag über Ausrüstung verfügten, die in Serbien hergestellt wurde und nicht auf dem freien Markt gekauft werden könne. Logistik, Ausrüstung und Vorbereitung kämen aus Belgrad. Radoičić habe auch politische Befehle von Präsident Vučić erhalten. „Ich habe absolut keinen Zweifel daran, dass Radoičić nur ein Vollstrecker ist. Derjenige, der diesen terroristischen, kriminellen Angriff auf unser Land geplant und angeordnet hat, um unsere territoriale Integrität, nationale Sicherheit und Staatssicherheit zu verletzen, ist kein anderer als Präsident Vučić.“

Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, wies eine Beteiligung an der Attacke in Banjska, ein Dorf 55 Kilometer nördlich der Hauptstadt des Kosovo, zurück.
Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, wies eine Beteiligung an der Attacke in Banjska, ein Dorf 55 Kilometer nördlich der Hauptstadt des Kosovo, zurück. © dpa | -

Die Angreifer seien paramilitärische Berufsgruppen, die in die organisierte Kriminalität verwickelt seien, glaubt Kurti. „Sie haben als Politiker angefangen, Kriminelle zu werden, und jetzt wollen sie ihr Verbrechen politisieren“, so der Premier. „Sie repräsentieren nicht einmal die Serben aus dem Kosovo, und, bei Gott, ich muss sagen, sie repräsentieren nicht einmal das serbische Volk. Sie repräsentieren das Kapital, das sie dem Volk genommen haben, indem sie viele Jahre lang in die organisierte Kriminalität verwickelt waren.“

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Ihr Ziel sei es laut Kurti, „abwechselnd einen Monat lang das Kosovo, dann Montenegro, dann Bosnien und Herzegowina destabilisieren, weil sie wollen, dass wir alle in die 1990er Jahre zurückkehren.“ Es handle sich um dieselben Leute, die Ende Mai die Kfor angegriffen und 30 Soldaten teils schwer verletzt haben. Zu der Truppe zählen Kurti zufolge auch Leute, die zum „Zivilschutz“ gehörten. Er forderte die USA, die Nato, die EU und Großbritannien auf, klare Kante zu zeigen. Immerhin hätten die Milizen auch enge Verbindungen zu den Nachtwölfen und der Wagner-Truppe. „Sie sind also pro-russisch, sie hassen die Ukraine und wollen, dass Putin gewinnt“, erklärte der Regierungschef.

Russland unterstützt das Vorgehen Serbiens sehr offen

Tatsächlich unterstützt der Kreml das Vorgehen Serbiens. Erst vor zehn Tagen traf sich der russische Außenminister Sergej Lawrow mit dem serbischen Außenminister Ivica Dačić. Nach dem Terrorakt gegen Kosovo tauchten in Moskau Plakate auf mit der russischen und serbischen Flagge und dem Slogan auf: „Wir trauern gemeinsam mit Serbien – eine Farbe, ein Glaube, ein Blut“. Vergangenen Freitag sendete die russische Botschaft in Kanada auf X (vormals Twitter) die Parole: „Kosovo ist Serbien“.

Ein Abkommen zur Abstimmung der Außenpolitik schlossen Russland und Serbien schon vor einem Jahr, MIG-Kampfjets wurden von Russland und Belarus aus nach Serbien geliefert. Und erst im August bestellte Serbien 20.000 Kamikaze-Drohnen vom Iran. Kurti setzt sich deshalb für eine stärkere Nato-Präsenz im Kosovo ein. Es gehe aber nicht darum, die kosovarische Polizei zu ersetzen, sondern gemeinsam an der Grenze zu patrouillieren. „Das ist unsere Bitte, und ich hoffe, dass die Nato positiv auf diese unsere wichtigste Sicherheitsforderung reagieren wird.“