Madrid. Zu tun gäbe es genug im von Krisen geplagten Spanien – doch die politischen Lager scheuen die einfachste Lösung: eine große Koalition.

Siegen heißt nicht unbedingt Regieren. Diese politische Weisheit scheint sich nun auch in Spanien zu bestätigen. Denn das konservative Lager hat in dem südeuropäischen Land einen bitteren Sieg geholt, der sich noch in eine Niederlage verwandeln könnte.

Der konservative Spitzenkandidat Alberto Feijóo von der Volkspartei PP verfehlte zusammen mit seinem potenziellen Koalitionspartner, der ultrarechten Partei Vox, die absolute Mehrheit. Er wird voraussichtlich keine tragfähige Regierung bilden können. Feijóo büßte dafür, dass er sein Schicksal an die reaktionäre Rechtsaußenpartei gebunden hatte. Eine Partei, welche die in Spanien 1975 untergegangene Franco-Rechtsdiktatur verteidigt und die Zeit in Spanien zurückdrehen will.

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Der politische Horrorkatalog der Rechtspopulisten, die gegen Gleichberechtigung, Abtreibung und Klimaschutz sind, verschreckte viele konservative Wähler. Und stärkte zugleich das progressive Lager um den sozialdemokratischen Premier Pedro Sánchez, der sich als heimlicher Gewinner fühlen kann.

Sánchez könnte in einer Minderheitsregierung weitermachen

Obwohl es auch Sánchez nicht einfach haben wird, mit seiner Minderheitsregierung aus Linksalternativen und Sozialdemokraten weiterzumachen. Dieses Wackelkabinett war bisher schon von den Separatistenparteien in der spanischen Region Katalonien abhängig. Dort hat immer noch der vor der Justiz nach Brüssel geflohene Carles Puigdemont viel zu sagen.

Ralph Schulze ist Spanien-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion.
Ralph Schulze ist Spanien-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion. © Privat

Die Angst der Wähler vor einer konservativen Feijóo-Koalition unter der Fuchtel der rechtsradikalen Vox-Partei war offenbar größer als die Sorge vor einer instabilen Sánchez-Regierung von Puigdemonts Gnaden. Man darf gespannt sein, welchen Preis Puigdemont verlangen wird, um den Weg für eine neue Amtszeit Sánchez‘ freizumachen. Die Begnadigung? Die katalanische Unabhängigkeit? Wenn Puigdemont den Preis zu hochtreibt, dürfte auch Sánchez mit einer Regierungsbildung scheitern. Und dann müsste Spanien schon wieder wählen.

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Es sei denn, die beiden großen Parteien springen über ihren Schatten. Angesichts dieser schwierigen Lage der Nation könnten die spanischen Traditionsparteien, Sozialdemokraten und Konservative, doch mal auf die Idee kommen, mit Gemeinsamkeit statt mit Grabenkämpfen die Probleme des Landes zu lösen. Mit einer großen Koalition der Mitte zum Beispiel.

Schulden wachsen, es fehlen Reformen – und politischer Konsens

Herausforderungen für einen großen überparteilichen Staatspakt gibt es genug: Die Arbeitslosigkeit ist mit 12,7 Prozent so hoch wie in keinem anderem EU-Land. Die staatliche Gesamtverschuldung, die nach den Ausgabekraftakten der Pandemie, des Ukraine-Krieges und der Energiekrise explodierte, beträgt 113 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Nur Griechenland, Italien und Portugal stehen in der EU noch schlechter da.

Auch die staatliche Gesundheitssystem, die öffentliche Rentenkasse, Schulen und Unis und die Forschung pfeifen aus dem letzten Loch. Durchweg weil strukturelle Reformen, Geldmittel und politischer Konsens fehlen, um endlich dauerhaft die großen Probleme des Landes anzupacken. Doch dazu scheinen weder Feijóo noch Sánchez bereit.

Der amtierende Regierungschef ist stolz darauf, dass seine Mitte-links-Regierung trotz des politischen Dauer-Hickhacks in Spanien eine recht erfreuliche Bilanz vorweisen konnte: Die Wirtschaft wächst überdurchschnittlich, die Inflation ist mit 1,6 Prozent überraschend niedrig, die Mindestlöhne stiegen unter Sánchez um nahezu 50 Prozent. Das hat zweifellos dazu beigetragen, dass Sánchez nicht die erwartete Schlappe erlitt. Nun will er als zweiter Sieger weitermachen – und bekommt dazu vielleicht die Chance.