Washington. Die Syphilis breitet sich in den USA immer weiter aus. Und trifft diejenigen am härtesten, die am wenigsten dafür können: Neugeborene.

Dreißig Jahre nach der weltweiten AIDS-Pandemie ist in den USA eine andere sexuell übertragbare Krankheit auf dem Vormarsch: Syphilis, genauer gesagt "kongenitale" oder "angeborene Syphilis", mit der Neugeborene, die schon im Mutterleib infiziert wurden, zur Welt kommen.

Ärzte sind frustriert. Sie halten die meisten Erkrankungen für vermeidbar – durch rechtzeitige Diagnose und entsprechende Behandlung der Infektion, die bei Erwachsenen am häufigsten durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen wird. Die Notwendigkeit der Früherkennung übersehen aber viele Menschen – auch werdende Mütter – weil es häufig an Symptomen fehlt, die eine Infektion verraten würden.

Syphilis bei Kindern: Symptome bleiben ein lebenlang

Sidney J. is heute sechs Jahre alt. Dabei hätte das fröhliche Mädchen mit blonden Locken und einem breiten Grinsen seine Geburt im Spätsommer 2016 kaum überlebt. Sie konnte kaum atmen, weil sich ihre Lungen mit Schleim gefüllt hatten. Als Ärzte nach mehreren Tests eine Syphilis-Infektion feststellten, gaben sie dem Säugling maximal vier Wochen. Nach der Diagnose wurde sie prompt auf eine Intensivstation für Neugeborene gebracht und zwei Wochen lang intravenös mit Antiobiotika behandelt. Auch interessant: Verhütung ist auch Männersache – Diese Methoden gibt es

Was sie genau plagt, versteht das junge Mädchen, das nun das normale Leben einer gerade eingeschulten Erstklässlerin lebt, nicht. Doch aber, dass sie immer wieder Schmerzen hat. Sidney leidet unter Halsschmerzen, Fieber, geschwollenen Lymphknoten und extremer Müdigkeit, die für ein ansonsten lebhaftes Kind in ihrem Alter ungewöhnlich sind. Auch haben die Ärzte ihre Eltern davor gewarnt, dass ihr Sprössling damit rechnen muss, sein ganzes Leben lang Symptome zu haben, die Infektion zurückkehren könnte und nicht auszuschließen ist, dass die Krankheit im Erwachsenenalter ihre Nerven befallen oder das Sehvermögen beeinträchtigen wird.

So lästig die Symptome auch sind, kann sich Sidney immer noch glücklich schätzen. Viele Babys, die mit "angeborener Syphilis" zur Welt kommen, leben nämlich nur ein paar Wochen. Wie die US-Bundesgesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH) feststellt, hat die Zahl der Kinder, die mit der Infektion zur Welt kommen, in den vergangenen zehn Jahren um das Siebenfache zugelegt – mit weiter steigender Tendenz.

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Das wiederum bringt Dr. Robert McDonald, der bei NIH die Abteilung für Geschlechtskrankheiten leitet, zur Verzweiflung. "Die steigende Zahl von Fällen ist wirklich ärgerlich, denn bei rechtzeitiger Behandlung hätte das diesen armen Kindern nie passieren müssen", so McDonald. "Es geht nur darum, schwangere Frauen frühzeitig auf die notwendigen Tests aufmerksam zu machen und bei einer Infektion entsprechend zu reagieren".

Ein gesetzlich vorgeschriebenes Syphilis-Screening für Schwangere, das es in Deutschland gibt, existiert in den USA nicht in allen Staaten. Wird aber das Screening mindestens 30 Tage vor der Entbindung durchgeführt und die Mutter – wenn positiv – mit Penicillin behandelt, "dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutter das Träger-Bakterium Treponema Pallidum auf ihr Baby überträgt, um 98 Prozent", so McDonald. Ansonsten drohen eine Frühgeburt oder gar Totgeburt, auch Spätschäden seien dann möglich, betont der Mediziner.

Geschlechtskrankheiten breiten sich wegen mangelnder Aufklärung weiter aus

Die meisten Erkrankungen werden in ärmeren Südstaaten der USA festgestellt, wo die Krankenversorgung häufig zu wünschen übrig lässt. Allein in Mississippi schoss in den Jahren 2016 bis 2021 die Zahl der Neugeborenen mit Syphillis um 3300 Prozent und in Oklahoma um 3000 Prozent nach oben. In mehreren anderen Staaten haben sich die Infektionen in demselben Zeitraum mehr als verzehnfacht.

Als Gründe nennen Experten zum einen eine mangelhafte Aufklärung schwangerer Frauen. Problematisch sei aber auch, dass staatliche Gesundheitsprogramme nicht genug in die Vorbeugung und Behandlung der Geschlechtskrankheit investierten.

Wie eine Studie der Centers for Disease Control (CDC) ergab, sind die Gelder, die während der vergangenen 20 Jahre in die Forschung und Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten flossen, um 40 Prozent gesunken. Auch wurden während der Corona-Pandemie öffentliche Mittel, die früher dem Kampf gegen Syphilis dienten, umgewidmet und für die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen das Corona-Virus genutzt.