Berlin. Top-Verdiener sollen beim Elterngeld in Zukunft leer ausgehen. Dagegen regt sich lautstarker Protest – auch von unerwarteter Seite.

Das hatte sich die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ganz anders vorgestellt. Eigentlich wollte sie in dieser Woche einen Haken an einige politische Großprojekte machen und sich dann am Freitag in die Sommerpause verabschieden. Doch stattdessen fliegen wieder die Fetzen. Es geht um ein Thema, das sonst nie im Zentrum des öffentlichen Interesses steht: das Elterngeld.

Am Mittwoch billigte das Bundeskabinett den Entwurf für den Haushalt 2024 und den Finanzplan für die kommenden Jahre. Und weil Finanzminister Christian Lindner (FDP) von nahezu allen Kabinettskollegen erhebliche Sparanstrengungen verlangt, plant Familienministerin Lisa Paus (Grüne) Kürzungen bei dieser Leistung, die Paare nach der Geburt eines Kindes finanziell absichern und zu einer fairen Arbeitsteilung zwischen den Eltern beitragen soll.

Künftig sollen nur noch Paare Elterngeld bekommen, deren zu versteuerndes Jahreseinkommen 150.000 Euro nicht übersteigt. Das entspricht einem gemeinsamen Bruttoeinkommen vor Abzügen von mindestens 180.000 Euro. Bislang liegt die Grenze bei 300.000 Euro zu versteuerndem Einkommen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) geht davon aus, dass in der Praxis maximal zwei Prozent der steuerpflichtigen Paare von der geplanten Neuerung betroffen sein dürften. Ministerin Paus spricht von 60.000 Paaren. Mit einem Einkommen in der genannten Höhe gehört man bereits zu den Top-Verdienern in Deutschland. Das durchschnittliche Brutto-Haushaltseinkommen lag hierzulande zuletzt bei rund 60.000 Euro pro Jahr.

Elterngeld: Scharfe Kritik an den Plänen der Familienministerin

Die Kritik an den geplanten Änderungen reißt nicht ab – und sie kommt zunehmend auch von Leuten, die ansonsten nicht im Verdacht stehen, ein Herz für Menschen mit besonders hohen Einkünften zu haben. So sagte am Mittwoch der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlstandsverbands, Ulrich Schneider, unserer Redaktion: „Das man im Zweifel bei sehr gut Verdienenden Solidarität einfordert, liegt grundsätzlich nahe. Doch dabei ausgerechnet beim Elterngeld anzusetzen, ist der falsche Weg.“

Schneider ergänzte, die Regierung solle sich stattdessen „endlich zu der in diesen Krisenzeiten überfälligen stärkeren Besteuerung von Spitzeneinkommen und großen Vermögen durchringen“. Dann hätte sie viele Probleme gar nicht. Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, meinte, Streichungen und Verschlechterungen beim Elterngeld seien „grundsätzlich der falsche Weg und ein völlig falsches Signal“.

Eine Mutter hält die Hand ihres Neugeborenen. Das Elterngeld soll Väter und Mütter nach der Geburt ihres Kindes finanziell entlasten und zu einer fairen Arbeitsteilung beitragen.
Eine Mutter hält die Hand ihres Neugeborenen. Das Elterngeld soll Väter und Mütter nach der Geburt ihres Kindes finanziell entlasten und zu einer fairen Arbeitsteilung beitragen. © dpa | Sebastian Gollnow

Elterngeld bekommen Eltern, die nach der Geburt ihres Kindes beruflich kürzertreten und deshalb weniger verdienen. Grundregel ist, dass der Staat 65 Prozent des Verdienstausfalls erstattet. Das System ist so konstruiert, dass es auch Männern Anreize bieten soll, weniger oder vorübergehend gar nicht zu arbeiten und sich stattdessen um den Nachwuchs zu kümmern. Beteiligen sich beide Eltern, können sie maximal 14 Monate lang Elterngeld beziehen.

IG Metall hält geplante Änderung für großen Fehler

Auch die IG Metall äußerte am Mittwoch scharfe Kritik: Die Gewerkschaft halte die geplante Absenkung der Einkommensgrenze beim Elterngeld für einen großen Fehler, sagte die Zweite Vorsitzende Christiane Benner. „Die Koalition gefährdet damit die gleichstellungspolitischen Erfolge der letzten Jahre und drängt viele Frauen aus dem Erwerbsleben und zurück in die klassische Rollenverteilung.“ Aus den Betrieben höre die Gewerkschaft, dass Väter auch aufgrund der hohen Inflation weniger oder gar keine Elternzeit mehr nähmen. „Das liegt unter anderem daran, dass das Elterngeld auf dem Niveau von 2007 stagniert.“

Tatsächlich sind der Mindest- und der Höchstbetrag des Elterngeldes seit der Einführung der Leistung vor nunmehr 16 Jahren niemals angepasst worden: Die Bezieher erhalten mindestens 300 Euro und höchstens 1800 Euro pro Monat. In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich die Ampel-Partner vor zwei Jahren noch deutliche Leistungsverbesserungen vorgenommen. „Wir werden den Basis- und Höchstbetrag beim Elterngeld dynamisieren“, heißt es dort unter anderem. Davon ist nun keine Rede mehr, stattdessen sind Einschnitte geplant.

Sparkurs: Scholz will über „richtige Kalibrierung“ des Elterngeldes reden

Auch im Bundestag regte sich am Mittwoch lauter Widerspruch gegen die geplanten Einschränkungen. Die CSU-Parlamentarierin Dorothee Bär, sagte, vor allem „die Leistungsträgerinnen der Gesellschaft“ – gemeint sind Frauen mit sehr hohen Einkommen – müssten jetzt wieder kürzertreten. Frauen würden abgestraft und wieder stärker in Abhängigkeit von ihren Männern gebracht.

Lisa Paus (Bündnis90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, steht in der Kritik.
Lisa Paus (Bündnis90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, steht in der Kritik. © dpa | Michael Kappeler

Kanzler Olaf Scholz (SPD) beschwichtigte anlässlich einer Regierungsbefragung die Kritiker. Die aktuell geltende Einkommensgrenze von 300.000 Euro sei sehr hoch, sagte Scholz. Es sei daher „ganz vernünftig, über die richtige Kalibrierung zu reden“. Nach wie vor sollten mehr Eltern ermutigt werden, Kinder zu bekommen. Die Sorge-Arbeit solle nicht allein bei den Müttern hängenbleiben.

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Noch sind die Kürzungspläne keine beschlossene Sache. Denn die Regierung kann nur Vorschläge unterbreiten. Gesetzgeber ist aber das Parlament. Das gilt auch für den Bundeshaushalt 2024 insgesamt und alle Projekte, die damit zusammenhängen. Bis hier Klarheit herrscht, dürften noch Monate ins Land gehen.

Der Haushaltsentwurf, den das Kabinett am Mittwoch nach langen Auseinandersetzungen zwischen den Ministerien billigte, sieht Ausgaben im Umfang von 446 Milliarden Euro vor. Das sind rund 30 Milliarden Euro weniger als im laufenden Jahr. Die Vorgaben der Schuldenbremse werden eingehalten. Nicht nur Familienministerin Paus, sondern auch alle anderen Ressortchefs müssen Sparbeiträge erbringen. Ausnahme ist Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der mehr Geld erhält, um die vereinbarten Gehaltssteigerungen der Soldaten und Zivilangestellten bezahlen zu können.

Finanzminister Lindner sagte mit Blick auf die Krisen-Haushalte der vergangenen Jahre: „Wir beenden nun den Krisenmodus expansiver Staatsfinanzen.“ Das sei nicht nur eine Vorgabe der Verfassung, sondern auch „ein Gebot ökonomischer Klugheit, Ausdruck des Verantwortungsgefühls gegenüber kommenden Generationen und ein Signal über die deutschen Grenzen hinaus“. In den kommenden Jahren müsse der Konsolidierungskurs „entschieden fortgesetzt“ werden, meinte Lindner.

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