Berlin. Gehen Brustkrebs-Patientinnen in eine zertifizierte Klinik, erhöht sich ihre Überlebenschance. Laut Studie ist das kein Einzelfall.

Brustkrebs, Schlaganfall, kaputte Hüfte - auf die Schockdiagose folgt schnell die Frage: Wo bekomme ich jetzt die beste Behandlung? Die Regierungskommission für die Klinikreform hat jetzt eine große Analyse erstellt. Sie zeigt, dass in Deutschland Tausende Leben gerettet werden könnten, wenn wichtige Eingriffe nur in solchen Krankenhäusern gemacht werden, die damit Erfahrung haben.

Überlebenschancen verbessern, Komplikationen verringern, Heilung beschleunigen und gleichzeitig ein ausreichend dichten Netzes von Krankenhäusern erhalten – das ist das Ziel der Klinikreform, um die Bund und Länder aktuell noch heftig ringen. Dass die Qualität oft nicht stimmt, dass Kliniken aus wirtschaftlichen Gründen Eingriffe machen, die besser woanders gemacht würden, dass es im internationalen Vergleich im wohlhabenden Deutschland zu viele vermeidbare Todesfälle gibt – darin sind sich alle einig. Streit gibt es um die Frage, wie stark der Bund den Ländern Vorgaben machen soll.

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will jetzt mit einem Qualitätscheck den Druck auf die Länder erhöhen. Die zentrale Frage für jede der 1719 Kliniken in Deutschland: Können sie das, was sie machen, gut genug? Auf diese Weise soll für alle sichtbar werden, welche Häuser noch gebraucht werden – und welche davon Personal und Patienten besser an andere Standorte abgeben und dicht machen sollten. „Wo die Qualität nicht stimmt, wird der Bund nicht mehr bezahlen“, droht Lauterbach.

Erreichbarkeit bleibt ein Problem – gerade auf dem Land

Zum 1. Januar 2024 will Lauterbach eine Übersicht in Form einer Deutschlandkarte öffentlich machen – mit allen Kliniken, aufgeschlüsselt nach rund 75 verschiedenen Leistungsgruppen und dem jeweiligen Qualitätsniveau. Wie genau Mindeststandards definiert werden und wie viele Kliniken dann am Ende überleben würden – das ist noch offen. Schließlich geht es nicht nur um Qualität, sondern auch um Erreichbarkeit. Und die ist ein Problem, gerade auf dem Land.

Karl Lauterbach (SPD, r), Bundesminister für Gesundheit, kommt mit Axel Ekkernkamp (l), Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin, zu einer Pressekonferenz.
Karl Lauterbach (SPD, r), Bundesminister für Gesundheit, kommt mit Axel Ekkernkamp (l), Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin, zu einer Pressekonferenz. © dpa | Fabian Sommer

Die Regierungskommission hat jetzt den Anfang gemacht und anhand von drei Fallbeispielen analysiert, wie sich die Versorgungsqualität verbessert, wenn komplizierte Behandlungen nur noch in dafür spezialisierten Kliniken durchgeführt werden. Die Grundlage bildeten Daten von Krankenkassen, Krankenhäusern und Fachgesellschaften.

Krebs: So könnten 20.000 Lebensjahre gerettet werden

Elf verschiedene Krebsarten haben die Experten untersucht – von Brustkrebs über Darmkrebs bis hin zum Lungenkrebs. Das Ergebnis: Würden alle Krebspatienten in zertifizierten Zentren versorgt, könnten pro Jahr mehr als 20.000 Lebensjahre gerettet werden. Gehen Frauen mit Brustkrebs zur Erstbehandlung in ein zertifiziertes Krankenhaus, so haben sie eine fast 25 Prozent höhere Überlebenschance. Allein beim Brustkrebs könnten auf diese Weise jährlich rund 3800 Lebensjahre gewonnen werden.

Beim Darmkrebs könnten sogar knapp 4900 Lebensjahre gerettet werden. Für vier Krebsarten wurde zudem beispielhaft die Erreichbarkeit der Krankenhäuser analysiert, wenn nur noch zertifizierte Zentren zur Krebsbehandlung zugelassen wären. Für Darm-, Brust- und Prostatakrebs läge die mittlere Erreichbarkeit für die Bevölkerung unter oder um 20 Minuten, für Hirntumoren etwas über 30 Minuten. „Sie wäre damit unverändert exzellent im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern“, heißt es im Bericht der Kommission.

Schlaganfall: 5000 Todesfälle pro Jahr könnten vermieden werden

Würden alle Patientinnen und Patienten nach einem Schlaganfall in einem Krankenhaus mit spezialisierter Behandlung (Stroke-Unit) versorgt, könnten zusätzlich rund 5.000 Menschen den Schlaganfall im ersten Jahr überleben. Dazu muss man wissen: Im Jahr 2021 gab es in Deutschland 328 Krankenhausstandorte mit Stroke Unit und weitere 1.049 Krankenhäuser, die Schlaganfälle ohne Stroke Unit behandelten.

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Anders als bei Krebs ist bei der Schlaganfallbehandlung die rasche Erreichbarkeit eines geeigneten Krankenhauses essenziell. Die durchschnittliche Fahrzeit, die bei derzeit 1.377 Klinikstandorten mit Schlaganfallbehandlung 21,6 Minuten beträgt, würde sich bei einer Konzentration auf die 328 Stroke Unit-Standorte auf lediglich 23,4 Minuten verlängern, heißt es in der Studie. Mit anderen Worten: Würden Schlaganfall-Patienten nur noch in die Stroke-Units gebracht, würde sich die durchschnittliche Fahrzeit insgesamt um nicht einmal zwei Minuten verlängern.

Neue Hüfte: Nur ein Viertel der Kliniken hat genug Erfahrung

Bei Hüft- und Kniegelenksprothesen gilt seit langem: Routine zahlt sich aus. Je häufiger eine Klinik solche Eingriffe macht, desto besser ist in der Regel das Ergebnis, desto seltener kommt es zu Folge-Operationen (Revisionsoperationen). Setzt man eine Mindestfallzahl von 150 Hüft-OPs und 100 Knie-OPs pro Krankenhaus pro Jahr an, so ergibt sich, dass nur 22 Prozent beziehungsweise 34 Prozent der Kliniken in Deutschland, die diese Eingriffe durchführen, diese Mindestfallzahl erreichen.

Laut Kommissionsbericht könnten jährlich 397 beziehungsweise 212 Revisionsoperationen vermieden werden, wenn alle Ersteingriffe in Zentren mit dieser Mindestfallzahl durchgeführt würden. Die Zahl der vermeidbaren Eingriffe stiege sogar auf 447 bzw. 269, wenn als Mindestfallzahl für die Hüftoperationen 200 und die Knieoperationen 150 festgelegt würde.