Brüssel. Die EU steht vor einem Durchbruch bei der Asylreform. Was mit Asylzentren und Abschiebungen geplant ist und warum es Widerstand gibt.

Angesichts einer neuen Flüchtlingswelle rückt in der Europäischen Union eine Verschärfung der Asylpolitik näher: Die EU-Innenminister wollen am Donnerstag die Weichen für eine Reform stellen, mit der für einen Teil illegaler Migranten gleich an den EU-Außengrenzen Vorprüfungen und Asyl-Eilverfahren mit schnellen Abschiebungen eingeführt werden sollen. Die Bundesregierung treibt hinter den Kulissen eine Einigung voran, jetzt bekommt sie aber Gegenwind.

Eine Gruppe von 31 Bundestags- und Landtagsabgeordneten von SPD und Grünen kritisierte in einem Dienstag veröffentlichten Papier den Kurs der Regierung und warnte vor einer Abschwächung des Grundrechts auf Asyl. Bei den Grünen unterstützen bereits über 700 Mitglieder einen ähnlichen Protestbrief an die Parteispitze. Ein Bündnis von 46 Kinder- und Migrationsorganisationen appelliert zudem an die Bundesregierung, keine Kompromisse beim Schutz von geflüchteten Kindern zu machen.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich dagegen hoffnungsvoll: Die EU-Länder seien „so weit, wie wir noch nie waren“, sagte Scholz in Köln. „Wir sollten alles dafür tun, dass wir jetzt zu einer Regelung kommen, die eine enge Kooperation der Staaten an den Außengrenzen mit allen anderen zum Gegenstand hat.“ Die EU-Innenminister beraten am Donnerstag über eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Ziel ist eine gemeinsame Position, auf deren Basis die EU-Staaten mit dem Parlament über einen Gesetzeskompromiss verhandeln können, der spätestens Anfang 2024 beschlossen werden soll.

"Wer sich fuer Menschen einsetzt, die Schutz und Unterstuetzung am dringendsten brauchen, wird kriminalisiert, an der Arbeit gehindert oder bedroht", sagt die Praesidentin des evangelischen Hilfswerks "Brot fuer die Welt", Dagmar Pruin. Mit Blick auf Europa kritisiert sie, die Regierungen blockierten die Seenotrettung im Mittelmeer massiv. © epd | Thomas Lohnes

EU-Asylreform: Wer muss in die neuen Asylzentren?

Nach dem geplanten Verfahren werden alle irregulär eingereisten Migranten flächendeckend registriert und müssen eine Identitäts- und Sicherheitsprüfung durchlaufen. Noch an den Außengrenzen würden Vorprüfungen stattfinden: Kommen Asylsuchende aus einem sicheren Drittland oder einem Land mit einer geringen Anerkennungsquote – etwa Marokko, Tunesien oder Nigeria – sollen sie gleich ein Eil-Grenzverfahren durchlaufen und bei einer Ablehnung umgehend abgeschoben werden.

Nach dem Entwurf läge die Schwelle bei einer Anerkennungsquote von 20 Prozent, allein damit wäre etwa jeder vierter Asylbewerber betroffen. Für die Zeit des Verfahrens könnten die Asylbewerber in Transitlagern nahe den Außengrenzen festgehalten werden, juristisch gelten sie als noch nicht in die EU eingereist. Diese „Fiktion der Nichteinreise“ würde dem deutschen Flughafenverfahren ähneln. Kritiker warnen, vielen Schutzsuchenden drohe damit die „Inhaftierung“. In der Bundesregierung wird indes versichert, von Haftanstalten könne keine Rede sein, denn für die Zentren an den Außengrenzen würden dieselben Asylrechts-Standards gelten wie für die üblichen Flüchtlingsunterkünfte.

Unterstützung kommt vom Deutschen Landkreistag: Es sei richtig, Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen für bestimmte Personengruppen einzuführen und entsprechende Zentren zu errichten, sagte Landkreis-Präsident Reinhard Sager unserer Redaktion. Für Asylsuchende, bei denen voraussichtlich eine geringe Chance auf Anerkennung bestehe, müsse das Asylverfahren während ihrer Unterbringung in diesen Transitzentren durchgeführt werden. „Asylsuchende, deren Antrag abgelehnt wird, müssen unmittelbar zurückgeführt werden“, fügte Sager hinzu.

Mit Schlauchbooten retten Mitarbeiter der Organisation Ärzte ohne Grenzen mehr als 600 Migranten und Flüchtlinge im Mittelmeer von einem Boot in Seenot.
Mit Schlauchbooten retten Mitarbeiter der Organisation Ärzte ohne Grenzen mehr als 600 Migranten und Flüchtlinge im Mittelmeer von einem Boot in Seenot. © dpa | MSF

Die Reformpläne sehen zudem ein freiwilliges Umverteilungssystem unter den Mitgliedstaaten vor und auch einen Krisen-Mechanismus im Fall von starker Zuwanderung. EU-Länder werden aber nicht verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen – ersatzweise müssten sie dann finanzielle Lasten und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber übernehmen. Die Änderungen hatte die EU-Kommission bereits 2020 vorgeschlagen, starke Differenzen verhinderten bisher einen Beschluss.

Die stark steigenden Asylbewerberzahlen – Deutschland registrierte bis Ende April ein Plus von 80 Prozent - und die nahenden Europawahlen erhöhen jetzt aber den Einigungsdruck. Dennoch bleibt die Reform umstritten, entscheidende Details sind offen. Ein einstimmiger Beschluss der Innenminister gilt bereits als ausgeschlossen, weil EU-Länder wie Ungarn und Tschechien jede Übernahme von Verpflichtungen ablehnen; Mittelmeerländer machen ihre Zustimmung davon abhängig, dass ihnen kurzfristig zusätzliche Entlastungen bei der Flüchtlingsaufnahme zugesagt werden. Als neues Hindernis gilt, dass Spanien und Griechenland wegen bevorstehender Parlamentswahlen nur bedingt kompromissbereit sind.

Streit um Schutz für Kinder: Was die Bundesregierung erreichen will

Ziel der Reformbefürworter ist es jetzt, am Donnerstag den Widerstand einzelner EU-Staaten zu überstimmen und einen Kompromiss mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen, womit spätere Konflikte in Kauf genommen würden. Doch diese Mehrheit sei nicht sicher, die Verhandlungen würden unter Hochdruck weitergeführt, berichten EU-Diplomaten. Die Bundesregierung will sich dabei auf Drängen der Grünen noch dafür einsetzen, dass Kinder bis 18 Jahren und ihre Familien von dem Verfahren in Asylzentren verschont bleiben. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission würde eine Ausnahme jedoch nur für unter 12-Jährige gelten.

Allerdings wird die Forderung der Bundesregierung nur von wenigen EU-Staaten unterstützt, hieß es am Dienstag. Dagegen plädieren zahlreiche Regierungen unter Führung Frankreichs dafür, überhaupt keine Ausnahmen für Kinder vorzusehen. Ein breites Bündnis von 46 Kinder- und Menschenrechtsorganisationen warnt deshalb, dass die Asylreform gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen und weitere Kinderrechtsverletzungen begünstigen könnte.

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