Braunschweig. Der achte Verhandlungstag im Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ging nur in Trippelschritten voran.

Am Ende des knapp sechsstündigen Verhandlungstags im Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig blieb Ernüchterung. Eines der zentralen Verfahren in Deutschland zur zivilrechtlichen Aufarbeitung des VW-Abgas-Betrugs war am achten Verhandlungstag nicht wirklich vorangekommen. Einmal mehr bestätigte sich die längst feststehende Erkenntnis, dass noch viele, viele Fragen offen sind – auch eineinhalb Jahre nach Beginn des Musterverfahrens. Und so wirkte selbst der Vorsitzende Richter Christian Jäde am Montagnachmittag leicht ratlos, als er feststellte: „Wie wird man dieses Stoffes am besten Herr?“

Das Schwierige an diesem Verfahren, das es so abstrakt macht, ist die Stoßrichtung. Der Senat des Oberlandesgerichts soll am Ende des Verfahrens nicht über Schuld oder Unschuld im Abgas-Betrug urteilen. Stattdessen werden in dem Musterverfahren die Inhalte künftiger Verfahren festgelegt, die nach Ende des Musterverfahrens von den jeweils zuständigen Landgerichten verhandelt werden. Daher gibt es kein Urteil, sondern einen Musterentscheid, der die Grundlage für die sich anschließenden Verfahren ist.

In ihnen werden die Klagen jener Kläger verhandelt, die derzeit wegen des Musterverfahrens ausgesetzt sind. In Braunschweig sind dies 1831 Verfahren, in Stuttgart 20. Der Streitwert beläuft sich auf knapp 4,9 Milliarden Euro. Alle Kläger sind Anleger, die VW und der Porsche-Holding SE vorwerfen, sie nicht rechtzeitig über die Folgen des Abgas-Betrugs informiert zu haben – so, wie es die Ad-hoc-Pflicht vorschreibt. Weil sie durch die vom Abgas-Betrug ausgelösten Kursverluste viel Geld verloren hätten, fordern sie Schadenersatz. Musterklägerin ist die Sparkassen-Fonds-Gesellschaft Deka Invest.

Am Montag ging es nun – wie schon bei der Sitzung zuvor im Dezember – um Bilanzierungsfragen. Dabei befasste sich der Senat insbesondere mit den Stellungnahmen und Gutachten der Kläger und Beklagten. Die Kläger bemängeln, dass die VW-Geschäftsberichte keine Hinweise auf Rückstellungen für Risiken aus dem Abgas-Betrug und keine Auflistung sogenannter Eventualverbindlichkeiten enthielten.

Klägeranwalt Andreas Tilp sprach von „einem Jahrzehnt der Penetrierung des Marktes mit Lügen in Geschäftsberichten, Ad-hoc-Mitteilungen und Nachhaltigkeitsberichten“. Schon seit 2008 hätten die Geschäftsberichte falsche Informationen enthalten, weil Volkswagen in ihnen verkündet habe, in den USA die weltweit strengste Umweltauflagen zu erfüllen. Tilp: „Man hat es über zehn Jahre nicht geschafft, Fahrzeuge legal zu verkaufen.“

Das ließ Rechtsanwalt Markus Meier, der die Porsche-Holding SE vertritt, so nicht stehen. Tilps Ausführung zeige das Delta zwischen dem, was die Kläger im Geschäftsbericht lesen wollten, und dem, was tatsächlich in ihnen stehe. So enthielten die Berichte keinen Hinweis auf die damalige Clean-Diesel-Strategie von VW in den USA. Stattdessen werde der Anspruch einer Führungsposition durch Technologie formuliert.

Der Senat des Oberlandesgerichts hielt sich mit eigenen Einschätzungen zur Bilanzierung des Autobauers in vielen Punkten zurück und verwies auf anstehenden Klärungsbedarf. Zudem hielt der Senat an seiner vorläufigen Auffassung fest, dass Aktionäre nur dann Ansprüche haben könnten, wenn Fachleute übereinstimmend zu der Bewertung kämen, dass die Finanzveröffentlichungen von Volkswagen „schlechthin unvertretbar“ gewesen seien. Dies sei aber fraglich.

So blieb am Ende des Verhandlungstags die bereits erwähnte Ernüchterung auf allen Seiten. Rechtsanwalt Meier fragte: „Wo stehen wir mit dem Bilanzthema?“ Es gebe zwar die Positionen der Kläger und Beklagten. „Wir wissen aber nicht, wie der Senat dies einschätzt.“ Bis Meier, aber auch die Vertreter der Kläger eindeutige Antworten erhalten, wird es noch Zeit brauchen, verdeutlichte Jäde. Zumal noch über die Zulassung eines Erweiterungsantrags entschieden werden müsse. Gut möglich also, dass die zunächst für den 20. April geplante nächste Verhandlung ausfällt und stattdessen ein doppelter Verhandlungstag am 8 und am 9. Juni angesetzt wird.