Wolfsburg. Kanzleien, die von VW beauftragt wurden, wachsen überdurchschnittlich.

Die Aufarbeitung des VW-Abgas-Betrugs ist ein riesiges Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen. Nach Angaben des Kölner Juve-Verlags, der sich auf Publikationen für Wirtschaftsanwälte und Steuerberater spezialisiert hat, sind zum Beispiel alle 115 deutschen Landgerichte mit Diesel-Klagen gegen VW befasst. Privaten Anwaltskanzleien beschere der Diesel-Skandal zudem eine Sonderkonjunktur.

Der Fachverlag veröffentlicht einmal im Jahr ein Handbuch mit einer Übersicht und Bewertung der Wirtschaftskanzleien in Deutschland. Für die Bewertung werden unter anderem die Zahl der gewonnenen Verfahren, die Umsatz- und die Mitarbeiter-Entwicklung verglichen. Von den von Juve aufgelisteten
50 führenden deutschen Kanzleien seien 14 – also deutlich mehr als ein Viertel – für Volkswagen im Zusammenhang mit dem Abgas-Betrug tätig.

Nach Angaben des Verlags wachsen diese Kanzleien deutlich schneller als Kanzleien, die kein VW-Mandat haben. Die Kölner weisen für die von ihnen identifizierten 50 wichtigsten Anwaltsbüros in Deutschland für 2019 ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 9,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr aus. Bei den Kanzleien, die von VW beauftragt wurden, habe das durchschnittliche Umsatzwachstum dagegen 14,2 Prozent betragen – also rund 43 Prozent mehr. Spitzenreiter sind demnach die international tätigen Kanzleien Pinsent- Masons und Luther, die ihren Umsatz im vergangenen Jahr um
39,2 Prozent beziehungsweise um
30,9 Prozent gesteigert hätten.

Die Belegschaften in den Anwaltsbüros seien zum Teil deutlich vergrößert worden. In einzelnen Kanzleien seien inzwischen Teams von jeweils mehr als 100 Anwälten nur mit Klagen gegen VW befasst. In Summe würden mehr als 1000 Anwälte in den 14 von VW beauftragen Kanzleien beschäftigt.

Führende Großkanzlei ist das weltweit tätige Haus Freshfields Bruckhaus Deringer mit fünf Standorten in Deutschland. Für die Kanzlei weist Juve ein Umsatzwachstum von 9 Prozent im vergangenen Jahr aus. Die Kanzlei steuert nach Angaben des Verlags die Zusammenarbeit der von VW beauftragten Anwaltsbüros, gibt auch die Strategie für die Verteidigung vor und führt die wichtigsten Prozesse.

In dieser Berechnung noch gar nicht berücksichtigt sind die Anwälte, die die Kläger vertreten. Auch für sie bringt der Abgas-Betrug eine Sonderkonjunktur.

In der juristischen Aufarbeitung des Abgas-Betrugs spielt Braunschweig eine zentrale Rolle. Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig werden zwei Musterklagen verhandelt: In dem Kapitalanleger-Musterverfahren werden Klagen von Anlegern gegen VW und gegen die Porsche-Holding SE verhandelt. Das Verfahren hat bereits 2018 begonnen. Die Aktionäre werfen VW vor, sie nicht rechtzeitig über den Abgas-Betrug informiert zu haben. Durch die Kursverluste sei ihnen hoher Schaden entstanden.

Seit vergangenem Jahr verhandelt das Oberlandesgericht Braunschweig zudem eine Musterfeststellungsklage. In diesem Verfahren fordern VW-Kunden vom Unternehmen Schadenersatz, weil ihre Autos vom Diesel-Skandal betroffen sind. VW und der als Musterkläger auftretende Bundesverband der Verbraucherzentralen führen bereits Vergleichsverhandlungen.