Braunschweig. Der Ausstoß des Gases gefährdet das Klima, deshalb sollen Unternehmen dafür zahlen. Energie-Expertin Pittel zeigt an der TU, wie schwierig die Berechnung von CO2-Schäden ist.

197 Staaten haben 2016 in Paris beschlossen, einen Anstieg der globalen Erwärmung um mehr als 1,5 Grad Celsius zu verhindern. Professorin Karen Pittel, Leiterin des Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen am Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München, glaubt nicht daran, dass diese Marke noch einzuhalten ist. „Ich sehe den politischen Willen dafür nicht“, sagte die gebürtige Hannoveranerin, die am Dienstagabend an der TU Braunschweig einen Vortrag zu CO2-Schäden und -Preisen auf Einladung des Instituts für Volkswirtschaftslehre hielt. Schon jetzt sei die Erwärmung bei über einem Grad angekommen. 2019 ist der weltweite CO2-Ausstoß zwar langsamer, aber dennoch auf ein neues Rekordhoch angestiegen. Pittel sagte: „Man muss Anreize schaffen, sonst funktioniert es nicht.“

Eines der Instrumente, um die globale Erwärmung abzubremsen, ist die Bepreisung der klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen. Pittel, die als Mitglied des Beirats „Globale Umweltveränderungen“ die Bundesregierung berät, machte in Braunschweig deutlich, wie schwierig jedoch offenbar die Berechnung der CO2-Schäden und des CO2-Preises ist. Gut 100 Zuhörer folgten den Ausführungen der Wissenschaftlerin interessiert; eine anschließende Diskussion zeigte, wie zum Teil kontrovers und engagiert die Debatte um CO2-Preise aktuell geführt wird. Denn die Bundesregierung hat mit ihrem Klimapaket erst gerade die Einführung eines CO2-Emissionshandels auf nationaler Ebene für die Bereiche Verkehr und Gebäude beschlossen. „Ich halte das für eine vernünftige Entscheidung“, urteilte die Professorin. In diesen beiden Sektoren sei die Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen„nicht gerade billig“.

Professorin Karen Pittel, Leiterin des Ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen in München.
Professorin Karen Pittel, Leiterin des Ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen in München. © Hannah Schmitz

Effizienter wäre ihrer Ansicht nach allerdings eine Reform des EU-weiten Emissionshandels gewesen, bei dem dann die Emissionen aller Sektoren der EU-Mitgliedsstaaten gehandelt werden würden. Bisher beschränkt sich der europäische Emissionshandel auf die Energiewirtschaft und die energieintensive Industrie, wie zum Beispiel die Stahlindustrie. Das geht natürlich auch anders: Im Klimaschutz-Vorreiterland Neuseeland sind zum Beispiel auch die Bereiche Transport oder Forstwirtschaft im Handel inbegriffen.

Pittel bezeichnete es als „äußerst problematisch“, dass sich der deutsche Staat bisher noch nicht zu einer umfassenden Reform des bestehenden Systems von energiebezogenen Steuern und Abgaben – etwa Kfz-Steuer oder EEG-Umlage – durchringen konnte. Sie zeigte auf, wie unterschiedlich stark etwa Benzin, Diesel, Heizöl, Erdgas und Strom besteuert werden. Beträgt die „Energiesteuer“ beim Heizöl 8 Euro pro Tonne CO2, sind es beim Benzin 65 Euro und beim Strom ganze 200 Euro. „In Zukunft wird es viel mehr Stromanwendungen geben. Da ist so eine hohe Belastung keine gute Idee“, warnte sie.

Der Wissenschaftlerin geht außerdem die alleinige Bepreisung von CO2 nicht weit genug – auch der Ausstoß von NOx oder Feinstaub müsste etwa teurer werden, auch wenn das die Autoindustrie nicht freuen dürfte. Außerdem sei es sinnvoll, gesellschaftliche Kosten in CO2-Produkte einzupreisen. Der Benzinpreis würde dann zum Beispiel auch Kosten von Verkehr, Staus, Unfällen oder lokaler Verschmutzung beinhalten.

Bei den zwei grundlegenden Alternativen zur CO2-Bepreisung – Emissionshandel und CO2-Steuer – positionierte sich Pittel nicht eindeutig. Beide Modelle hätten ihre Vor- und Nachteile. Die Kosten würden zudem in beiden Varianten an den Verbraucher weitergegeben. Weltweit würden beide Modelle angewandt, viele Staaten nutzten gleichzeitig beide Instrumente. Gemein haben die CO2-Preise, dass sie die Schäden widerspiegeln sollen, die der Ausstoß einer Tonne des Treibhausgases verursacht. Pittel machte klar: „Eine Tonne CO2, die ich heute emittiere, wird auch noch in 300 Jahren Schäden verursachen.“ CO2-Preise schafften ferner ökonomische Anreize, Schäden zu vermeiden.

Aber wie hoch dieser Schaden überhaupt ist – da gehen die Modelle auch je nach politischer Interessenslage weit auseinander. Während das deutsche Umweltbundesamt den Schadenswert einer Tonne CO2 für heute etwa mit 180 Euro beziffert, rechnet die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA unter Präsident Donald Trump mit rund einem Euro. „Die USA rechnen zum Beispiel nur die Schäden dort mit ein, nicht die weltweiten“, erklärte Pittel – im Gegensatz etwa zum Umweltbundesamt.

Grundsätzlich fielen die Schadensschätzungen deswegen so unterschiedlich aus, weil sie unter anderem etwa auch von unterschiedlichen Temperaturanstiegen ausgingen. Mit dieser Frage hänge wiederum zusammen, welches Wirtschaftswachstum und damit verbundene Emissionen Forscher erwarten würden. Eine Grundsatzfrage sei bei den Schadensberech- nungen außerdem, wie man Schäden bewertet, die erst in 100 Jahren auftreten. Auch die Einbeziehung sogenannter Kipp-Punkte wirke sich auf Schadenschätzungen aus. Ein „Kipp-Punkt“ ist etwa das Auftauen von Permafrostböden oder das Abschmelzen des Grönlandeisschilds – das hat laut Forschungen so gravierende Auswirkungen, dass sich das Weltklima deutlich schneller ändern, eben „kippen“ würde. Einige Modelle würden dies berücksichtigen, andere nicht.

Pittel brach in ihren Ausführungen eine Lanze für den Klimaschutz. „Wir müssen schnell handeln“, sagte sie. Wenn nicht, riskiere die Welt zahlreiche negative Konsequenzen für die Menschheit: etwa Verteilungskonflikte, regionaler Nahrungsmittelmangel, Migration.